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Stellvertretende Eitelkeit – Auftragsporträts im Deutschen Bergbau-Museum Bochum

Gemeinhin gelten Museen als Aufbewahrungsorte historisch wertvoller Objekte. Dass das Deutsche Bergbau-Museum Bochum (DBM) auch eigens in Auftrag gegebene Kunst in den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) beherbergt, ist allerdings nur wenigen bekannt. Ein von Gründungsdirektor Dr.-Ing. Heinrich Winkelmann 1942 bestelltes Porträt von Hugo Schultz ist deshalb ein willkommener Anlass, das Geburtstagskind im November von seiner besten Seite zu präsentieren und gleichzeitig auf die älteste zusammenhängende Serie an Ölgemälden in den Musealen Sammlungen zu verweisen.

Hugo Schultz war für die Geschichte Bochums wichtig; jedenfalls so wichtig, dass die Stadtverwaltung eine Straße nach ihm benannte und ihm seine Schüler 1908 ein Denkmal setzten. Dass letzteres vor der heutigen Technischen Hochschule Georg Agricola steht, ist kein Zufall. Denn Schultz, der am 06. November 182 Jahre alt geworden wäre, hatte sich nicht nur wegen des Neubaus an der Herner Straße um die ehemalige Bochumer Bergschule verdient gemacht. Als eine seiner besonderen Leistungen gilt die Reformierung des bergmännischen Ausbildungswesens.

 

Als Direktor der Bochumer Bergschule setzte sich Bergassessor Schultz ab 1868 für eine qualitative Verbesserung der Ausbildung ein. Dazu ließ er Bergvorschulen einrichten, an denen beispielsweise das Lesen, Rechnen und Schreiben gelehrt wurde. Um den eigentlichen bergmännischen Unterricht anschaulicher zu gestalten, setzte er die Kombination aus theoretischen und praktischen Modulen durch und ließ darüber hinaus Lehr- und Schausammlungen anlegen.

 

Sein Bemühen um den bergmännischen Nachwuchs war für Museumsdirektor Winkelmann Anlass, um Hugo Schultz in den erlesenen Kreis „berühmter Bergleute“ aufzunehmen. Dieser wichtigen Männer wollte er in der so genannten Ehrenhalle – die heutige Informationshalle des DBM – gedenken. Dazu engagierte er im Jahr 1939 den in Halle ansässigen Ernst-Sigmund von Sallwürk, der mindestens 50 Ölporträts von ausgewählten Personen anfertigen sollte. Für die zwischen 1940 und 1944 eingegangenen 29 Ölgemälde von Bergleuten, Staatsoberhäuptern, Wissenschaftlern, einem Theologen sowie einem Dichter erhielt der Künstler jeweils zwischen 200 und 350 Reichsmark. Für den sonst überwiegend auf Spenden basierenden Sammlungsaufbau des noch jungen Museums war dies eine stattliche Investition.

 

Daraus zu schließen, Sallwürk sei ein gefeierter Künstler mit überregionalem Bekanntheitsgrad gewesen, führt allerdings zu weit. Den Zuschlag für den Großauftrag erhielt der Zeichenlehrer, Illustrator und Porträtmaler in erster Linie aufgrund von Beziehungen. Über Hanns Freydank, freier Mitarbeiter des Museums, hatte Sallwürk schon verschiedene Aufträge für das Museum ausgeführt. Für die Serie „Berühmte Bergleute“ in Öl hielt Freydank ihn für besonders geeignet, weil er die „modernen Experimente ablehnt und sich in der altüberlieferten Weise betätigt.“ (Freydank, 14.11.1933, in: montan.dok/BBA 112/966). Der anschließende Verweis auf Holbein als Sallwürks „Lieblingsmaler und Lehrmeister“ verdeutlicht, dass es bei der Gestaltung der Porträts um eine naturalistische Darstellung der Porträtierten nach dem Vorbild der griechisch-römischen Antike ging, die Freydank als „lebenswahr“ interpretierte (Freydank, 19.03.1942, in: montan.dok/BBA 112/966). Wenngleich die spiegelgleiche Wiedergabe illusorisch ist, bemühte sich Sallwürk um eine möglichst exakte Wiedergabe. Insbesondere bei Porträts, die durch Quellen oder gar Familienmitglieder und Bekannte hätten bewertet werden können, forderte er konkrete Angaben zur Haar-, Haut- und Augenfarbe. Als er im Frühjahr 1942 der Vorlage nicht entnehmen konnte, wen er eigentlich malen sollte, wandte er sich an Winkelmann. Anhand einer Skizze sollte der Museumsdirektor die betreffende Person identifizieren und angeben, welche Farbe für die Augen und das Gesicht zu wählen sei (Sallwürk, 20.03.1942, in: montan.dok/BBA 112/966). Winkelmanns Bemühen, die gewünschten Farbtöne für den skizzierten Hugo Schultz abzusichern, blieben allerdings erfolglos. Deshalb wies er Sallwürk an, sowohl für das Inkarnat als auch die Augenfarbe „normal zu wählen“ (Winkelmann, 26.03.1942, in: montan.dok/BBA 112/966). Wie Sallwürk diese Angabe interpretierte, demonstriert das schließlich am 1. August 1943 eingegangene Gemälde (montan.dok 030330287001). Es zeigt ein Brustporträt des Bergschuldirektors im nach rechts gedrehten Viertelprofil. Sowohl die Augen- als auch die Hautfarbe stechen nicht besonders heraus. Vielmehr fügen sich die durch einen leichten Grauschleier mattierten Farben harmonisch in das Bild eines älteren Herrn, dessen Bergbaubezug über die farbenkräftige, mit Orden geschmückte schwarze Puffjacke hergestellt wird.

 

Während der gewählte Bildausschnitt sowie die Darstellung eines älteren, weißen Mannes in mit Orden behängter Puffjacke vor neutralem Hintergrund typisch für die Reihe „Berühmter Bergleute“ ist, stellt die Präsentation von Hugo Schultz im Viertelporträt ein Unikum dar. Der Grund für den Bruch in der Darstellung dürfte sein, dass Winkelmann die Darstellung „berühmter Bergleute“ als „Mümmelgreise“ (Winkelmann, 10.04.1941, in: montan.dok/BBA 112/966) nicht favorisierte. Körperliche Gebrechen sollten das Ansehen derjenigen, die sich um die Gesellschaft und den Bergbau verdient gemacht hatten, nicht schmälern.

 

Wer das Denkmal von Hugo Schultz an der Herner Straße in Bochum kennt, dem ist vielleicht noch die markante Augenpartie in Erinnerung. Der Bergschuldirektor litt an einer Schiefstellung des linken Auges, was in der Plastik von Gustav Michael Pillig deutlich erkennbar ist. Ihn für die Reihe „berühmter Bergleute“ im Viertelprofil darstellen zu lassen, machte es also möglich, das linke Auge zu kaschieren, ohne von dem Ideal einer „lebenswahr[en]“ Darstellung abweichen zu müssen.

 

Dass sich Winkelmann solcher Kunstgriffe mehrfach bediente und für eine möglichst würdevolle Repräsentation von Bergleuten auch bereit war, von einer ‚naturgetreuen‘ Darstellung abzuweichen, ist ein Teilergebnis einer Dissertation zu bergmännischen Darstellungen in der Ära Winkelmann, die im Rahmen des Projekts „montan.dok 21“ bearbeitet wird.

 

01. November 2020 (Anna-Magdalena Heide, M.A.)


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 030350287001, 071201251802, 029100798001

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 112/966

 

Farrenkopf, Michael/Ganzelewski, Michael (Hrsg.): Das Wissensrevier. 150 Jahre Westfälische Berggewerkschaftskasse/DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung. Katalog zur Sonderausstellung, Bochum 2014 (= Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 29).

 

Hauschild, Stephanie: Maler, Modelle, Mäzene. Geschichte und Symbolik der Porträtmalerei, Stuttgart 2008.

 

Moitra, Stefan: Das Wissensrevier. 150 Jahre Bergbauforschung und Ausbildung bei der Westfälische Berggewerkschaftskasse/DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung, Bochum 2014 (= Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 27).

 

Przigoda, Stefan: Schultz, Hugo, in: Neue Deutsche Biographie 23, 2007, S. 699-700. Online verfügbar: www.deutsche-biographie.de/pnd128649054.html#ndbcontent (Stand, 06.10.2020).

 

Saure, Gabriele: Sallwürk, Sigmund, in: Beyer, Andreas/Savoy, Bénédicte/Tegethoff, Wolf (Hrsg.): Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker. Rovere – Samonà, Berlin/Boston 2018, S. 470 f.