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Eine „erste Locomotive mit Luftbetrieb“ der Maschinenbau AG Humboldt

Im Jahr 1875 sandte der Generaldirektor der Maschinenbau AG Humboldt, Martin Neuerburg, einen Brief an Berghauptmann Albert Ludwig Serlo nach Breslau. Darin beschreibt er eine Grubenlokomotive mit Druckluftantrieb. Zusammen mit den zeitgleich beim Bau des Gotthardtunnels eingesetzten Druckluftlokomotiven steht diese Maschine für den Beginn der gewerblichen Nutzung der Drucklufttechnik in der Lokomotivförderung.

Im Jahr 1875 sandte der Generaldirektor der Maschinenbau AG Humboldt, Martin Neuerburg, einen Brief an Berghauptmann Albert Ludwig Serlo nach Breslau. Darin beschreibt er eine Grubenlokomotive mit Druckluftantrieb. Zusammen mit den zeitgleich beim Bau des Gotthardtunnels eingesetzten Druckluftlokomotiven steht diese Maschine für den Beginn der gewerblichen Nutzung der Drucklufttechnik in der Lokomotivförderung.

 

Das Schreiben ist nahezu wortgleich mit einem kurzen Artikel über dieselbe Druckluftlokomotive der Firma Humboldt aus der Zeitschrift „Glückauf“ von 1875. Vermutlich wurde der Text zu Werbe- und Informationszwecken zirkuliert. Er enthält die zentralen technischen Daten zur Spurweite und zu den Abmessungen der Maschine. Zudem erfährt man bei der Lektüre, dass die Lokomotive mit zwei Zylindern ausgestattet war und über eine Umsteuerung zur Änderung der Fahrtrichtung verfügte. Auch eine Bremse und eine von Hand verstellbare Expansion zur Steuerung des Luftdrucks im Arbeitszylinder waren in dem Modell verbaut. Die Druckluftlokomotive wurde 1874 für den Aachen-Höngener Bergwerksverein gefertigt.

 

Einige Daten aus der handschriftlichen Beschreibung geben Aufschluss über Geschwindigkeit und Leistung der Maschine. Erstere betrug bei 5 bis 6 at Druck (1 at = 0,981 bar = 9,81.104 Pa) durchschnittlich 2 m/s (7,2 km/h). Die Lokomotive förderte 2000 Zentner (200 t) in einer 10-stündigen Schicht auf einer 950 m langen Strecke.

 

An den ersten Entwürfen für Druckluftlokomotiven wurde schon ab den 1820er-Jahren gearbeitet. Das Jahr 1874 markiert allerdings den erstmaligen Einsatz dieser Technik im Normalbetrieb. Neben dem Modell der Firma Humboldt, für das leider keine Zeichnung überliefert ist, setzte man in demselben Jahr Lokomotiven der Firma Schneider & Cie in vergleichbarer Konstruktionsweise beim Bau des Gotthardtunnels ein. Im Rahmen der Vortriebsarbeiten hatte man hier auch schon Erfahrungen mit dem Einsatz von Druckluft bei den Gesteinsbohrmaschinen gesammelt.

 

Vorerst konnten sich die Druckluftlokomotiven im Bergbau allerdings nicht durchsetzen. Die Gründe hierfür mögen in dem geringen Anfangsluftdruck der ersten deutschen Druckluftlokomotive liegen, der seine Ursache wiederum in der mangelnden Leistungsfähigkeit der damaligen Anlagen zur Drucklufterzeugung hatte. Auch das Fehlen eines Vorwärmers, welcher dem Vereisen der Maschine durch den Temperaturverlust sich ausdehnender (expandierender) Luft vorbeugen soll, könnte ein Grund gewesen sein. Verwendung fanden die druckluftbetriebenen Lokomotiven allerdings in der Folgezeit im französischen und nordamerikanischen Straßenbahnbetrieb.

 

Im Jahr 1893 wurde im Freiberger Erzbergbau erstmals ein dauerhafter Betrieb mit Druckluftlokomotiven aufgenommen. Zur gleichen Zeit erfolgte ihr Einsatz im nordamerikanischen Bergbau. Im Vergleich zum deutschen Bergbau fanden sich dort größere Streckenquerschnitte, die den allgemeinen Gebrauch vereinfachten. Erst 1908 erfolgte dann die Einführung im Ruhrbergbau mit einer Druckluftlokomotive der Berliner Maschinenbau-AG (vormals L. Schwartzkopff) auf Schacht Emscher in Altenessen durch den Kölner Bergwerks-Verein.

 

Der Absender und der Empfänger des Schreibens zur Druckluftlokomotive der Firma Humboldt werfen ein Licht auf die Hintergründe ihrer Entwicklung. Die beiden Herren waren in Bergbaukreisen während des 19. Jahrhunderts keine Unbekannten. Mit Johann Martin Gottfried Neuerburg (1825-1903) unterzeichnete ein Konstrukteur von Bergwerksanlagen und Gründungsmitglied der Firma Sievers & Co. den Brief. Aus der 1856 ins Leben gerufenen Fabrik für Bergbautechnik ging später die Maschinenbau-AG Humboldt hervor. Albert Ludwig Serlo (1824-1898) wurde nach seinem Studium in Berlin und einer Beschäftigung im Salinenwesen 1856 zum Bergassessor ernannt. Als berufliche Stationen folgten die Bergabteilung des Ministeriums für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten in Berlin sowie die Bergämter in Bochum, Dortmund und Saarbrücken.1866 wurde Serlo vorerst kommissarisch und im Folgejahr hauptamtlich zum Oberbergamtsdirektor in Breslau bestellt. Von 1878 bis 1884 war er als Oberberghauptmann Chef der preußischen Bergverwaltung in Berlin.

 

Ob sich der Berghauptmann Serlo für die neue Technik erwärmen konnte, die in der nüchternen Beschreibung der Druckluftlokomotive vorgestellt wird? Welche Argumente hätte der Generaldirektor der Kölner Maschinenfabrik ins Feld führen können?

 

Albert Ludwig Serlo selbst geht in seinem Leitfaden zur Bergbaukunde (4. Aufl., Band II, 1884) auf die Druckluftlokomotive aus dem Hause Humboldt ein und zieht den Vergleich zur Dampflokomotive. Letztere sei „für die unterirdische Förderung bisher nicht anwendbar gehalten worden, weil sie sehr hohe Förderstrecken erfordert und zur Beseitigung des Wasserdampfes und Rauchs besondere Wettervorrichtungen notwendig macht“ (S. 77). Die Firma Humboldt habe „zur Vermeidung aller Hindernisse der mit Dampf betriebenen Locomotiven […] Locomotiven mittelst Betrieb durch comprimierte Luft projectirt und […] bereits ausgeführt“ (S. 80).

 

Die Drucklufttechnik wurde von Serlo also vornehmlich als vielversprechende Alternative zur für den Betrieb unter Tage kaum geeigneten Dampflokomotive gesehen. Die „Kinderkrankheiten“ der neuen Technik in Form von Eisbildung bei der Expansion von Druckluft und die Schwierigkeiten bei der Speicherung hochkomprimierter Druckluft (Explosionsgefahr) waren derweil noch nicht ausgeräumt. In der parallelen Entwicklung von elektrischem Antrieb und Brennstofflokomotive erwuchs ihr zudem eine neue Konkurrenz. Die Druckluftlokomotive konnte ihre Stärken nach der Aufnahme eines dauerhaften Betriebes vorwiegend in schlagwettergefährdeten Gruben, bei verzweigtem Streckennetz und geringer Streckenhöhe zur Geltung bringen.

 

Der Brief zur ersten Druckluftlokomotive von Humboldt stammt aus dem Bestand „Sammlung Firmenprospekte“. Von dem ab 1884 als Maschinenbau-Anstalt Humboldt firmierenden Unternehmen sind neben diesem Schreiben schwerpunktmäßig Prospekte zu Aufbereitungsanlagen für Kohle und Erz überliefert. Die „Sammlung Firmenprospekte“ umfasst Produktblätter, Kataloge, Handbücher und Gebrauchsanweisungen von ca. 2000 Unternehmen der Bergbauzulieferindustrie. Ihre Erschließung im Rahmen des Projekts „montan.dok 21“ ermöglicht sowohl eine gezielte Auswertung der Publikationen in ihrer Funktion als Werbemittel als auch im Hinblick auf technische Eigenschaften und bildliche Repräsentation der Produkte. Zudem wird durch die Verzeichnung eine Grundlage für die Objektdokumentation und -forschung geschaffen.

 

01. März 2019 (Jens Brokfeld, M.A.)

 

Transkription

 

Maschinenbau-Actien-Gesellschaft

Humboldt vormals Sievers & Co.

 

Beschreibung und Leistung

 

Unserer ersten Locomotive mit Luftbetrieb

 

Diese von uns für den Aachen-Höngener-Bergwerks-Verein gebaute Luftlokomotive soll pro Tag in 10stündiger Arbeitsschicht 2000 Ctr. Kohlen auf einer 950 Meter langen Strecke fördern.

 

Die Spurweite war dabei zu 520 m/m angegeben, die Strecke ist 2200 m/m hoch, und 2500 m/m breit; es sollten 2 Maschinen neben einander herlaufen können.

 

Die räumlichen Dimensionen der Maschine selbst sind 1100 m/m Breite bei 2000 m/m Höhe und 4000 m/m Länge.

 

Die Maschine hat 2 Cylinder von 160 m/m Durchmesser und 320 m/m Hub, ist mit Umsteuerung, Bremse und mit von Hand verstellbaren Expansion versehen.

 

Auf Verlangen kann die Maschine auch so gebaut werden, daß dieselbe die Expansion selbstthätig verstellt, so daß bei abnehmenden Druck im Windreservoir der Füllungsgrad im Cylinder in demselben Maaße zunimmt.

 

Das Füllen des Luftreservoirs, welches auf der Maschine liegt, und 2 ½ Cubikmeter Inhalt hat, geschieht durch Anschließen an eine Luftrohrleitung mittelst eines Schlauches und eines besonders dafür construirten Füllhahnes, durch welchen man bei einem einzigen Griff

 

  1. den Anschluss an die Luftrohrleitung
  2. das Oeffnen des Hahnes von der Luftrohrleitung
  3. das Oeffnen des Hahnes vom Luft-Reservoir

erzielt; ebenso leicht und sicher geschieht das Schließen der Hähne und das Lösen des Schlauches mit einem Griff.

 

Das Füllen selbst kann in einer Minute geschehen, wenn das Haupt-Reservoir groß genug ist.

 

Mit der Maschine können Curven von 8 Meter Radius befahren werden.

 

Bei den Versuchen, welche auf dem hiesigen Werke mit der Maschine gemacht wurden auf einer Strecke, in welcher Steigungen von 1:300 und eine im Halbkreis gebogene Curve von ca. 8 Meter Radius vorkamen, zog die Maschine bei 5 Atmosphären Anfangsspannung 200 Centner brutto auf 240 Meter Entfernung in 2 ½ Minuten; die Endspannung betrug hierbei noch 1 Atmosphäre Unterdruck.

 

Bei einem 2ten Versuch, welcher mit 6 Atmosphären Anfangsspannung gemacht wurde, zog die Maschine in der geraden Strecke 200 Centner Bruttolast auf 500 Meter Entfernung (wobei alle 100 Meter umgesteuert wurde) mit durchschnittlich 2 Meter Fahrgeschwindigkeit in der Sekunde.

 

Wir haben augenblicklich mehrere verschiedene Modelle von Luftlokomotiven in Arbeit und sollte es uns zu besonderem Vergnügen gereichen, wenn Sie zur Besichtigung derselben uns die Ehre Ihres Besuches schenken wollten.

 

Achtungsvoll

 

Maschinenbau-Actien-Gesellschaft Humboldt

Vorm. Sievers & Comp.

der General-Director:

 

M. Neuerburg

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Bild
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Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 027200170001

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) FP 554/3

 

Eine Luftlocomotive, in: Glückauf 11, 1875, Nr. 24. Comprimierte Luft als Betriebskraft, in: „Der Berggeist“. Zeitung für Berg-, Hüttenwesen und Industrie 8, 1875, S. 37-38.

 

Denkschrift zur Erinnerung an das 50jährige Bestehen der Maschinenbau-Anstalt Humboldt in Kalk bei Köln a. Rhein (1856-1906), Köln 1906.

 

Hasebrink, Jürgen: Drucklufttechnik, München 1984 (= Die Beiträge zur Technikgeschichte für die Aus- und Weiterbildung).

 

Kroker, Evelyn: Der Aufstieg eines preußischen Bergbeamten im 19. Jahrhundert: Oberberghauptmann Albert Ludwig Serlo, in: Der Anschnitt 32, 1980, S. 258-277.

 

Metzeltin, Erich: Zur Geschichte der Druckluftlokomotive, in: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie 24, 1935, S. 77-82. Pütz: Aus der Geschichte der Druckluftlokomotivförderung, in: Glückauf 49, 1913, S. 1480. Serlo, Albert: Leitfaden zur Bergbaukunde, 4. verb. und bis auf die neueste Zeit erg. Aufl., Berlin 1884.