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Die fabelhafte Welt des Georg Agricola – Von Tieren und Berggeistern unter Tage

Das Objekt des Monats ist eine wenig beachtete Ergänzung zur Schrift „Zwölf Bücher über das Berg- und Hüttenwesen“ von Georg Agricola. Darin beschäftigt sich der Vater der Mineralogie und Begründer der Montanwissenschaften unter dem Titel „Die Lebewesen unter Tage“ mit einem für den Bergbau etwas entlegenen Thema: Vom Maulwurf bis zum Berggeist werden viele bemerkenswerte Wesen unter der Erde geschildert.

Georg Agricola fügte der lateinischen Erstausgabe seines Hauptwerks „De re metallica libri XII“ (Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen) aus dem Jahr 1556 die zoologische Ergänzung „De animantibus subterraneis“ (Über die Lebewesen unter Tage) bei. Letztere war als eigenständiges Buch bereits 1549 im Druck erschienen. Das Werk blieb für die Zoologie seiner Zeit von geringem Einfluss, was neben dem ungewöhnlichen Thema auch seiner Methode der Zusammenstellung von Literaturzitaten zuzuschreiben ist. Eigene Beobachtungen wurden vom Autor aber ebenfalls eingestreut und mögen als Zeichen dafür angesehen werden, dass er an einer Entwicklung der Zoologie in der Renaissance teilhatte, in welcher man sich von dem Vertrauen auf die Lehrmeinung der „Autoritäten“ entfernte und mehr an einem von Erfahrungstatsachen geleiteten Wissenschaftsideal orientierte.

 

Bei Agricola begegnen dem Leser neben Paradiesvögeln, Ibissen und Fledermäusen auch Berggeister, die heute der Sagenwelt zugeordnet werden. In verschiedenster Form leben Geschichten über Kobolde und Trolle aus den Tiefen der Bergwerke auch in zeitgenössischer Fantasy-Literatur fort. Für den Autor mit seinem frühneuzeitlichen Weltbild war deren Existenz allerdings durch die Zeugnisse der von ihm konsultierten Literatur verbürgt und erschien wohl weit weniger phantastisch, als es in der Gegenwart der Fall ist.

 

Die maßgebliche Autorität, der sich Agricola verpflichtet fühlte, stellt Aristoteles mit seinen grundlegenden Werken zur Biologie und Zoologie dar. Agricola erweitert mit der Erörterung des Winterschlafs und des Ortswechsels auch Themen, die in der Tiergeschichte des Aristoteles eher am Rande behandelt werden. Eine Neuerung ist die Gruppierung hinsichtlich der unterirdischen Lebewesen. Die weitere Einteilung ist dann wieder an der Systematik des Aristoteles nach der Art der Fortbewegung in fliegende, schwimmende, laufende und kriechende Lebewesen orientiert, wie es aus dem Register der Schrift deutlich hervorgeht. Ergänzt werden durch Agricola allerdings noch die Würmer und die schon erwähnten Geister oder Dämonen. 

 

Gleich in den ersten Zeilen verdeutlicht der Autor, dass seine Untersuchung im Zusammenhang mit dem Gesamtwerk steht. Nachdem er sich nämlich in seinen geologisch-mineralogischen Arbeiten mit den unterirdischen leblosen Stoffen beschäftigt hat, sind nun im Sinne der Vollständigkeit auch die Lebewesen an der Reihe. Agricola zählt dabei nicht nur Lebewesen zu seinem Untersuchungsbereich, die ständig unter der Erde leben (Maulwurf, Würmer), sondern auch solche, die sich etwa zum Winterschlaf in eine Höhle zurückziehen (Mäuse, Wiesel, Landschildkröten) oder sich bei Nacht oder am Tage dorthin begeben (Kaninchen, Fuchs und auch der Mensch). In einer Vorbetrachtung schiebt er zudem Beobachtungen zum Ortswechsel überhaupt ein und beschäftigt sich dabei mit den Wanderungsbewegungen von Vögeln, Fischen und Menschen.

 

Vermutlich über den Paradiesvogel berichtet Agricola mit einer gewissen Skepsis, dass die Tiere dauernd in der Luft leben und selbst ihre Eier im Flug ausbrüten, wobei das Weibchen sie auf den Rücken des Männchens legt und sich darauf setzt. Aus diesem Grund würden die kurzen, im Gefieder verborgenen Füße der Tiere auch nie den Boden berühren. Von Paradiesvögeln ist bekannt, dass ihnen ihre Jäger auf Neuguinea die Füße entfernten und die Bälge im Verlauf des 16. Jahrhunderts nur in dieser Weise präpariert nach Europa kamen. Hier verbreitete sich daher die Ansicht, dass sie so lange flögen, bis sie tot zu Erde fielen. Agricola führt zu den prachtvollen Tieren ebenfalls aus, dass der türkische Sultan ihre in verwaschenem Gelb glänzenden Federn in seiner mit zahlreichen Edelsteinen geschmückten Krone trägt.

 

Bei dem ägyptischen Ibis, von dessen Sichtung in den Alpen Agricola berichtet, handelt es sich wahrscheinlich um einen Waldrapp (Geronticus eremita). Diese zu den Ibissen gehörende Art war bis in das 17. Jahrhundert in Europa verbreitet. Der Vogel galt als Leckerbissen, und es kann angenommen werden, dass er hier aus diesem Grund ausgerottet wurde.

 

Als letzter „Vogel“ sei noch die Fledermaus erwähnt. Tatsächlich ordnete Agricola sie den Vögeln zu, was in Hinsicht auf ihre Fortbewegungsart auch folgerichtig ist. Ihm entging allerdings nicht, dass sie lebendige Junge zur Welt bringt und in dieser Hinsicht ebenso mit den Mäusen etwas gemeinsam hat. Heute zählt die Erkenntnis, dass Fledermäuse Säugetiere sind, zum Allgemeingut. Zusammen mit anderen Vertretern aus der Ordnung der Fledertiere gehören sie zu den einzigen Säugetieren, die fliegen können.

 

Die bisher vorgestellten Tiere leben oder lebten auf unserem Planeten, aber in einigen Details kennt man sich heute besser aus als zu Agricolas Zeiten. Bei den nächsten Lebewesen wird dieser Bereich verlassen und wir haben es mit Fabelwesen zu tun.

 

Der Drache wird von Agricola zu den Schlangen gerechnet. Er habe aber schärfere Augen und wäre deshalb in früherer Zeit zur Bewachung von Schätzen, Häusern, Tempeln und Orakelstätten eingesetzt worden. Zudem wird er als schön anzusehen bezeichnet, sei ganz schwarz bis auf den grünen Bauch und besitze einen Bart aus Fleisch unter dem Kinn. In anderen Ländern könne man ihn im Kampf mit Adlern, in Indien und Afrika sogar mit Elefanten beobachten. In diesen Gegenden erreiche er eine Länge von neun Metern. Man unterscheide Land- und Flugdrachen. Von letzteren reklamiert der Autor ein Exemplar besessen zu haben. Er habe das Tier mit der Farbe eines Krokodils aber weiterverschenkt. Bei dem Flugdrachen bezieht sich Agricola vermutlich auf das getrocknete Exemplar einer Echse, die in seinen Besitz gekommen sein mag.

 

Ebenfalls den Schlangen wird der Basilisk zugeschlagen, der aber gleichsam um so viel giftiger sei, wie ein König seine Untertanen überrage. Neben gelehrten Zitaten über den Basilisken weiß Agricola von dem Volksglauben, dass er aus dem von einem Hahn gelegten Ei schlüpfe. In Zwickau habe ein Exemplar mehrere Menschen mit seinem Gift getötet.

 

Sogar im Feuer von Schmelzöfen entstehen laut Agricola kleine Tiere, die von den Griechen „pyrigonoi“ genannt wurden. Sie seien etwas größer als große Fliegen, aber besäßen keine Flügel. Im Feuer laufen und springen sie herum. Wenn sie daraus entfernt werden, sterben die Tierchen augenblicklich.

 

Am Ende der Schrift geht es schließlich um die Dämonen oder Geister. Dabei werden zwei Arten unterschieden: den Bergleuten feindlich gesonnene, polternde und schrecklich anzuschauende böse Geister und dem Menschen eher milde begegnende Kobolde. Diese beschränken sich auf kleinere Späße und Neckereien. Einem bösen Dämon möchte man unter Tage dagegen nicht begegnen, denn er soll allein durch Anhauchen töten können. Auch sein Aussehen in der Gestalt eines Pferdes mit schlankem Hals und trotzigen Augen ist nicht gerade vertrauenserweckend. Die Kobolde sind dagegen lediglich etwa 66 cm groß und in der Art der Bergleute gekleidet. Sie treiben sich in den Schächten und Stollen herum und scheinen verschiedenste Arbeiten zu verrichten, ohne dabei tatsächlich etwas zu schaffen: bald simulieren sie das Graben eines Ganges, dann füllen sie Gestein in Gefäße oder drehen an einem Förderhaspel. Es kann auch vorkommen, dass sie die Bergleute mit kleinen Steinen necken, aber zu Verletzungen kommt es dabei nur, wenn sie vorher gereizt worden sind.

 

Ein Exemplar der lateinischen Erstausgabe der „Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen“  aus dem Jahr 1556, das den Text des Werks „Die Lebewesen unter Tage“ enthält, befindet sich in der Bibliothek des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok). Im Rahmen des Projekts „montan.dok 21 werden besondere Objekte aus den Museumsbeständen wie die außergewöhnlichen „Tiergeschichten“, die sich zwischen den Buchdeckeln dieser bibliophilen Kostbarkeit verbergen, vorgestellt.

 

02.05.2018 (Jens Brokfeld, M.A.)

 


Literatur

Agricola, Georg: Georgii Agricolae De re metallica libri XII. Eiusdem De animantibus subterraneis liber, ab autore recognitus, Basel 1556. (montan.dok 1274/1)

 

Hertel, Rolf: Die Lebewesen unter Tage, Zoologische Einführung, in: Prescher, Hans (Hrsg.): Georgius Agricola - Ausgewählte Werke, Bd. VI, Berlin 1961, S. 141-155.

 

Hertel, Rolf: Leben unter Tage: Agricola und die Zoologie, in: Ernsting, Bernd (Hrsg.) Georgius Agricola Bergwelten 1494 - 1994, Essen 1994, S. 123-124.