Ein kleiner Schutz für den tierischen Mitarbeitenden unter Tage
Seit der Abschaffung von Kinder- und Frauenarbeit unter Tage durch den Mines Act von 1842 wurden in Großbritannien Pferde in größerer Zahl für den Transport eingesetzt. Schätzungen gehen von bis zu 200.000 Pferden für das Jahr 1872 im Vereinigten Königreich aus, 1914 waren es über 70.000, 1947 noch 21.000. In Deutschland waren im Vergleich dazu nur wenige Pferde unter Tage. Grubenpferde wurden überwiegend im Ruhrgebiet eingesetzt, dabei wurde selbst in Spitzenzeiten um das Jahr 1910 nie die Marke von 9.000 Tieren erreicht.
Im Januar 1947 übernahm das National Coal Board die britischen Bergwerke, nachdem die Verstaatlichung im Coal Industry Nationalisation Act von 1946 beschlossen worden war. Das 2018 erworbene Zaumzeug (montan.dok 037000119001) ist an zwei Stellen mit der Buchstabenfolge „NCB“ versehen, was auf genau diese Organisation schließen lässt.
Wenige Monate nach der staatlichen Übernahme der Kohlenindustrie erschien das Magazin „Coal“, das vom National Coal Board herausgegebenen wurde, zum ersten Mal. Der Anspruch war, wie in der ersten Ausgabe zu lesen ist, nicht Werbung für die eigene Sache zu betreiben, sondern dass der Inhalt zu einem Großteil von den Bergeleuten selbst stammen würde. Die Frage nach dem Erfolg sei einmal dahingestellt. Viel interessanter an dieser Stelle sind die vielen Nachrichten, die in der bis 1961 erschienen Zeitschrift über Grubenpferde zu finden sind. Von rein statistischen Angaben zur Anzahl von Grubenpferden auf Zechen, über persönliche Erlebnisse mit den tierischen Mitarbeitenden, über Auszeichnungen bei Wettbewerben und Inspektionen durch die Queen bis hin zu Angaben über Pflege und Arbeitstag der Vierbeiner finden sich zahlreiche Nachrichten zu den meist als „pit ponies“ bezeichneten Grubenpferden. Selbst in Kurzgeschichten und Cartoons, die zur Unterhaltung der Leserschaft in den Magazinen abgedruckt wurden, spielen die Pferde eine Rolle. Bei der hohen Anzahl an Grubenpferden auf den Zechen ist es kaum verwunderlich, dass die Vierbeiner diese Aufmerksamkeit in der Zeitschrift erfuhren.
Dabei klingt durchaus ein Zwiespalt in Bezug auf die Tiere unter Tage an: Einerseits war eine hohe Mechanisierung erwünscht, andererseits schien in vielen Bergwerken ein Verzicht auf die Arbeitstiere nicht möglich. Dies wird beispielsweise in einer Anmerkung zu einem Leserbrief deutlich, in dem von über hundert Pferden und den in allen Bereichen verbreiteten händischen Arbeiten im walisischen Bergwerk Tirpentwys berichtet wird. Der Herausgeber schrieb dazu im Juli 1953: „Eigthy-three per cent of last year’s total output [226 million saleable tons] was cut by machine methods. Nearly five per cent was power loaded. Nearly 90 per cent was, at one haulage stage or another, mechanically conveyed. Not all pits can accommodate mechanical haulage throughout.“ Grubenpferde blieben auch später noch wichtige Arbeitsmittel. Die letzten beiden Pferde verließen erst in den Jahren 1994 bzw. 1999 ihre Bergwerke. In Deutschland wurden die letzten Pferde schon 1966 in den Ruhestand versetzt.
Zwar bemühten sich die Gesetzgebenden immer wieder um das Wohl der Tiere unter Tage, aber die Grubenpferde mussten Schwerstarbeit verrichten. In einer Kurzgeschichte von Jack Griffith in der Märzausgabe von „Coal“ aus dem Jahr 1949 wird anschaulich ein harter Arbeitstag von Grubenpferd Boxer beschrieben. Während seiner Schicht muss das Pferd all seine Kraft aufbieten, um einen entgleisten Förderwagen wieder auf die Schienen zu bringen und an anderer Stelle einen festgefahrenen Wagen so heftig ziehen, dass es mit den Vorderläufen fast einknickt und mit dem Bauch den Boden berührt. Schweißgebadet kehrt es am Ende der Arbeit in einen wenig gepflegten Stall zurück, in dem es sich mit Mäusen sein Futter im Trog teilen muss. Dass sein Schlepper Bob ihm liebevoll über eine alte Narbe streichelt, erinnert an die hohe Verletzungsgefahr, der die Pferde tagtäglich ausgesetzt waren.
Im Mai 1949 erschien dann ein Artikel über ein eigens eingerichtetes Krankenhaus für Grubenpferde in der South-Western Division des National Coal Board. Hier wird wieder ganz das Bemühen um die Tiere und deren gute Pflege betont: Nicht mehr als sieben oder acht Schichten pro Woche würden die Pferde arbeiten. Gute und ausgewogene Fütterung, intensive Fellpflege und regelmäßige Ferien über Tage seien gegeben. Es sei sogar ein Wettbewerb um die Frage, wo die bestgehaltenen Pferde untergebracht seien, zwischen den einzelnen Bergwerken zu beobachten. Dabei bemerkt der Autor: „Several of the colliery horses have been entered at shows and have won prizes“. (Evans, Hospital, S. 18)
Zwar bietet das Magazin in all den Beiträgen nirgendwo eine genaue Beschreibung des Zaumzeugs der Pferde unter Tage, aber auf den beigegebenen Fotografien und Zeichnungen ist die Zäumung der Tiere zu erkennen. Sie entspricht weitestgehend dem 2018 erworbenen Zaumzeug, das vermutlich in die 1950er-Jahre datiert. Gesetzliche Bestimmungen in Bezug auf das Zaumzeug für die Grubenpferde beinhalten keine detaillierten Vorgaben, zielen aber auf den guten Zustand und die jeweils passende Form ab. Zudem war es schon durch den Coal Mines Act 1911 verpflichtend, einen Schutz für die Augen der Pferde sicher zu stellen. Dies wurde in der Coal and Other Mines (Horses) Order 1956 bekräftigt. Das vorliegende Objekt ist aus braunem Leder und mit Polsterungen im Bereich von der Stirn zwischen den Ohren bis zum Genickriemen versehen. Das Leder im Stirnbereich bis zu den Augen wird nur durch vier kreisrunde Löcher unterbrochen, zudem sind die seitlichen Öffnungen für die Augen ausgespart. Diese sind zu zwei Dritteln mit verstärkten Klappen ausgestattet. Der geforderte Schutz des Kopfes und besonders der Augen wurde damit offenbar gewährleistet. Genick- und Kehlriemen sind verstellbar, ein nicht verstellbarer Riemen leicht oberhalb des Kinns ist mit zwei D-förmigen Ringen angebracht. Es handelt sich hier um eine gebisslose Zäumung. Eine solche trägt auch das letzte Grubenpferd in Wales, wie auf einer Fotoaufnahme zu erkennen ist.
In Großbritannien waren unterschiedliche Rassen von Ponys und Pferden im Bergbau im Einsatz. Je nach Aufgabe und räumlichen Gegebenheiten variierte die Größe der eingesetzten Tiere. Die Abmessungen des Zaumzeugs – Höhe 38 cm, Breite 21 cm und Länge 16 cm – lassen wohl auf ein Pony schließen. Nähere Informationen zu dem Tier, das das Zaumzeug getragen hat, oder zu seinem Einsatzort sind leider nicht bekannt. Dennoch ist es eines der wenigen Objekte, die Zeugnis über den Einsatz von Grubenpferden über Deutschland hinaus ablegen. Es stellt damit eine besondere Bereicherung der im Montanhistorischen Dokumentationszentrum gepflegten Musealen Sammlungen dar. Einem breiten Publikum wurde das Zaumzeug als Ergänzung zu Hufeisen und Namensschild eines deutschen Grubenpferdes zuletzt im Rahmen der Ausstellung „Das Zeitalter der Kohle. Eine europäische Geschichte“ im Jahr 2018 auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein präsentiert. Die Gemeinschaftsausstellung des Ruhr Museums und des Deutschen Bergbau-Museums Bochum wurde ermöglicht durch die RAG-Stiftung im Rahmen der Initiative „Glückauf Zukunft!“.
03. Februar 2021 (Dr. Maria Schäpers)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 037000119001
Coal. The N.C.B. Magazin, online abrufbar unter: https://www.ncm.org.uk/library/research/digitised-coal-magazine (Stand 02.02.2021).
Coal Mines Act 1911, online abrufbar unter: http://www.dmm.org.uk/books/cma11-00.htm (Stand 02.02.2021).
Coal and Other Mines (Horses) Order 1956, online abrufbar unter: https://www.legislation.gov.uk/uksi/1956/1777/schedules (Stand 02.02.2021).
Editor: Anmerkung zu Leserbrief „Old Custom Maintained“ in Rubrik „Letters“, in: Coal, Juli, 1953, S. 16.
Evans, Islwyn: Hospital for Horses, in: Coal, Mai, 1949, S. 18.
Evans, Margaret: Ghosts of the Coal Mines, in: https://www.horsejournals.com/popular/history-heritage/ghosts-coal-mines (Stand 02.02.2021).
Ganzelewski, Michael: Besondere Zugänge in den Musealen Sammlungen, in: Deutsches Bergbau-Museum Bochum (Hrsg.): Jahresbericht 2018, Bochum 2019, S. 86 f.
Gilhaus, Ulrike: Kumpel auf vier Beinen. Grubenpferde im Ruhrbergbau, Essen 2010 (= Veröffentlichungen des Westfälischen Industriemuseums, Kleine Reihe, Nr. 29).
Griffith, Jack: Other Horses. Short Story, in: Coal, März, 1949, S. 24 f.
Hyndley, John: Message from Lord Hyndley, in: Coal, Mai, 1947, S. 2.
National Coal Mining Museum: Factsheets Pit Ponies, online abrufbar unter: https://www.ncm.org.uk/learning/learning-resources/mining-factsheets (Stand 02.02.2021).