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Bergleute als Comic-Helden: Die Abenteuer von Pic und Briquet

Comics, Karikaturen und lustige Bilder waren in den 1950er- und 1960er-Jahren fester Bestandteil vieler Werks- und Zechenzeitschriften. Sie dienten sowohl der Unterhaltung als auch der betrieblichen Kommunikation. Ein inhaltlicher Bezug zum Bergbau war dabei nicht immer gegeben. Die Witzseite der Werkszeitung der Klöckner-Zechen „Unser Pütt“ thematisierte beispielsweise nur gelegentlich das Leben der Bergleute. In der Zeitschrift „Grubensicherheit“ des Oberbergamts Dortmund fanden die Leser:innen dagegen regelmäßig den kurzen Comicstrip „Lau und Schlau“, der humorvoll auf Gefahren des Arbeitsalltags aufmerksam machte und korrekte Verhaltensweisen propagierte.

Nicht Einzelbilder oder kurze Bildsequenzen, sondern eine seriell veröffentlichte, zusammenhängende Comicerzählung findet sich zur selben Zeit in ähnlichen Publikationen in Frankreich, wo die 9. Kunst (die Kunstform des Comics) stets einen weit höheren Stellenwert hatte. Zwischen März 1958 und Mai 1969 erschienen in den Zechenzeitschriften des nordfranzösischen Kohlenreviers die Abenteuer von Pic und Briquet. Herausgeber war der staatliche Bergbaukonzern Houillères du bassin du Nord et du Pas-de-Calais (HBNPC). Entstanden in einer Zeit, in der sich die französischen Zechen verstärkt wirtschaftlichem und politischem Druck ausgesetzt sahen, ist dieser Comic ein außergewöhnliches Zeugnis französischer Bergbau- und auch Comicgeschichte. Die betreffenden Zechenzeitschriften, die eingängige Titel wie „Lampe au Chapeau“ (Lampe am Hut), „Nuit et Jour“ (Tag und Nacht) oder „Coups de Pic – Coups de Plume“ (etwa: Hackenschlag und Federstrich) trugen, werden heute u. a. im Archiv des Centre Historique Minier in Lewarde bewahrt. 1998 und 2000 legte das Zentrum zwei der Abenteuer in Albenform neu auf und würdigte so ihren zeitgeschichtlichen Wert.

 

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des Comics ist nicht zuletzt der berufliche Hintergrund der beiden Protagonisten. Folgten Comicleser:innen der Zeit üblicherweise Kriegern, Journalisten oder Privatdetektiven ins Abenteuer – weibliche Helden eroberten sich erst allmählich ihren Platz –, so waren Pic und Briquet „mineurs de fond“, also Bergleute. Die ursprüngliche Idee stammte vom Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der HBNPC, Jean-Pierre Rousselot. Die von ihm verantworteten Zeitschriften enthielten Beiträge zu Sport, Reisen oder auch Gartenarbeit und wandten sich sowohl an die Bergleute als auch an deren Familien. Monatlich erschien eine Seite des Comics, der von den Leser:innen so nach und nach zu einem Album vervollständigt werden konnte, was die Bindung an die jeweilige Zeitschrift stärken sollte. Der Erfolg der Bildergeschichten mit Pic und Briquet zeigt sich auch darin, dass sie zwischen 1969 und 1974 in leicht veränderter Form erneut abgedruckt wurden.

 

Ziel solcher Zeitschriften war es, Gemeinschaft zu stiften und die Verbundenheit mit dem Betrieb zu stärken. Bei ihrer inhaltlichen Ausrichtung bewegten sie sich dabei häufig im Spannungsfeld der konfligierenden Interessen von Betriebsführung und Arbeitnehmer:innen. Aus dieser Perspektive scheint es interessant, darauf zu schauen, wie der Zechenbetrieb, soziale Strukturen und auch Hierarchien in „Pic et Briquet“ dargestellt werden. Stilistisch und auch inhaltlich orientierten sich Rousselot und der Zeichner Jean Podevin an Hergés „Tim und Struppi“. Für Pic und Briquet – was übersetzt „Spitzhacke“ und „Pausenbrot“ heißt – standen unübersehbar der strebsame Tim und sein streitlustiger Sidekick Kapitän Haddock Pate. Strichführung und Seitenarchitektur folgten der von Hergé entwickelten ligne claire.

 

Die Welt des Bergbaus bildet lediglich im ersten der drei Abenteuer den Handlungsrahmen. In „Mystère dans la mine“ bekämpfen Pic und Briquet eine geheime Organisation, die mit Hilfe entführter Bergleute heimlich Kohle abbaut, um daraus eine Art Superenergieträger zu gewinnen. Zusammen mit den Entführten gelingt es ihnen, die Bande unter Tage zu überwältigen. Die unterirdische Produktionsstätte wird durch eine Bombe zerstört. Die Untertageanlagen der Zeche werden in dem Comic sehr detailliert widergegeben. Jean Podevin, der auch vor Ort Skizzen anfertigte, begründete dies damit, dass er sein fachkundiges Publikum überzeugen müsse.

 

Ein Aspekt, der bei aller Detailfülle allerdings fehlt, ist die Arbeit selbst. Nur in einem Bild sieht man einige der entführten Bergleute an der Abbaufront. Die Untertagewelt wird nicht als Ort der Rohstoffgewinnung erklärt und ist eher Kulisse. Dabei sehen sich Pic und Briquet allerdings durchaus mit den unter Tage lauernden Gefahren konfrontiert. Hierin spiegelt sich zweifellos Podevins frühere Tätigkeit als Gestalter von Warnhinweisen für die HBNPC. Kleinere Unfälle und Missgeschicke dienen aber eher als komische Elemente und haben weniger didaktische Funktion.

 

Während es schwerfällt, auf individueller Ebene spezifische bergmännische Tugenden bei den Figuren auszumachen, folgt die Darstellung der Gemeinschaft der Bergleute als Herzstück des Narrativs klassischen Mustern. Rousselot und Podevin zeichnen hier das Bild einer solidarischen, widerstandsfähigen und handlungsfreudigen Gruppe: Als Pic und Briquet in die Gewalt ihrer Gegenspieler geraten, organisieren die entführten Bergleute den Widerstand und überwältigen die Bande. Gemeinsam gelingt daraufhin die Flucht. Soziale Hierarchien, Machtstrukturen auf der Zeche oder das Verhältnis zwischen Bergleuten und Zechenführung werden in keiner Weise thematisiert. Die Bergleute treten als eine egalitäre, harmonisch und vollständig frei agierende Gemeinschaft auf.

 

Anders als die Vorgesetzten tritt allerdings die Staatsgewalt im Zusammenhang mit den entführten Bergleuten in Erscheinung. Die Polizei wird als autoritär, inkompetent und etwas lächerlich dargestellt. Nach einer fingierten Verhaftung scheut sich Pic nicht, einen Polizisten gewaltsam niederzuschlagen, um seiner Zelle zu entkommen. An der Befreiung der Bergleute hat die Polizei trotz eines martialischen Einsatzes keinerlei Anteil. Sie dringt nicht einmal bis unter Tage vor. Die gestörte Ordnung wird letztlich nicht durch den Staat oder die Führung der Zeche wiederhergestellt, sondern durch die in Solidarität und Kameradschaft verbundenen Bergleute und die Initiative der beiden Helden. Die Welt unter Tage bleibt das unangefochtene Reich der einfachen Bergleute.

 

Der Konzern HBNPC taucht in den Comics nicht auf. Eine mögliche Absicht, den Konzern als Arbeitgeber in einem positiven Licht darzustellen, wird allenfalls im zweiten Abenteuer „Pic et Briquet à la Napoule“ greifbar. Hier verbringen beide die Ferien an der Côte d’Azur. Bei ihrem Feriendomizil handelt es sich um das als Ferienheim für Bergleute genutzte Château d'Agecroft der HBNPC, das auch als „Château des mineurs" bezeichnet wurde. Beschäftigten des Konzerns wurde hier per Losentscheid ein Platz zugeteilt, ein Procedere, dem sich auch Pic und Briquet unterwerfen müssen. Sowohl die Landschaft als auch das Ferienheim werden sehr realistisch und idyllisch dargestellt.

 

Der Comic des Duos Rousselot-Podevin diente in erster Linie der Unterhaltung. Pic und Briquet waren dabei Identifikationsfiguren, die sich in einer den Comicleser:innen mittelbar oder unmittelbar vertrauten Umgebung bewegten und wie die beiden Helden einer von Solidarität und Kameradschaft geprägten Gemeinschaft angehörten. Während Gewaltbereitschaft und ein gewisser Machismo der beiden wohl damaligen Rollenklischees entsprachen, legt der Comic in seiner Respektlosigkeit gegenüber der Polizei einen Unabhängigkeitsgeist an den Tag, der zumindest überrascht. Anspielungen auf echte soziale Konflikte oder Sorgen der Bergleute sucht man dagegen vergeblich. Als vollständig kolorierte Neuausgaben in Albumform finden sich die beiden ersten Abenteuer von Pic und Briquet im Bestand der Bibliothek des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok 20063/1, 20063/2).

 

01. Mai 2023 (Dr. Urs Brachthäuser)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 20063/1, 20063/2

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum Grubensicherheit. Zeitschrift für das Grubensicherheitswesen, passim und  Unser Pütt. Informationen der Essener Steinkohlenbergwerke. Gewerkschaft Mannesmann. Mannesmann-Rohstoffwerke, passim

 

Abel, Julia/Klein, Christian (Hrsg.): Comics und Graphic Novels. Einführung, Stuttgart 2016.

 

Bocquet, José-Louis: La bande dessinée belgo-française. Un aperçu historique, in: Bellefroid, Thierry (Hrsg.): L’âge d’or de la bande dessinée belge. La collection du Musée des Beaux-Arts de Liège, Brüssel 2015, S. 11-22.

 

Centre Historique Minier de Lewarde: Coulisses d’une réedition, Lewarde 1998; vgl. dazu auch das Video „Réedition de la BD Pic et Briquet“. Unter: https://fresques.ina.fr/memoires-de-mines/fiche-media/Mineur00004/reedition-de-la-bd-pic-et-briquet.html (Stand: 28.04.2023).

 

Debrabant, Virginie: Les trois âges de la mine: De l'apogée au déclin, Bd. 3: 1914-1990, hrsg. von La Voix du Nord/Centre historique minier de Lewarde, Lille 2007.

 

Dommer, Olge: Mehr als richtige Kerle. Zu Darstellungen der Bergarbeit in der bildlichen Kunst, in: Kift, Dagmar/Schinkel, Eckhard/Berger, Stefan/Palm, Hanneliese (Hrsg.): Bergbaukulturen in interdisziplinärer Perspektive. Diskurse und Imaginationen, Essen 2018, S. 58-77.

 

Kesper-Biermann, Sylvia: „Unearthing a buried past“. Bergbau im Comic, in: Kift, Dagmar/Schinkel, Eckhard/Berger, Stefan/Palm, Hanneliese (Hrsg.): Bergbaukulturen in interdisziplinärer Perspektive. Diskurse und Imaginationen, Essen 2018, S. 151-164.

 

Podevin, Jean/Rousselot, Jean-Piere: Mystère dans la mine: les aventures de Pic et Briquet (Collection Mémoires de Gaillette 4), hrsg. von Centre Historique Minier, Lewarde, Neuauflage, Lewarde 1998.

 

Przigoda, Stefan: Grenzziehungen. Bergbau-Darstellungen im Industriefilm, in: Kift, Dagmar/Schinkel, Eckhard/Berger, Stefan/Palm, Hanneliese (Hrsg.): Bergbaukulturen in interdisziplinärer Perspektive. Diskurse und Imaginationen, Essen 2018, S. 79-89.

 

Winkelmann, Anne: Die Bergmännische Werkzeitschrift von 1945 bis zur Gegenwart. Mit einer Darstellung der Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau „Der Anschnitt“, Berlin 1964.