Eine Taschenuhr zum Betriebsjubiläum - Die wechselnde Bedeutung eines Erinnerungsstücks
Die Erinnerung an die Vergangenheit wird gerne in Form von Jubiläen begangen: Ob es der runde Geburtstag oder das Betriebsjubiläum ist, die Feierlichkeiten werden zum Anlass genommen, um auf Erreichtes zurückzuschauen und den Blick in die fernere Vergangenheit schweifen zu lassen. Dabei besteht die Besinnung auf die Geschichte manchmal eher aus schon häufig wiederholten Erfolgsgeschichten als in einem selbstkritischen Rückblick. Über die Selektivität mancher Erinnerungen sagen die im Archiv verzeichneten Objekte auf den ersten Blick wenig aus. Bei der Recherche hat man lediglich Spuren der Vergangenheit vor sich, und die Informationen aus den Archivdatenbanken bieten möglichst exakte und detaillierte Hinweise zum Inhalt und Entstehungskontext der Quelle. Die Geschichte hinter den Objekten, Fotos und Akten muss noch erzählt werden.
Die Frage nach den Einseitigkeiten eines Erinnerns im Rahmen der Verabschiedung eines lang gedienten Mitarbeiters stellt sich für den Bergbau grundsätzlich in gleicher Weise wie für jeden anderen Berufszweig. Bei der Ehrung eines Jubilars wurden und werden gerne Geschenke für langjährige Dienste verteilt. Im einen Fall mag es die Taschenuhr mit eingravierten Jahren der Betriebszugehörigkeit sein und im anderen ein Wandteller mit branchentypischem Motiv.
Als Objekt des Monats ist daher eine Taschenuhr aus den Musealen Sammlungen des montan.dok am Deutschen Bergbau-Museum Bochum herangezogen worden, um verschiedene Bedeutungsebenen eines historischen Objekts zu reflektieren.
Auf dem Rückdeckel der Taschenuhr befindet sich eine plastische Darstellung von zwei Berg- und Hüttenarbeitern, die Umschrift „Für 40 jährige treue Mitarbeit Mansfeldscher Kupferschieferbergbau AG“ und ein Hakenkreuz. Letzteres wurde nachträglich ausgekratzt. Die Uhr weist starke Gebrauchsspuren auf, der Stundenzeiger ist verbogen, das Uhrglas vergilbt und verkratzt und am unteren Rand des Zifferblatts sind Absplitterungen zu erkennen. Anhand der auf dem Staubdeckel eingravierten Daten der Betriebszugehörigkeit des Beschenkten lässt sich die Uhr etwa auf das Jahr 1939 datieren. Die Uhr wurde im Jahr 2008 vom damaligen Museumsdirektor Prof. Dr. Rainer Slotta auf einer Dienstreise nach Mansfeld erworben.
Der nur unvollständig gelungene Versuch zur Tilgung des NS-Hakenkreuzes erregt die Aufmerksamkeit des heutigen Betrachters und macht die Taschenuhr über ihre ursprüngliche Funktion als Erinnerung an die 40-jährige Mitarbeit auch zu einem Zeugnis des späteren Umgangs mit dem Jubiläum. Verschiedene Ebenen der Jubiläumskultur überschneiden sich symbolisch in dem Objekt und lassen es – unabhängig von den ursprünglichen Intentionen der Handelnden – zu einem anschaulichen Beispiel für die Vielschichtigkeit der Jubiläumskultur werden.
Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann führt drei unterschiedliche Funktionen von Jahrestagen an, die sich auf die Ehrengabe der Mansfeldschen Kupferschieferbergbau AG beziehen lassen: Interaktion und Partizipation, Wir-Inszenierung und Anstoß zur Reflexion. Auf der Ebene der Interaktion und Partizipation wird die Vergangenheit in einer Gemeinschaft reaktiviert. Beim gemeinsamen Erinnern entsteht eine Verbindung zwischen den Beteiligten, und die Geschichte kehrt gewissermaßen in der Gegenwart wieder. Die Wir-Inszenierung besteht in der Darstellung der kollektiven Identität einer Gruppe, deren Mitglieder im Jubiläum eine Möglichkeit erblicken, das eigene Selbstbild in die Gesellschaft zu tragen. Die Reflexion beinhaltet die Neudeutung der ritualisiert wiederkehrenden Jahrestage und damit einen veränderten Blick auf die eigene Geschichte unter den Eindrücken der Gegenwart.
Die verschiedenen Funktionen des Jubiläums lassen sich mit Hilfe der Taschenuhr veranschaulichen: Interaktion und Partizipation spiegeln sich in der Jubiläumszeremonie, an die das Geschenk seinen Träger (auch) erinnern sollte. Als Wir-Inszenierung kann das ursprüngliche Hakenkreuz im Zusammenhang mit dem Schriftzug zum Betriebsjubiläum interpretiert werden, weil hier ein persönlicher Jahrestag in den Kontext des gesellschaftlichen Kollektivs der damaligen Zeit gestellt wird. Die Reflexion beinhaltet die Neudeutung der ritualisiert wiederkehrenden Jahrestage und damit im Fall der Taschenuhr den Versuch zur Tilgung einer Erinnerung. Diese Deutung der Taschenuhr ist eine mögliche Perspektive auf die Symbolwirkung des Objekts. Über die tatsächlichen Beweggründe der im historischen Kontext Betroffenen wird dabei keine Aussage gemacht. Letzteres wird auch im Rahmen dieses Textes nicht angestrebt und wäre zudem aufgrund der spärlichen Quellenlage kaum möglich.
Schließlich müsste man offensichtlich die Anerkennung für die Arbeit des Jubilars ergänzen, die ihm durch die Taschenuhr von seinem Arbeitgeber ausgesprochen wird. Da sich Aleida Assmann nicht mit Betriebsjubiläen, sondern mit Jahrestagen allgemein beschäftigt, taucht dieser Punkt in Assmanns Ausführungen nicht auf. Jahrestage können sich auf ganz unterschiedliche Ereignisse von herausragender historischer Bedeutung beziehen. Beim Betriebsjubiläum dagegen geht es immer um die Erinnerung an die Jahre der Betriebszugehörigkeit. Das Betriebsjubiläum kann dementsprechend als eine Sonderform des Jahrestages bezeichnet werden, die neben den gemeinsamen Bedeutungsebenen als spezifisches Unterscheidungsmerkmal noch die Erinnerung an die langjährige Mitarbeit aufweist.
01. Februar 2018 (Jens Brokfeld, M.A.)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) am Deutschen Bergbau-Museum Bochum 030007701001
Aleida Assmann: Jahrestage – Denkmäler in der Zeit, in: Jubiläum, Jubiläum..., Essen 2005, S. 305- 314.
Verein Mansfelder Berg- und Hüttenleute e.V., Lutherstadt Eisleben und Deutsches Bergbau-Museum Bochum (Hrsg.): Mansfeld – Die Geschichte des Berg- und Hüttenwesens, [Band 1-3], Eisleben und Bochum 1999, 2004, 2008 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 80, 126, 165).