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Ob Türkei oder Deutschland: Das Zählbrett funktioniert überall

In den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) lassen sich nicht nur Relikte des deutschen Steinkohlenbergbaus finden, sondern auch viele internationale Objekte. Das Museumsdepot beherbergt beispielsweise eine Gedingetafel aus der Türkei, die dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum 2011 von Bergassessor a. D. Otto-Ernst Schröder, einem ehemaligen Bergschullehrer der Westfälischen Berggewerkschaftskasse (WBK), geschenkt wurde. Doch was ist eine Gedingetafel eigentlich?

Der Begriff „Gedinge“ wurde allgemein für einen Vertrag gebraucht. Im bergmännischen Kontext versteht man darunter einen Vertrag, in dem sich der Arbeiter zu einer Arbeitsleistung gegen einen bestimmten Lohn verdingt. Auf den ersten Blick erscheint das rechteckige, zerkratzte Holzbrett mit seinen Lochreihen und Holzstiften eher wie ein unscheinbares Objekt ohne gewichtige Bedeutung. Doch seine Bedienung war für viele Bergleute bares Geld wert, denn die Gedingetafel ist nichts anderes als ein Zählbrett. Sie wurde insbesondere beim Wagengedinge verwendet, bei dem der Lohn an die Zahl der zu fördernden Wagen gebunden war. Deren Anzahl wurde mithilfe von Holzstiften, die immer weiter gesteckt werden konnten, an der Tafel kenntlich gemacht, wodurch sich am Ende des Tages der Lohn berechnete.

 

Die Gedingearbeit, eine bergbauliche Sonderform des Akkordlohns, die neben der Schichtarbeit stand, ist seit den Anfängen des Steinkohlenbergbaus bekannt. Sie war später auch in Form einer gemischten Entlohnung gängige Praxis. Neben dem Massen- bzw. Wagengedinge gab es auch das Zeitgedinge oder in früheren Jahrhunderten den Gedingehäuer, der ein bestimmtes Stollenstück gegen einen zuvor ausgehandelten Lohn bearbeitete. Es war üblich, dass der Leistungslohn zwischen den Betriebsführern bzw. ihren Bevollmächtigten und den Bergleuten vor Ort vereinbart wurde. Die Lohnhöhe richtete sich dabei auch nach den Verhältnissen vor Ort, wie Mächtigkeit und Lagerung des Flözes, Temperaturen oder der Härte des Gesteins. Die tägliche Gewinnungsleistung wurde bei Schichtende vom Steiger vermessen, eine monatliche Prüfung gab es bei der Auffahrung von Strecken. Die letztliche Auszählung des Wagengedinges erfolgte über die jeweiligen Ortsnummern über Tage. Mit der Gedingetafel hatten die Bergleute also die Möglichkeit, ihre Arbeitsleistung stets im Auge zu behalten.

 

Das Zählbrett (montan.dok 030007751001) brachte Otto-Ernst Schröder etwa 1985 von einer Reise aus der Grube Armutçuk (Provinz Zonguldak, Türkei) mit nach Deutschland. Im gleichen Zugang, in diesem Fall eine Schenkung an die Musealen Sammlungen des montan.dok, befanden sich des Weiteren die Fotoalben einer Reisen nach Korea (Samtschuk-Gebiet und Kong-Wan-Gebiet, ca. 1975), Pakistan (Steinkohlenbergbau im Quetta-Gebiet und Salzbergbau bei Peschawa) und der Bong-Mine in Liberia (1988). Leider ist nichts weiter über den Erwerb der Gedingetafel der türkischen Zeche Armutçuk im Steinkohlenrevier Zonguldak am Schwarzen Meer bekannt. Hier hatten nicht lange vor der Reise Schröders, am 07. März 1983, bei einem Grubenunglück (Gasexplosion) über 100 Bergleute ihr Leben verloren.

 

 

Auf der Suche nach Besonderheiten in den Musealen Sammlungen des montan.dok für die 3D-Digitalisierung im Aktionsplan für Leibniz-Forschungsmuseen wurde die Gedingetafel ausgewählt und steht nunmehr neben anderen Objekten auf der Plattform Sketchfab für die Forschung und alle anderen Interessierten zur Verfügung.

 

Schröder, 1922 in Erkenschwick geboren, wurde nach dem Bergbaustudium 1957 vom Oberbergamt Dortmund zum Bergassessor ernannt. Anschließend war er ein Jahr am Bergamt Lünen tätig, bevor er 1958 eine Stelle als Bergschullehrer bei der WBK antrat. Er spezialisierte sich auf das Gebiet des Arbeitsschutzes und der Grubensicherheit, woraus sich die von Schröder geleitete Fachstelle für Arbeitsschutz und Grubensicherheit der WBK entwickelte. Ihr Hauptbetätigungsfeld bestand in der Erarbeitung einschlägiger Arbeits- und Unterrichtsmaterialien zur Ausbildung von Fachkräften für Arbeitssicherheit im Steinkohlenbergbau. In den 1980er-Jahren war Schröder als Gutachter für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Frankfurt am Main tätig und beriet Projekte der Entwicklungshilfe. Diese Tätigkeit führte ihn u. a. in die Reisegebiete, die er in seinen Fotografien festhielt. 1986 ging er in den Ruhestand. Seinen Vorlass übergab Schröder dem Bergbau-Archiv Bochum, der seither als Archivbestand montan.dok/BBA 171: Otto-Ernst Schröder, Bochum - Bergassessor a. D., geführt wird.

 

01. August 2021 (Maren Vossenkuhl, M.A.)

 

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum (DBM) 030007751001

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA)  Bestand BBA 171: Otto-Ernst Schröder, Bochum - Bergassessor a. D.

 

Bischoff, Walter (Hrsg.): Das kleine Bergbaulexikon, Essen 2012.

 

Egg, Erich: Schwaz ist aller Bergwerke Mutter, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau 16, 1964, Heft 3, S. 3-59.

 

Kroker, Evelyn/Unverferth, Gabriele: Der Arbeitsplatz des Bergmanns in historischen Bildern und Dokumenten, Bochum 1990.

 

Logan, Nick: Turkey’s worst mining disaster the latest in a string of deadly accidents, in: https://globalnews.ca/news/1332020/turkeys-worst-mining-disaster-the-latest-in-a-string-of-deadly-accidents/ (Stand: 26.07.2021).

 

Tenfelde, Klaus: Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr im 19. Jahrhundert, Bonn 1977.

 

Winkelmann, Heinrich: Die Ruhrzechen in dem Generalbefahrungsprotokoll des Reichsfreiherrn vom und zum Stein, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau 9, 1957, Heft 5, S. 3-10.