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Mehr als reine Zahlen – Frauen auf Zeche in historischen Überlieferungen

„Habe heute eine Anfrage zu meinem Opa, der im Bergbau beschäftigt war.“ „Und Ihre Oma?“: Regelmäßig laufen genealogische Anfragen im Montanhistorischen Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum von Nachkommen ehemaliger Bergleute ein. Sie suchen genauere Angaben zur Art der Beschäftigung oder den Todesumständen ihrer Vorfahren oder einfach einen Nachweis, dass der Gesuchte auf einer bestimmten Zeche tätig war. Bisher war dabei noch keine Anfrage, soweit bekannt, die sich um eine im Bergbau tätige Vorfahrin dreht. Dabei gab es solche Frauen. Und sie haben auch Spuren in der Überlieferung hinterlassen.

Vorweg seien alle Genealoginnen und Genealogen gewarnt, dass aus verschiedenen Gründen im Bereich Bergbau-Archiv Bochum im montan.dok Personalunterlagen nur partiell und für viele ehemalige Bergwerke gar nicht überliefert sind. Diese Antwort müssen wir leider vielen Anfragenden geben, für deren Suche es keine passende Überlieferung gibt. Aber wir haben auch immer wieder Glück und können den Interessierten Quellen bieten, die ihre Fragen beantworten. Fündig wird man in personenbezogenen Unterlagen wie insbesondere Belegschaftslisten, bisweilen bringen auch Schichtenzettel, Marken- und Lohnlisten sowie Abgangsbücher Erkenntnisse. Bei Fragen zu Todesfällen hilft ab und an ein Geschäftsbericht oder, wenn es sich um Grubenunglücke handelt, der Blick in das Übersichtswerk „Grubenunglücke im deutschsprachigen Raum“ von Evelyn Kroker und Michael Farrenkopf.

 

Was nun weibliche Arbeitskräfte anbelangt, so ist die Überlieferung ebenfalls sehr verstreut, aber auch sie findet man. Zunächst sei ein Bild genannt, dass „zwei Kohlenwäscherinnen“, also Frauen, die in der nassen Aufbereitung, bei der die Kohle vom tauben Gestein mechanisch mittels Wasser in so genannten Setzmaschinen getrennt wird, tätig waren, zeigt (montan.dok 027300071001). Die ursprüngliche Fotografie, bei dem überlieferten Bild handelt es sich offenkundig um eine Reproduktion, ist auf 1920 datiert und mit „Ruhrbergbau“ beschrieben. Ein genauer Ort wird nicht genannt. Auch zeigt das Foto die Frauen zwar in ihrer Arbeitskleidung mit Kopftuch, einer kittelähnlichen Jacke und Hose, aber nicht direkt an ihrem Arbeitsplatz. Interessant ist das Datum. Die Beschäftigung von Frauen war in Preußen ab 1867 und Sachsen seit 1868 stark eingeschränkt, 1878 wurde Frauen die Arbeit unter Tage im gesamten Deutschen Kaiserreich verboten. Über Tage war ihnen nur die Arbeit in den Scheideräumen und Materialmagazinen sowie auf den Halden erlaubt, nicht jedoch bei der Aufbereitung und Förderung. Während des Ersten Weltkriegs ersetzten auf Grundlage gesetzlicher Ausnahmeregelungen im Bergbau wie in anderen Wirtschaftszweigen viele Frauen die zum Krieg eingezogenen Männer über Tage an zuvor verbotenen Stellen. Nach der Demobilisierung 1918 sollten aber wieder Männer die Arbeit übernehmen. Bei anhaltendem Arbeitskräftemangel wurden Frauen aber weiterhin eingesetzt, zumal die geschickten und gleichzeitig billigen Arbeitskräfte für Unternehmen von Interesse blieben und viele Frauen, besonders die Kriegswitwen, eine Verdienstmöglichkeit benötigten, wie Christina Vanja herausgearbeitet hat.

 

Oft sind es lediglich Zahlen, die uns bezüglich der Beschäftigung von Frauen auf den Zechen in den Quellen begegnen. So bei der Genehmigung von 30 weiblichen Arbeiterinnen auf den Schachtanlagen der Zeche Ver. Hamburg und Franziska in Witten im November 1915. „Um zahlreichen Anfragen nach Beschäftigung seitens des weiblichen Teils unserer Arbeitnehmerschaft nachkommen zu können und gleichzeitig den von Monat zu Monat steigenden Mangel an Arbeitskräften für unseren Grubenbetrieb zu mildern“, wurde die Beschäftigung bei der Kohleverladung, beim Ausklauben von Bergen, d. h. der Sortierung von Kohle und taubem Gestein von Hand am Leseband, bei der Brikettverladung, bei der Kesselascheverladung, bei den Arbeiten auf dem Holzplatz sowie bei der Ziegelherstellung beantragt und weitestgehend genehmigt (montan.dok/BBA 40/46). Für dieselbe Schachtanlage bestand knapp ein Jahr später sogar der Wunsch, auch 30 Frauen unter Tage einzusetzen (vgl. ebd.). Noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs meldete die Bezirksgruppe Siegen im Mai 1939 für die Erzgruben ihrer Zuständigkeit die Anzahl der Arbeiterinnen, die in der Aufbereitung eingesetzt wurden, wobei die noch zu geringe Zahl der zur Verfügung stehenden Frauen bemängelt wurde (montan.dok/BBA 15/283). Im Vergleich zum Ersten Weltkrieg war dann der Einsatz von einheimischen Frauen im Bergbau während des Zweiten Weltkriegs gering. Vor allem zur Zwangsarbeit herangezogene Männer sollten helfen, nun den kriegsbedingten Mangel an Arbeitskraft auszugleichen.

 

Wieder nur als Zahl tauchen beispielsweise Frauen auf, die in der Werksküche der Zeche Hannover drei Jahre nach dem Krieg tätig waren (vgl. auch im Folgenden montan.dok/BBA 20/970). Es ging um eine Sondergenehmigung von Nachtarbeit, die ansonsten für die weiblichen Angestellten verboten war. Aufgrund der fehlenden Kühlmöglichkeiten und der ansonsten kaum möglichen pünktlichen Lieferung des Essens mussten 20 Frauen in der Nacht für die Morgenschicht 3900 Butterbrote vorbereiten und Kartoffeln schälen sowie Essen für den weiteren Bedarf vorkochen.

 

Ab und an finden sich aber auch Namen von Frauen, so in einer Liste mit 31 weiblichen Personen, die für die Königliche Berginspektion 2 in Gladbeck im Mai 1916 arbeiteten und Kriegsunterstützung erhielten (montan.dok/BBA 32/850). Neben Namen, Wohnort, sämtlich Gladbeck, und Beginn der Beschäftigung sind der Lohn pro Schicht und das Krankengeld pro Tag aufgeführt. Für die Zeche Ewald in Herten ist eine Belegschaftsliste für die Jahre 1912 bis 1918 erhalten geblieben. Ab 1915 tauchen neben Männern auch Frauen als Beschäftigte hierin auf. Leider beschränken sich die Angaben zu den Frauen auf den Namen und Beschäftigungszeitraum. Nur ab und an ist auch im Bemerkungsfeld etwas vermerkt, wie „Mann aus dem Feld zurück“ (montan.dok/BBA 4/1680). Für die jüngere Zeit finden sich auch Stammkarten der auf derselben Zeche beschäftigten Arbeiterinnen. Diese Karten geben ausführliche Informationen zu den einzelnen Personen, wie Geburtsdatum und -ort, Wohnort, Religionszugehörigkeit und Familienstand sowie die genaue Beschäftigung auf der Zeche und noch einiges mehr (vgl. u. a. montan.dok/BBA 4/1626). Als Köchin oder Küchenhilfe, Putzfrau oder Gartenarbeiterin waren die Frauen hier am Ende des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit beschäftigt oder arbeiteten in der „Wäscherei“ (vgl. ebd.). Für die Zeche Dahlbusch in Gelsenkirchen gibt es einige Abkehrbüchern von Frauen, die hier zwischen 1916 und 1935 als Milchausgeberin, Putzfrau, Hilfsarbeiterin oder im Sekretariat beschäftigt waren (montan.dok/BBA 88/1388, 1468, 1487, 1520, 1539 und 1540).

 

Der Wunsch besteht, solche Überlieferungen zu digitalisieren und detaillierter zu erschließen, um sie für Forschung und genealogische Interessen zur Verfügung zu stellen. Doch diese Vorhaben sind ein aufwendiges Unterfangen. Neben der Klärung von Sperrfristen zum Schutz personenbezogener Daten braucht es finanzielle und personelle Ressourcen, um die Überlieferungen entsprechend aufzuarbeiten. Zukünftig könnte hierfür vonseiten des montan.dok auf die Hilfe von interessierten Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftlern gesetzt werden. Dann lassen sich vielleicht auch Fragen nach der eigenen Oma, die im Bergbau tätig war, klären.

 

01. März 2023 (Dr. Maria Schäpers)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 4/1626, 4/1680, 15/283, 20/970, 32/850, 40/46, 88/1388, 1468, 1487, 1520, 1539, 1540

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 027300071001

 

Cramm, Tilo: Bergbau ist nicht eines Mannes Sache. Das Bergwerk Victor-Ickern in Castrop-Rauxel, 2. vollstg. überarbeitete und erw. Aufl., Essen 2000.

 

Kift, Dagmar: Die Männerwelt des Bergbaus, Essen 2011 (= Schriften der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets, Nr. 32).

 

Kroker, Evelyn/Farrenkopf, Michael: Grubenunglücke im deutschsprachigen Raum. Katalog der Bergwerke, Opfer, Ursachen und Quellen, 2., überarb. und erw. Aufl., Bochum 1999 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 79; = Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 8).

 

Seidel, Hans-Christoph: Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg. Zechen – Verbände – Bergarbeiter – Zwangsarbeiter, Essen 2010 (= Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen. Schriftenreihe C, Arbeitseinsatz und Zwangsarbeit im Bergbau, Nr. 7).

 

Vanja, Christina: Bergarbeiterinnen. Zur Geschichte der Frauenarbeit im Bergbau, Hütten- und Salinenwesen, Teil II: Die Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau 40, 1988, S. 128-143.

 

Vanja, Christina: Frauenarbeit im Bergbau – ein Überblick, in: Kroker, Evelyn/Kroker, Werner (Bearb.): Frauen und Bergbau. Zeugnisse aus fünf Jahrhunderten. Ausstellung des Deutschen Bergbau-Museums Bochum vom 29. August bis 10. Dezember 1989, Bochum 1989 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 45), S. 11-29.