„Spiegelbild und Sprachrohr“: Werkzeitschriften der Bergbauindustrie
Die Geschichte des Mediums Werkzeitschrift begann im deutschen Bergbau indessen schon lange vor 1970 und sie war 2019 noch nicht zu Ende, wenngleich die klassische Werkzeitschrift mit der Schrumpfung der Branche und der rasanten Verbreitung digitaler Kommunikationskanäle einen Niedergang erlebt hat. Bereits im Juli 1870 erschien die erste Probenummer von „Der Bergmannsfreund“. Das „Wochenblatt zur Unterhaltung und Belehrung für Bergleute“ wurde von der staatlichen Verwaltung der fiskalischen Saargruben herausgebracht. Es richtete sich an die Saarbergleute insgesamt und kann aufgrund seiner fehlenden Betriebs- bzw. Unternehmensbezogenheit nach Anne Winkelmann und ihrer bis heute für die Werkzeitschriften der deutschen Bergbauindustrie einschlägigen Untersuchung streng genommen nicht als Werkzeitschrift im engeren Sinn klassifiziert werden.
Von den 1880er-Jahren bis zum Ende des Ersten Weltkriegs erlebte das Werkzeitschriftwesen in der deutschen Industrie einen ersten Aufschwung und dann seit Beginn der 1920er-Jahre eine erste Blüte. Im Bergbau machten 1921 die „Peine-Ilseder Werkzeitung“ und „Das Werk“ der Rheinelbe-Union den Anfang. Bis 1928 kamen mindestens 17 weitere, zunehmend professionell und oft aufwendig hergestellte Blätter hinzu. In den größeren Konzernen gab es für die einzelnen Schachtanlagen oft spezielle Ausgaben. Zahlreiche Werkzeitschriften wurden zentral durch das Deutsche Institut für technische Arbeitsschulung (DINTA) bearbeitet, das 1925 unter führender Beteiligung der rheinisch-westfälischen Montanindustrie gegründet worden war.
Die Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 führte zu einem weiteren Anstieg der Zahl der Werkzeitschriften. Nach der Auflösung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden wurden sie zu einem Instrument der NS-Propaganda und der Bemühungen des Regimes, seinen Einfluss in den Betrieben auszubauen. Das DINTA wurde Teil der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Wenngleich die Unternehmens- und Zechenleitungen sich gegen eine Einflussnahme des Regimes und der DAF auf Betriebsebene stemmten, so sympathisierten sie mehrheitlich doch durchaus mit dem neuen Regime. Da ein Übermaß an NS-Propaganda für die Akzeptanz der Blätter als abträglich angesehen wurde, hatten die Redaktionen durchaus Handlungsspielräume bei der inhaltlichen Ausgestaltung, solange sich die nationalsozialistische „Weltanschauung“ in den Blättern widerspiegelte.
Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches im Mai 1945 mussten die allermeisten Werkzeitschriften ihr Erscheinen einstellen. Seit Ende der 1940er-Jahre stieg ihre Zahl dann wieder sprunghaft an. Winkelmann zählt für die Nachkriegsjahre bis 1960 insgesamt 38 Werkzeitschriften in der deutschen Bergbauindustrie, zwischen 1957 und 1959 lag die Jahresauflage bei über 6 Millionen. Mit dem Aufschwung ergab sich ein weiterer Professionalisierungsprozess, wie u. a. die Gründung der Arbeitsgemeinschaft deutscher Werkredakteure 1952 zeigt.
Die Gründung der Ruhrkohle AG als Einheitsgesellschaft zur Bewältigung der Kohlenkrise ging mit der Etablierung einer eigenen einheitlichen Unternehmenskommunikation einher. 26 Altgesellschaften brachten nicht nur ihre Zechen und Kokereien in das neue Unternehmen ein, sondern auch ihre Werkzeitschrift-Redaktionen. 1970 erschien die erste Ausgabe der neuen Werkzeitschrift „Ruhrkohle“. Sie bestand aus einem gemeinsamen Hauptteil sowie speziellen Bereichen für die einzelnen Betriebsführungsgesellschaften. Des Weiteren erschienen Übersetzungen in türkischer, serbokroatischer, arabischer und koreanischer Sprache, die heute allerdings nur sehr exemplarisch überliefert sind. Damals war es nach den Worten des ersten Chefredakteurs der „Ruhrkohle“ Hans Bremshey zunächst ein Hauptziel, das „Zusammenwachsen aller Betriebe zu einer Einheit publizistisch zu unterstützen“. Darüber hinaus galt es, den notwendigen Rationalisierungs- und auch Schrumpfungsprozess zu begleiten. Wilhelm Beermann, damals Gründungsredakteur bei der „Ruhrkohle“ und später stellvertretender Vorstandsvorsitzender der RAG AG, hat es im Rückblick so formuliert: „Die entscheidende Kernbotschaft lautete: Wir führen den unaufhaltsamen Anpassungsprozess jetzt in geordneter, sozial verträglicher Form durch.“ (Steinkohle, 2019, H. 7, S. 6).
Inhaltlich-thematisch folgte die „Ruhrkohle“ dem bewährten Mix. 1970/71 dominierten im Hauptteil allgemeine Berichte und Reportagen unter Tage, in den Ausgaben für die einzelnen Betriebsführungsgesellschaften die Themen Ausbildung und Sicherheit. Die „Ruhrkohle“ und ihre Nachfolger „Folio“ (2004-2007) und „Steinkohle“ (1998-2004 und 2007-2019) spiegeln nicht nur die Geschichte der damaligen Ruhrkohle AG bis zur heutigen RAG AG, sondern auch diejenige der Geschichte des deutschen Steinkohlenbergbaus im 20. und 21. Jahrhundert.
So sehr sich die verschiedenen Werkzeitschriften im Detail – in Format, Umfang oder Erscheinungsturnus – unterschieden haben, so verfolgten sie doch prinzipiell gleiche Ziele und hatten ähnliche inhaltliche Strukturen. Sie richteten sich primär an die Mitarbeitenden und deren Angehörige, sie wollten meinungsbildend im Sinn der Unternehmen sein, den Arbeits-und Berufsstolz und damit die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden stärken und Loyalität gegenüber dem Unternehmen und dessen Leitung sowie oft auch zum politischen und sozialen System erzeugen. Insofern waren sie ein Instrument der politischen Pazifizierung und sozialen Disziplinierung der Arbeiterschaft zugunsten der Produktionssicherung und Produktionssteigerung. Gerade im Kaiserreich und in der Weimarer Republik waren sie zugleich ein Gegenpol zu der Agitation aus dem linken politischen Spektrum, wie z. B. den kommunistischen Betriebszeitungen, die als Objekt des Monats Juli 2023 vorgestellt werden.
Gleichwohl waren Werkzeitschriften mehr als nur ein Sprachrohr der Unternehmensleitungen. In den Belegschaften waren sie durchaus beliebt, wurden aber auch kritisch gelesen. Von Historiker:innen werden sie gerne als Quelle für einzelne Fakten und Informationen zur Geschichte eines Unternehmens oder Betriebes genutzt. Ungleich seltener sind sie als Medium der internen Unternehmenskommunikation und als Spiegel zeitgenössischer Sichtweisen, Deutungen und Wahrnehmungen analysiert worden. Zumal für die Geschichte des Bergbaus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermag die Quelle Werkzeitschriften somit manche Forschungspotenziale zu eröffnen, dies auch in grenzübergreifend vergleichender Perspektive.
Werkzeitschriften waren und sind zeitgebundene Gebrauchsschriften. An eine dauerhafte Bewahrung war nicht gedacht. Als „Graue Literatur“ sind sie zumal von den großen wissenschaftlichen Bibliotheken kaum systematisch gesammelt worden. So ist ihre Überlieferung heute oftmals lückenhaft und die zeitgenössische Vielfalt nur schwer zuverlässig zu überblicken. Die Bibliothek des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) sammelt deshalb gezielt Werkzeitschriften aus dem deutschen Bergbau und bergbaunaher Unternehmen. Aktuell sind über 160 Titel nachgewiesen, die teils komplett, teils nur splitterhaft in wenigen Heften überliefert sind. Als historische Bibliothek sammelt und bewahrt sie im übergeordneten Kontext und als integraler Bestandteil des montan.dok systematisch montanhistorisch relevante Publikationen.
01. Juli 2023 (Dr. Stefan Przigoda)
- Literatur
Ruhrkohle AG: Ruhrkohle. Werkzeitschrift der Ruhrkohle AG, hrsg. v. Vorstand der Ruhrkohle AG, 1970-1998 (montan.dok/Bibliothek)
Deutsche Steinkohle AG: Steinkohle. Mitarbeitermagazin Steinkohle, 1998-2004 (montan.dok/Bibliothek)
RAG Aktiengesellschaft: Steinkohle. Das Mitarbeitermagazin der RAG Aktiengesellschaft, 2007-2019 (montan.dok/Bibliothek)
Bremshey, Hans: Die Entwicklung der innerbetrieblichen Information bei der Ruhrkohle AG in den Jahren 1970 und 1971 (masch. Manuskript, 15. Dezember 1971, montan.dok 040006144001).
Michel, Alexander: Von der Fabrikzeitung zum Führungsmittel. Werkzeitschriften industrieller Großunternehmen von 1890 bis 1945, Stuttgart 1997.
Winkelmann, Anne: Die Bergmännische Werkzeitschrift von 1945 bis zur Gegenwart. Mit einer Darstellung der Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau „Der Anschnitt“, Berlin 1964.