Grubengas und „Weltäther“: Ein Zeiss-Interferometer von 1957
Die beiden im 19. Jahrhundert für die Kontrolle der Bewetterung und zur Identifizierung gefährlicher Grubengase hauptsächlich verwendeten Messgeräte waren das Flügelrad-Anemometer zur Messung der Windgeschwindigkeit und die Wetterlampe, die über eine Aureole der Flamme die Konzentration von gefährlichem Methangas anzeigte. Um 1900 wurden auf den Zechen so genannte Wettermänner angestellt, die speziell im Umgang mit diesen Geräten geschult waren und frühzeitig auf Explosionsgefahren hinweisen konnten. In den 1950er-Jahren lösten neue präzise Messinstrumente diese herkömmlichen auf Übung und Erfahrungswissen beruhenden Messungen ab. So finden sich 1959 im Sammlungsbereich „Schlagwetter, Kohlenstaub, Grubenbrand, Kohlensäure“ des späteren Deutschen Bergbau-Museums Bochum bereits Geräte, die auf chemischer oder physikalischer Grundlage arbeiten.
Eine besondere Stellung unter diesen Messgeräten nahmen Interferometer ein, die in bis dahin unbekannter Genauigkeit die Methankonzentration in der Umgebungsluft unter Tage bestimmen konnten. Das Grubengas-Interferometer mit der Typenbezeichnung G 64-221/II-d von Carl Zeiss aus dem Jahr 1957, das sich in den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum findet (montan.dok 030004421000), ist eine Weiterentwicklung eines bereits 1925 vom japanischen Hersteller Riken Keiki Fine Instruments entwickelten Geräts. Alle diese Instrumente beruhen auf dem Prinzip der Brechung von Lichtstrahlen in einer Gasprobe, wobei sich mit der Überlagerung der Strahlen – der so genannten Interferenz – ein für den jeweiligen Methangasgehalt typisches Bild ergibt.
Der Bau von Interferometern reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück und ist untrennbar mit einem der bekanntesten Experimente der Wissenschaftsgeschichte verbunden. Im Jahr 1887 versuchten die beiden amerikanischen Physiker Albert Abraham Michelson (1852-1931) und Edward W. Morley (1838-1923), die Geschwindigkeit der Erde mit Hilfe von Lichtstrahlen zu bestimmen. Sie gingen wie die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen von der Annahme aus, dass das gesamte Universum von einem „Weltäther“ erfüllt sei, ohne den, so die damals vorherrschende Meinung, bestimmte Lichtphänomene nicht zu erklären waren. Auch die Erde bewegte sich demnach auf ihrer Bahn durch dieses Medium und erzeugte damit einen Fahrtwind, den „Ätherwind“. Je nach Stellung von Lichtstrahlen zu diesem hypothetischen „Ätherwind“ müssten sich so verschiedene Lichtgeschwindigkeiten messen lassen, was wiederum Rückschlüsse auf die Geschwindigkeit der Erde zuließ. In ihrem Experiment teilten die beiden Forscher das Licht aus einer Lichtquelle mittels eines halbdurchlässigen Spiegels in zwei Lichtstrahlen, die zueinander in einen Winkel von 90 Grad standen, und führten sie über Spiegel in einem Detektor wieder zusammen. Je nach Lage der Lichtstrahlen mit oder gegen den Ätherwind würden sie verschiedene Geschwindigkeiten erreichen, die sich überlagerten. Doch so sehr sie den Tisch mit ihrem Experiment auch im „Fahrtwind“ drehten, ergab sich keine Überlagerung der Lichtstrahlen bzw. eine Interferenz. Mit anderen Worten: die Lichtgeschwindigkeit blieb immer die gleiche. Dies ließ nur einen Schluss zu: Der „Weltäther“ existierte nicht. Wie die Physik seitdem ohne ihn auskam, ist mit einer Reihe von Veröffentlichungen aus dem Jahre 1905 eines jungen Physikers im Berner Patentamt namens Albert Einstein (1879-1955) verbunden, die später unter dem Titel „Spezielle Relativitätstheorie“ berühmt wurden und das moderne Weltbild nachhaltig veränderten.
Das Zeiss-Interferometer erinnert, wenn auch völlig anders konstruiert, an diese Vorgeschichte. Hier läuft das durch eine einfache Glühlampe erzeugte Licht mit exakt der gleichen Geschwindigkeit durch das zu messende Methangas wie zuvor bei Michelson und Morley durch den hypothetischen Äther. Auch das Prinzip der Teilung eines Lichtstrahls in verschiedene Einzelstrahlen, die am Ende ein Interferenzbild ergeben, ist dasselbe. Doch anders als im physikalischen Experiment wird im Zeiss-Interferometer allein der Unterschied der Lichtbrechung in normaler und methangashaltiger Luft gemessen. Das Licht wird dabei über Prismen geteilt durch drei Kammern geschickt: zwei äußere für die Vergleichsluft, die innere für das Probengas. Je nach Zusammensetzung des Gases ergeben sich somit spezifische Interferenzen, die als Streifen über einer Messskala im Okular des Gerätes abzulesen sind. „Das Spektrum“, so heißt es in der Bedienungsanleitung, „besteht aus zwei dunklen Streifen, die in einer geringen Entfernung innerhalb eines strahlend weißen Untergrundes erscheinen.
Das Zeiss-Interferometer stellte somit nur eine spezielle Anwendung eines Grundprinzips dar, das sich im Laufe des 20. Jahrhunderts in vielen Abwandlungen als Standardmessverfahren in physikalischen Labors durchgesetzt hat. Zugleich ist es eine typische „Black Box“, deren kompliziertes Innenleben sich hinter einem soliden Metallgehäuse mit nur einem Schaltknopf verbirgt und die auf einen bestimmten Anwendungsbereich im Bergbau zugeschnitten ist. Zudem ist das Instrument vergleichsweise kompakt und auch ohne umfassendes physikalisches Wissen zu bedienen. Die Gasproben werden mittels eines mitgelieferten Balgs und eines Zylinders aus der Umgebungsluft entnommen und dem Gerät zugeführt. Die Ablesung erfolgt dann durch ein an der Oberseite angebrachtes Okular.
Trotz der hohen Messgenauigkeit konnte sich das Gerät im Steinkohlenbergbau nicht durchsetzen. Hierfür war es zu kostspielig und unter den schwierigen Bedingungen unter Tage in der Bedienung dann doch zu kompliziert. Stattdessen finden sich in den 1960er-Jahren andere Handgeräte: allen voran das Methanometer G 70 (montan.dok 030006390001), von dem bis 1967 insgesamt 21.000 Stück auf deutschen Zechen im Einsatz waren. Hier beruhte die Messung allerdings nicht mehr auf dem Prinzip der Lichtbrechung, sondern auf der chemischen Analyse der Gasprobe mittels eines Glühdrahts.
Bei dem für die Grubensicherheit so bedeutenden Verfahren der Messung von Grubengasen stellt das Interferometer nur eine Episode am Rande dar. Die Musealen Sammlungen des montan.dok bieten jedoch mit zahlreichen weiteren Messgeräten eine Möglichkeit, die Geschichte dieser Verfahren in ein detailliertes Gesamtbild einzuordnen.
01. Dezember 2022 (Dr. Stefan Siemer)
- Literatur
Artikel „Michelson-Morley experiment“, in: Wikipedia. Unter: https://en.wikipedia.org/wiki/Michelson%E2%80%93Morley_experiment (Eingesehen: 02.11.2022).
Artikel „Interferometry“, in: Wikipedia. Unter: https://en.wikipedia.org/wiki/Interferometry (Eingesehen: 02.11.2022).
Bergbau-Museum (Hrsg.): Wegweiser durch das Bergbau-Museum. Ein Gang durch Geschichte und Kultur des Bergbaus, Bochum 1959.
Sicka, Christian/Hartl, Gerhard: Die Spezielle Relativitätstheorie. Union von Raum und Zeit, in: Brachner, Alto/Hartl, Gerhard/Sichau, Christian (Hrsg.): Abenteuer der Erkenntnis. Albert Einstein und die Physik des 20. Jahrhunderts, München 2005, S. 66-77.
Winter, Karl: Handmessgeräte zur Bestimmung von Grubengas im Steinkohlenbergbau untertage, in: 8. Internationale Konferenz der Leiter grubensicherheitlicher Versuchsanstalten 1954 in Dortmund-Derne, Dortmund 1954, Konferenzbeitrag Nr. 33.
Zeiss Grubengas-Interferometer. Gebrauchsanweisung, Oberkochen/Württ. 1957.
Online-Portale: montandok.de. Unter: https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=213219 und museum-digital. Unter: https://nat.museum-digital.de/object/1070218 (Eingesehen: 21.11.2022).