Direkt zum Inhalt

„Überall herrschten Heiterkeit und gute Laune“: Bergleute feiern Karneval

Die gebürtige Rheinländerin im Ruhrgebiet flieht gerne zu Karneval zurück in die Heimat, um hier die fünfte Jahreszeit adäquat begehen zu können. Doch auch das Ruhrgebiet hat zu Karneval etwas zu bieten: In den Beständen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum findet man den einen oder anderen Hinweis auf das Feiern der Bergleute in der närrischen Zeit längst vergangener Tage.

Das Zitat „Überall herrschten Heiterkeit und gute Laune“ stammt aus der Werkszeitschrift „Unser Pütt“, die für die Mitarbeitenden der Essener Steinkohlenbergwerke AG und der Gewerkschaft Mannesmann und Mannesmann-Rohstoffwerke herausgegeben wurde. Im Februar 1957 erschien hier unter dem Titel „‚Helau‘ und ‚Alaaf‘. Fröhliche Karnevalsfeiern unserer Werksangehörigen“ ein kurzer bebilderter Bericht über die zahlreichen Feiern, die von den Bergleuten in den unterschiedlichen Gemeinschaften, wie den Grubenwehren und Gesangsvereinen, oder auch im Kreis der Bergelehrlinge veranstaltet wurden. Ein ganzer Abschnitt beschäftigt sich mit der Sitzung im Gemeinschaftshaus Sonnenschein in Gelsenkirchen. Ein Auftritt der Funkengarde und des Elferrates, Gesangs- und Tanzdarbietungen, eine Parodie auf den gemütlichen Soldaten und eine Büttenrede des neuen Kumpels auf Consol [Zeche Consolidation, Anm. d. Verf.] gehörten zum Programm. Der Artikel endet, wenn man so will, mit einem Hinweis auf die Disziplin und den guten Charakter der Bergleute: „erfreulich ist, daß die meisten Veranstaltungen nicht im Zeichen ausgelassener Freude um jeden Preis standen, sondern Beispiele dafür waren, daß in unseren Bergmannsfamilien echte Fröhlichkeit und ursprünglicher Humor zu Hause sind“. Das gute Bild des Bergmanns wird hier passend für eine solche Zeitschrift durch den Autor hervorgehoben. Ein deutlicher Hinweis auf die Kehrseiten des Karnevals wird dann in einem Cartoon von H. J. Bundfuß, der das übermäßige Trinken zu Karneval thematisiert, auf derselben Seite des Berichtes aufgegriffen. Eine weitere humoristische Zeichnung desselben Künstlers zeigt einen verzweifelt schauenden Mann im Clownskostüm vor einem Mann im Anzug an einem Schreibtisch. Sie ist untertitelt mit einem Zitat aus einem Karnevalslied von Dietmar Kivel von 1954: „Hätten wir lieber das Geld vergraben, daß wir im Leben vertrunken haben.“ Es folgt die Frage: „Herr Betriebsführer, könnte ich Vorschuß haben, mein Sonntagsanzug ist noch im Leihhaus“. Die Illustration ist ein klarer Hinweis auf die finanziellen Probleme durch Alkoholkonsum während der tollen Tage. Ein dritter Cartoon zwischen den beiden schon genannten spielt auf die Feierlust eines Bergmanns an: Ein Bergmann erscheint schon verkleidet unter den irritierten Blicken seiner Kumpel beim Lohnbüro, weil er es nicht erwarten kann, „zum Maskenball des Kegelclubs ‚Gut Holz‛ zu kommen“.

 

Nicht nur die Erwachsenen bzw. die Berglehrlinge feierten Karneval, sondern auch die Kinder der Bergleute, wie eine andere Werkszeitschrift mit Berichten aus den betriebseigenen Kindergärten und -horten illustriert. Die betriebliche Kinderbetreuung war im Ruhrgebiet verbreitet, wobei sich ein Großteil in Trägerschaft von Bergbauunternehmen – bis zur Auflösung der meisten solcher Einrichtungen 1975 – befand. Öfters wird in den Werkszeitungen von der Werksfürsorge berichtet, so auch von der Kinderbetreuung. Vielfach werden dabei Feiern thematisiert, wohl nicht zuletzt, um zu zeigen, wie fröhlich und unbekümmert die Kinder die Zeit in den Einrichtungen verbrachten und wie gut sie hier aufgehoben waren. So schildern die Werks-Nachrichten der Dortmunder Bergbau AG und der Hansa Bergbau AG in den drei Folgejahren 1965, 1966 und 1967 in der jeweiligen März- bzw. Februar-Ausgabe ausführlich die Feiern der Kindergarten- und Hortkinder und deren Eltern, die auf Elternabenden tags zuvor zusammenkamen. Viel Mühe ging offensichtlich in die Vorbereitung, wobei die Kinder, die Betreuerinnen und die Mütter, die besonders bei der Gestaltung der Verkleidung gefragt waren, zusammen für die Feierlichkeiten arbeiteten. Die Kinder waren bisweilen selbst für die Programmzusammenstellung und die Gestaltung der Räume verantwortlich, wie im Kindergarten von Hansa-Gustav im Jahr 1966. Verkleiden, Singen von Karnevalsliedern mit instrumentaler Begleitung, Tanzen, Polonaise, Prämierung des besten Kostüms und bei den älteren Kindern auch selbsterdachte Büttenreden sowie Süßigkeiten, Berliner und Sprudelgetränke bestimmten die Tage. Auch hier wird gleichsam ermahnend an die erwachsenen Leserinnen und Leser der Alkoholkonsum im Gegensatz zu dem natürlichen kindlichen Frohsinn hervorgehoben: „Sie brauchen keinen Alkohol, um fröhlich zu sein. Ihr Übermut und ihre Ausgelassenheit sind echt“ (o. A.: Denn einmal nur, S. 46).

 

Noch weiter zeitlich rückblickend stößt man im Archivbestand montan.dok/BBA 85: Schachtanlage Prosper, Bottrop, auf einige Bilder von Karnevalsfeierlichkeiten aus den Jahren 1937 bis 1939. In allen drei Jahren wurde, so ist den Fotografien zu entnehmen, im Westfälischen Hof in Bottrop gefeiert (vgl. auch im Folgenden montan.dok/BBA 85/4164-4178, 5281-5282). Saal und Bühne waren jeweils mit Girlanden, Masken und Lampions und anderem mehr reichlich geschmückt, die Verkleidung der Feiernden bestand aber überwiegend nur aus lustigen Kopfbedeckungen. Ähnlich verhält es sich bei einer Eltern- oder besser Mütterzusammenkunft im Februar 1939 im Kindergarten der Ebelkolonie (vgl. auch im Folgenden montan.dok/BBA 85/5267-5280). Die Frauen tragen lediglich, wenn überhaupt, große Schleifen im Haar. Sie sitzen in kleiner und größerer Runde an Tischen zusammen. Diese sind gedeckt mit Kaffee- bzw. Teeservice, auf einigen Tellern sind Teilchen, wohl Berliner, zu erkennen, was in den kleinen Säckchen daneben verborgen ist, ist leider nicht ersichtlich. Der Raum ist mit Luftschlangen und Papierclowns verschönert. Drei verkleidete Frauen führen ein Sketch auf. Zu vermuten ist, dass es sich um Kindergärtnerinnen handelt. Insgesamt vermitteln die Bilder eine gute Stimmung, aber eher Zurückhaltung, denn Ausgelassenheit.

 

Um zum Schluss gleichsam den Bogen zurück vom Ruhrgebiet ins Rheinland zu schlagen und weitere Verbindungen zu zeigen, soll noch auf einen Treffer bei der Datenbankrecherche hingewiesen werden. Bei der Suche nach „Alaaf“ wurde hier die „Berg- und Hüttenkarte vom Oberbergamtsbezirke Dortmund“ aus dem Jahr 1872 mit dem Grubenfeld namens Alaaf Cöln I - II angezeigt (montan.dok 030007157001). Laut dem 15 Jahre älteren Bericht der Zeitschrift „Der Berggeist. Zeitung für Berg-, Hüttenwesen und Industrie“ vom 27. Juni 1857 hatte die Schürfgesellschaft Alaaf Köln einen Kohlenfund am Weg zwischen Buer und Bochum gemacht und dort die Fundgrube, also das Grubenfeld der neuendeckten Lagerstätte, verliehen bekommen. Was es nun mit dem „Alaaf“ in diesem Zusammenhang genau auf sich hat, bliebe noch herauszufinden. Zwar war spätestens seit den 1830er-Jahren „Alaaf“ als Karnevalsruf in Köln etabliert, es geht aber in den Ursprüngen auf eine Redewendung zurück, die so viel wie „nichts geht über” bedeutet.

 

In diesem Sinne Glück Auf und Alaaf aus dem montan.dok!

 

01. Februar 2023 (Dr. Maria Schäpers)


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 85/4164-4178, 5267-5280-5282

 

E.H.: „‚Helau‘ und ‚Alaaf‘. Fröhliche Karnevalsfeiern unserer Werksangehörigen“, in: Unser Pütt. Informationen der Essener Steinkohlenbergwerke. Gewerkschaft Mannesmann. Mannesmann-Rohstoffwerke, 1957, Heft 2, Februar, S. 18.

 

Frohn, Christian: „Löblich wird ein tolles Streben, wenn es kurz ist und mit Sinn“ – Karneval in Köln, Düsseldorf und Aachen 1823-1914, Bonn Univ. Diss. 1999, unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:5-02121 (Stand: 06.01.2023).

 

Höltershinken, Dieter/Kasüschke, Dagmar: Betriebliche Kinderbetreuung von 1875 bis heute. Kindergärten und Tageseinrichtungen in Deutschland, Wiesbaden 1996.

 

o. A.: Allgemeines, in: Der Berggeist. Zeitung für Berg-, Hüttenwesen und Industrie 11, 1857, Heft 25, 23. Juni 1857, S. 304-305.

 

o. A.: Kinderkarneval in den Werksfürsorgen. Wieder einmal sind die drei tollen Tage vorbei, in: Werks-Nachrichten. Dortmunder Bergbau AG und Hansa Bergbau AG 15, 1965, Heft 3 März, S. 66-67.

 

o. A.: Heiter und ausgelassen feierten kleine Narren – ganz groß. Berichte vom Kinderkarneval in den Werksfürsorgen, Werks-Nachrichten. Dortmunder Bergbau AG und Hansa Bergbau 16, 1966, Heft 3 März, S. 68-69.

 

o. A.: Denn einmal im Jahr ist nur Karneval. Berichte aus unseren Kindergärten und Kinderhorten, Werks-Nachrichten. Dortmunder Bergbau AG und Hansa Bergbau 17, 1967, Heft 2 Februar, S. 46-47.

 

Peters, Sebastian: Ein Lied mehr zur Lage der Nation. Politische Inhalte in deutschsprachigen Popsongs, Berlin 2010 (= Wissenschaftliche Reihe des Archivs der Jugendkulturen, Nr. 6).

 

Winkelmann, Anne: Die Bergmännische Werkzeitschrift von 1945 bis zur Gegenwart. Mit einer Darstellung der Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau „Der Anschnitt“, Berlin 1964.