Was ist ein Bergbau-Archiv?
„Natürlich, eine alte Handschrift“, mit diesem Motto überschreibt Umberto Eco seinen Roman „Der Name der Rose“ und lässt den Leser an der Geschichte eines Novizen in einem Benedektinerkloster teilhaben, die sich als Nacherzählung einer alten Handschrift ausgibt und den Leser zurück in die Kultur des 14. Jahrhunderts versetzt.
Ähnlich wie dem Autor dieses vielschichtigen historischen Romans wird es manchem gehen, der mit Schriftstücken aus einem Archiv in Berührung kommt. Die Anziehungskraft der Geschichte erscheint als etwas Natürliches und die Aura eines originalen Schriftstücks weckt den Forschergeist. Es erscheint ganz so, als hätte man voraussehen können, dass einem früher oder später ein besonderes Papier in die Hände fallen und den Beginn einer intensiven Beschäftigung mit der Vergangenheit markieren würde.
Zugegebenermaßen ist dieses Bild eines vom Forscherdrang hingerissenen Archivbenutzers ein wenig idealisiert und entspricht in mancher Hinsicht mehr einer Wunschvorstellung als dem archivischen Arbeitsalltag. Im Gegenteil: Die spontane Reaktion der unverhofft mit einer Übernahme von alten Schriftstücken Konfrontierten ist häufig das Gefühl der Überforderung in Bezug auf die zu bearbeitenden Aktenberge oder der Unsicherheit im Hinblick auf den historischen Wert der überlieferten Schriftstücke.
Ebenso ist die Vorstellung von Archiven als Schatzkammern mit kunstvollen mittelalterlichen Handschriften und vor Siegeln strotzenden Urkunden nur bedingt richtig. Der Anteil von Schriftgut aus dem 19. und 20. Jahrhundert macht in der Regel den mengenmäßig größten Teil der Überlieferung aus. Neben Schriftgut werden außerdem vielfach Fotos, Filme oder Karten archiviert. Diese Medien bilden mitunter eigene Sammlungen im Archiv, die auf eine bewusste Zusammenstellung und aktive Suche entsprechend des Sammlungsschwerpunktes zurückgehen. Ein Archiv im Sinn der im Archivwesen gängigen Unterscheidung bezieht dagegen seinen inhaltlichen Zusammenhang aus der Ordnung der überlieferten Dokumente (Registratur) und wurde nicht wie eine Sammlung nachträglich zusammengestellt. Dieser Aspekt wird in der Definition am Ende des Textes wieder auftauchen.
Was kann also über über das Archiv jenseits der Gegenpole romantischer Verklärung und verstaubter Klischees ausgesagt werden? Was unterscheidet schließlich ein Bergbau-Archiv von anderen Archiven?
Wenn man aufzählen möchte, was gegenwärtig als Archiv bezeichnet wird, kann man mit einer umfangreichen Liste rechnen. Dazu zählt das Archiv einer Website ebenso wie das örtliche Stadtarchiv und ein spezieller Aktenschrank in einem Großraumbüro. Das Archiv im Namen tragen darüber hinaus Schriftenreihen („Archiv für Sozialgeschichte“), Sampler für Musik („Das goldene Schlagerarchiv“) und ein alternatives Kulturzentrum („Archiv Potsdam“). In Philosophie und Kulturwissenschaft wird der Ausdruck besonders seit den einschlägigen Publikationen von Michel Foucault und Jacques Derrida zum Gegenstand der Reflexion.
Für diesen kurzen Text soll eine pragmatische Definition ausreichen, die sich an den drei Merkmalen orientiert, die nach Dietmar Schenk einem (historischen) Archiv zukommen: Erstens Schriftlichkeit, zweitens Organisation und Ordnung sowie drittens der Fortfall der ursprünglichen Zweckbindung der verwahrten Unterlagen. Mit dem Merkmal der Schriftlichkeit soll dabei angedeutet werden, dass man es bei einem Archiv mit Aufzeichnungen zu tun hat, die – unabhängig vom Trägermedium – in einer schriftlich fixierten Form vorliegen. Eine bestimmte Ordnung dieser Unterlagen ist eine weitere Eigenschaft, die dem Archiv zugeschrieben wird. Sie bilden einen sinnvollen Zusammenhang, der die systematische Einordnung der Einzeldokumente erlaubt. Diese Ordnung ist dabei nicht nachträglich geschaffen worden, sondern entspringt der Zusammenstellung der Dokumente vor ihrer Archivierung. Die ursprüngliche Zweckbindung der Dokumente tritt beim Übergang in das historische Archiv in den Hintergrund. Ihr Gebrauchswert, etwa zur Erfüllung der Verwaltungsaufgaben einer bestimmten Behörde, wird durch den historischen Wert der Unterlagen ersetzt.
Ein Archiv erfüllt alle diese genannten Eigenschaften. Häufig stellt es auch eine eigenständige Institution oder eine Organisationseinheit innerhalb eines Unternehmens oder einer Behörde dar. So wie es Landes-, Kommunal-, Kirchen-, Familien-, Parlaments-, Medien- und Hochschularchive gibt, existiert auch die Archivsparte der Wirtschafts- und Unternehmensarchive. Ein Bergbau-Archiv ist ein Vertreter dieser Sparte, der durch den Wirtschaftszweig gekennzeichnet ist, dessen schriftliche Überlieferung er verwahrt.
Das Bergbau-Archiv kann wie auf dem Foto des Archivs des Initiativkreises Bergwerk Consolidation aus einem Aktenbestand innerhalb einer Bergbausammlung bestehen. Der erste Eindruck von den vergilbten Aktenrücken im schmucklosen grünen Stahlschrank mag etwas befremdlich wirken: Haben wir es hier tatsächlich mit einem Archiv zu tun, das etwas mit der von Umberto Eco evozierten Aura einer alten Handschrift gemeinsam hat? Die drei Merkmale, die als Voraussetzung für ein historisches Archiv genannt wurden, erfüllt auch unser Objekt des Monats. In dieser Hinsicht besteht also kein Grund zum Zweifel.
Die Faszination, die von der Historie ausgehen kann, wird allerdings von der Definition des Archivs nicht berührt. Sie ist vielmehr etwas, das der Archivnutzer an die Dokumente heranträgt, indem er versucht, die Geschichte hinter der fragmentarischen und auf den ersten Blick spröden Überlieferung zu verstehen und weiterzugeben. Häufig versteckt sich eine spannendes Thema hinter der unscheinbarsten Hülle.
Auch das Bergbau-Archiv Bochum lässt sich gut unter die genannten Merkmale subsumieren. Darüber hinaus stellt es eine eigene Instituition dar, die im Montanhistorischen Dokumentationszentrum (montan.dok) am Deutschen Bergbau-Museum Bochum angesiedelt ist. Es ist heute das zentrale Branchenarchiv für den Bergbau in der Bundesrepublik Deutschland. Das am 1. Juli 1969 gegründete Archiv umfasst mit über 330 Beständen und 33 archivischen Spezialsammlungen eine Belegfläche von rund 6,5 Regalkilometern.
01. Juni 2018 (Jens Brokfeld, M.A.)
- Literatur
Schenk, Dietmar: Kleine Theorie des Archivs, Stuttgart 2008, S. 26-27.