„Die Pyramiden der Wismut“ – Uranerzbergbau aus der Perspektive eines Künstlers
Das 1959 in Öl auf Hartfaserplatte (Breite 1,4 m, Höhe 0,75 m) gemalte und signierte Gemälde von Manfred Riedl (1924-1999) mit dem Titel „Erzbergbau“ zeigt einen Bergbaubetrieb der SDAG Wismut innerhalb einer wenig bewaldeten Landschaft (montan.dok 037000681001). Umrahmt von vier Spitzkegelhalden liegt zentral ein Fördergerüst, auf dem die rote Flagge der Sowjetunion weht. Letzteres ist umgeben von mehreren kleineren Gebäuden der Tagesanlagen, die aus unterschiedlichen Materialien gebaut sind. Teilweise handelt es sich um Stein- und Fachwerkgebäude, auch Holzbaracken sind erkennbar. Mehrfach sind Personen dargestellt, wobei vor allem vier Arbeiter auf dem Materiallagerplatz im Vordergrund einen wenig hektischen Eindruck vermitteln. Der gesamte Platz scheint kaum befestigt, wirkt eher einfach gestaltet und aufgebaut. Links befindet sich ein LKW-ähnlicher Bus, bei dem es sich vermutlich um einen SIS 150 handelt. Diese grauen Busse aus sowjetischer Produktion wurden, mit rund 20 Sitzplätzen ausgestattet, ab den späten 1940er-Jahren zum Transport der Bergarbeiter zu den Betrieben eingesetzt.
Bestimmendes Element der Darstellung und typisch für den Uranerzbergbau in der DDR sind die vier Spitzkegelhalden (bei der Wismut auch „Terrakonik“ genannt). Als dieser in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den erzgebirgischen Revieren Fahrt aufnahm, entstanden bereits zahlreiche Haldenaufschüttungen des Erz- und Bergematerials. Hierzu dienten häufig Skipförderanlagen, die im Bild auf drei Halden wiedergegeben sind. Spitzkegelhalden waren die landschaftlich prägnantesten Hinterlassenschaften der Erzschachtanlagen in Thüringen bei Ronneburg und im Verlauf des sächsischen Erzgebirges. Sie waren das Ergebnis des „totalen Bergbaus“, der z. B. in Oberschlema von 1949 bis 1952 sogar den Ortskern durch Haldenschüttungen stark beeinflusste. Problematisch wegen ihrer radioaktiv strahlenden Inhalte und anderer Gefahren standen manche Halden bereits seit der Gründung der Bergsicherung Schneeberg im Jahr 1957 im Fokus von Bemühungen um die Wiederurbarmachung der stark beeinflussten Landschaft.
Mit der politischen Wende und der Einstellung des Uranerzbergbaus 1990 wurde die Haldensanierung zu einem Mammutprojekt des aus der SDAG Wismut hervorgegangenen Sanierungsunternehmens Wismut GmbH. Die ab 1991 entwickelten Sanierungskonzepte sahen die Umlagerung oder die In-Situ-Verwahrung vor. Besonders spektakulär wurden die Halden südlich der Bundes-Autobahn 4 bei Ronneburg in das Tagebaurestloch Lichtenberg umgelagert. Zu den umgelagerten Halden gehören auch die Kegelhalden Paitzdorf und Reust, die unter dem Namen „Pyramiden von Ronneburg“ bekannt geworden sind. Von den Doppelspitzkegelhalden des Uranerzbergbaus sind im Vogtland noch die bepflanzten Halden des Schachtes 362 in Mechelgrün erhalten. Sie stehen bereits seit 1979 als technisches Denkmal unter Schutz.
Dank eines Kontaktes zu einem Zeitzeugen gelang es, die dargestellte Landschaft genauer einzuordnen. Danach handelt es sich um den Schacht 354 – auch „Zentralschacht“ genannt – im Bergrevier Zobes-Bergen im Vogtland. Die auf dem Gemälde linksseitigen Spitzkegelhalden gehören zum Schacht 354, die rechtsseitigen im Hintergrund zum Schacht 320. Nach Aussage des Zeitzeugen, der im Bergrevier Zobes-Bergen gearbeitet hat, deckt sich die Datierung „1959“ in der Signatur des Gemäldes nicht mit der tatsächlichen Situation des Standortes in diesem Jahr, da bereits die Schließung des Schachtes erfolgt war. Es kann also vermutet werden, dass Manfred Riedl das Gemälde anhand bereits Jahre zuvor angefertigter Skizzen geschaffen hat. Zwar wirkt Manfred Riedls Darstellung heute wie eine Landschaft in der Wüste Afrikas mit ägyptischen Pyramidenbauten im Hintergrund, doch dürfte dem Künstler 1959 mehr daran gelegen haben, ein aus seiner Sicht akzeptiertes, vielleicht auch idealisiertes Bild der Landschaft und des Uranerzbergbaus zu schaffen. Denn der Landschaft des Vogtlandes und des Erzgebirges war Manfred Riedl sehr verbunden.
Laut Auskunft des Verkäufers hing das Gemälde im ehemaligen Bergarbeiter-Krankenhaus der Wismut in der thüringischen Stadt Gera. Erst wenige Tage bevor das montan.dok auf das Angebot aufmerksam wurde, hatte es der Händler dort erworben und abgeholt. Nach längerem Leerstand wird der gesamte Krankenhauskomplex, dessen Eigentümer die Stadt Gera ist, aktuell als Erstaufnahmestelle für Asylsuchende eingerichtet. Das dürfte der wesentliche Grund dafür sein, dass das Gemälde in den Handel gelangte.
Wie aber war das Bild nach Gera gekommen? Die SDAG Wismut übernahm im August 1949 das Alten- und Siechenheim in Obergöltzsch im Vogtland und funktionierte es den Bedürfnissen entsprechend in ein Bergarbeiter-Krankenhaus um. Das Krankenhaus lag nur ca. 3 Kilometer vom Heimatort Manfred Riedls entfernt. Es kann vermutet werden, dass Riedl einen Auftrag für das Bild erhalten hatte oder es durch die Industriegewerkschaft Wismut (IG Wismut) aus einer Kunstausstellung heraus für das Bergarbeiter-Krankenhaus Obergöltzsch angeschafft wurde. Riedl selbst war zu der Zeit, als er das Bild schuf, als freischaffender Maler und Grafiker tätig. Die IG Wismut war in der DDR nicht nur Träger der Sozialversicherung für die im Uranerzbergbau Beschäftigten mit eigenem Gesundheitswesen und den zugehörigen Einrichtungen, sondern auch ein breit aufgestellter Förderer kultureller Aktivitäten und Maßnahmen. Als zu Beginn der 1960er-Jahre zahlreiche ausgebeutete Bergbaustandorte im Vogtland und im Erzgebirge zugunsten ertragreicherer Standorte aufgegeben wurden, erfolgte auch die Verlagerung der Gesundheitseinrichtungen. Das Bergarbeiter-Krankenhaus in Obergöltzsch wurde am 01.01.1963 an das staatliche Gesundheitswesen übergeben und im gleichen Jahr das neue Bergarbeiter-Krankenhaus in Gera eröffnet. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Gemälde von Obergöltzsch nach Gera mit umgezogen ist und seither bis zum Dezember 2020 in diesem Gebäude hing.
Auch wenn es nicht zu den umfangreichen Beständen der Wismut GmbH gehört, kann das Bild als Teil des „Wismut-Erbes“ gelten. Seit vielen Jahren pflegt und sammelt die Wismut GmbH materielle Überlieferungen aus dem Unternehmensbesitz. Dazu zählen Film- und Fotobestände, aber auch eine Lagerstättensammlung des sächsisch-thüringischen Uranerzbergbaus. Aus der kulturpolitischen Aktivität der SDAG Wismut befinden sich rund 4300 Kunstwerke (Gemälde, Zeichnungen, Grafiken) von etwa 480 bildenden Künstlern im Besitz der Wismut GmbH. Hinzu kommen Bestände in staatlichen Archiven und Bergbau-Traditionsvereinen. Mit dem Ankauf des Gemäldes von Manfred Riedl und der Erweiterung der Objekt-Sammlungen zum Bergbau trägt das montan.dok seinen Teil dazu bei, das „Wismut-Erbe“ nicht nur zu bewahren. Durch die Einbindung der Objekte in wissenschaftliche Projekte wie „Umweltpolitik, Bergbau und Rekultivierung im deutsch-deutschen Vergleich. Das Lausitzer Braunkohlenrevier, die Wismut und das Ruhrgebiet (1949-1989/2000)“ findet deren Beforschung ebenso statt wie die museale Präsentation und Vermittlung in der Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“.
01. Januar 2023 (Dr. Michael Ganzelewski)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 037000681001
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) (Hrsg.): Wismut. Bergbausanierung – Verantwortung übernehmen, Zukunft gestalten, Berlin 2021.
Ganzelewski, Michael: Bergbauentwicklung und Umwelteinflüsse, in: Farrenkopf, Michael/Göschl, Regina (Hrsg.): Gras drüber… Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich, Bochum 2022 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 251; = Schriften des Montanhistorischen Dokumentationszentrums, Nr. 44), S. 81-97.
Hiller, Axel/Schuppan, Werner: Das Lagerstättengebiet Zobes-Bergen im Vogtland und benachbarte Uranvorkommen im Bereich des Bergener Granitmassivs, Freiberg 2016.
Neef, Anna: 50 Jahre Bergsicherung Schneeberg, Freiberg 2007.
Sparkasse Vogtland (Hrsg.): Zeitgenössische Kunst aus dem Vogtland, Plauen 2000.
Verein zur Förderung und Erforschung der Traditionen des sächsisch/thüringischen Uranbergbaus e.V. (Bergbautraditionsverein Wismut) (Hrsg.): Die Pyramiden von Ronneburg – Uranerzbergbau in Ostthüringen, Hartenstein 2006.
Weber, H.: Der Wismut-Bergbau in den zwei Uranerzbezirken von Bergen und Zobes im Vogtland, in: Lapis, 17 (7/8), 1992, S. 34-50.
Wismut GmbH (Hrsg.): Chronik der Wismut – Mit erweitertem Sanierungsteil (1998-2010), Chemnitz 1999/2010, online unter: https://www.wismut.de/de/veroeffentlichungen.php?id=614&back=veroeffentlichungen.php%3Fyear%3D0%26index%3D0 (Eingesehen: 01.12.2022).
Manfred Riedl (1924-1999). Unter: https://www.falkart.de/die-k%C3%BCnstler/manfred-riedl-1924-1999/ (Eingesehen: 01.12.2022).
Michelgrün. Unter: https://www.neuensalz.de/treuen/mechelgruen.asp (Eingesehen: 01.12.2022).
Klinikum Obergöltzsch Rodewisch, Über uns, Geschichtliches. Unter: https://www.klinikum-obergoeltzsch.de/ueber-uns/geschichtliches.html (eingesehen: 01.12.2022).
Industriegewerkschaft Wismut, in: Wikipedia. Unter https://de.wikipedia.org/wiki/Industriegewerkschaft_Wismut (Eingesehen: 01.12.2022).
Online-Portale: montandok.de. Unter: https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=286483 und museum-digital. Unter: https://nat.museum-digital.de/object/1072333 (Eingesehen: 13.12.2022).