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Römischer Wein oder Dortmunder Bier: Der künstlerische Reiz des Ruhrgebiets

Zwei Männer befinden sich in einem dunklen Raum, der eine sitzt Modell, der andere malt. Durch das Fenster wird der Blick auf eine Industriekulisse mit qualmenden Schloten und einem alles überragenden Fördergerüst freigegeben. Daneben prangt ein Schild. Es wirbt für Dortmunder Union Bier und liefert so eine grobe Verortung der auf der Lithographie dargestellten Szene.

Das Ruhrgebiet und seine Menschen übten im frühen 20. Jahrhundert eine gewisse Faszination auf Medien-, Literatur- und Kunstschaffende aus. So bereisten unter anderem Joseph Roth, Egon Erwin Kisch, Heinrich Hauser und Albert Renger-Patzsch das Revier oder hielten sich gar länger dort auf. Ihre Eindrücke verarbeiteten sie beispielsweise zu Texten und Fotografien. Zu dieser Riege lässt sich auch der Maler Conrad Felixmüller (1897-1977) zählen, der nach dem Erhalt des Sächsischen Staatspreises – eigentlich mit einem Aufenthalt in Rom verbunden – mit Erfolg darum bat, das Ruhrgebiet anstelle der italienischen Hauptstadt bereisen zu dürfen.

 

Der gebürtige Dresdner Conrad Felixmüller begann 1912 eine Ausbildung zum Maler in einer Privatschule und wurde zügig in die Königliche Kunstakademie Dresden aufgenommen, wo er ab 1914 Meisterschüler war. Schon im darauffolgenden Jahr arbeitete er als freischaffender Künstler. 1920 erhielt er den bereits erwähnten Staatspreis, auf den seine Exkursion ins Ruhrgebiet folgte.

 

Felixmüller lässt sich in seinem Frühwerk dem Expressionismus zuordnen, seine Werke mit Bezug zum Ruhrgebiet verfolgen aber einen spätexpressionistischen, realistischen Ansatz. In den späteren 1920er-Jahren orientierte er sich an der nüchternen Bildsprache der Neuen Sachlichkeit und ihrem wirklichkeitsgetreuen Stil. Er gehörte zu den Künstlerinnen und Künstlern, deren Werke in der Zeit des Nationalsozialismus als „entartet“ verfemt wurden.

 

Aquarelle und Zeichnungen, die aus Felixmüllers Ruhrgebietsreise resultierten, wurden 1923 in der Berliner Nationalgalerie ausgestellt. Das Sujet „Ruhrgebiet“ begleitete ihn allerdings noch viele Jahre. Während er ursprünglich eine starke Begeisterung für die Industrie verspürte, verlagerte sich sein Interesse rasch auf die Menschen und ihr Leben in der durch den Bergbau so stark geprägten Umwelt, was sich auch in seiner Bildsprache deutlich zeigt: Der Fokus liegt meist auf den Menschen, die vor dem Hintergrund einer Industriekulisse mit qualmenden Schloten und Fördergerüsten dargestellt werden.

 

1927 veröffentlichte Felixmüller unter dem Titel „Das Malerleben – 16 Original-Lithographien mit Pinsel und Feder“ eine Mappe, in der er sich in selbstreferenzieller Weise mit seinem Leben als Maler auseinandersetzte. Oftmals ist Felixmüller selbst Teil der dargestellten Szenerie. So zeigen ihn die Grafiken auf verschiedenen Stationen seines Lebens, wie beispielsweise in der Kindheit und Ausbildung, aber auch in sehr privaten Situationen wie der Umarmung mit einer Frau auf einer Lichtung oder beim Malen seiner ihr Kind stillenden Frau.

 

Auch seine Zeit im Ruhrgebiet findet sich über die eingangs kurz beschriebene Szene in der Mappe wieder. Die betreffende Lithographie (montan.dok 037000683001) zeigt den Künstler beim Malen eines älteren Mannes. Ein Tisch mit Gläsern und Bierflasche sowie das Schild, welches den Namen der bekannten Dortmunder Brauerei zeigt, versetzen die Szene in eine Ruhrgebietskneipe. Durch die im Vergleich sehr helle Darstellung von Felixmüllers Gesicht wird der Fokus auf die Darstellung des Malers gelegt. Die Anordnung des deutlich dunkler dargestellten, älteren Mannes und der Aussicht auf die industriell geprägte Landschaft ist sicherlich nicht zufällig gewählt: Der Mann sitzt unterhalb des Fensters, sein Kopf ragt in den Ausblick hinein. Es entsteht der Eindruck, die Industrie – auch hier wieder im Hintergrund – laste auf den Schultern des Mannes. So verdeutlicht Felixmüller den starken Einfluss, den die Arbeit im Ruhrgebiet auf die Menschen und deren Lebenswelt in der damaligen Zeit hatte.

 

Von „Das Malerleben“ wurden insgesamt 160 Mappen herausgegeben, wobei nur in den ersten 30 Exemplaren jedes Blatt vom Künstler signiert wurde. Darüber hinaus unterschieden sich diese Mappen qualitativ in Papierart und Einband. Bei der hier beschriebenen Lithographie handelt es sich um Blatt Nummer neun der Serie. Felixmüller selbst hat die Darstellungen nicht betitelt, in der Literatur ist es als „Der Proletarier als Modell“ benannt. Da das Blatt nicht signiert ist, wird es sich um ein Exemplar der zweiten Variante handeln, in der lediglich die Schlussblätter von Felixmüller signiert wurden. Es kam Ende 2020 als Einzelblatt über eine Schenkung in die Musealen Sammlungen des montan.dok, wo es sich nun, nach Recherche seines Hintergrundes und einer umfassenden Dokumentation, in das Depot zu weiteren Werken Conrad Felixmüllers gesellt und dort ein aufschlussreiches Beispiel für die Darstellung des Ruhrbergbaus und seiner Menschen im frühen 20. Jahrhundert darstellt.

 

01. Juni 2021 (Philip Behrendt, B.A.)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 037000683001

 

Gleisberg, Dieter: Felixmüller, Conrad, in: Beyer, Andreas/Savoy, Bénédicte/Tegethoff, Wolf (Hrsg.): Allgemeines Künstlerlexikon Online. https://www.degruyter.com/document/database/AKL/entry/_00012063/html, (Stand 07.05.2021).

 

Guery, Michael: Geschichte der Künste von der Antike zur Gegenwart, Berlin 2019.

 

Söhn, Gerhart (Hrsg.): Conrad Felixmüller. Aquarelle – Zeichnungen – Graphik. Ausstellung 21. Mai - 30. August 1977, Düsseldorf 1977.

 

Söhn, Gerhart (Hrsg.): Conrad Felixmüller. Das graphische Werk 1912-1974, Düsseldorf 1975.

 

Türk, Klaus: Bilder der Arbeit. Eine ikonographische Anthologie, Wiesbaden 2000.