„Heisse Amalie“ und „Rotes Licht“
In der archivischen Spezialsammlung Plakate und Flugblätter des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) findet sich neben den zu erwartenden Werbeplakaten, Handzetteln und Zechenbekanntmachungen ein Konvolut von losen, monochrom bedruckten Blättern mit reißerischen Namen. Diese scheinbar unterschiedlichen Druckerzeugnisse erweisen sich als überraschend gleich, wenn man über die Titel hinwegsieht und sie in ihrer Gesamtheit betrachtet.
Als erstes gemeinsames Merkmal fällt das äußere Erscheinungsbild auf. Alle Zeitungen wurden mithilfe von Vervielfältigungsgeräten auf minderwertigem Papier gedruckt. Den Kopf der Blätter bilden amateurhafte Zeichnungen, die den jeweiligen Titel verbildlichen. „Die Heisse Amalie“ ziert eine üppige Frau neben einem Fördergerüst, daneben ist der Zeitschriftentitel abgebildet. Bei „Rotes Licht“ ist eine Grubenlampe als Lichtquelle zu sehen. Die Texte sind teilweise schief auf den Bogen gedruckt und enthalten Rechtschreibfehler. Allgemein sind sie in einfacher Umgangssprache gehalten und richten sich an Bergleute und Arbeiter:innen als Hauptadressierte. Neben den Texten sind die einzelnen Artikel durch Zeichnungen bebildert, in denen das Geschriebene noch einmal plastisch verdeutlicht werden soll. Der Zeichenstil karikiert den politischen Gegner, während die Hauptpersonen besonders heroisierend und positiv dargestellt werden.
Thematisch lassen sich die betrachteten Zeitungen gut zusammenfassen. Inhaltlich wurden drei Felder besonders intensiv bearbeitet: Betriebsratspolitik, Streikaufrufe sowie Arbeitskampf, Aktuelles auf den Schachtanlagen und allgemeine Politik. Vor allem dienten diese Blätter der Politagitation. Die Konkurrenz zu anderen Gewerkschaften wird sichtbar in der scharfen Agitation gegen christliche, Hirsch-Dunckersche (gelbe) und freie Gewerkschaften. Ihnen wurde immer wieder die Zusammenarbeit mit „dem Kapital“ vorgeworfen und ihre Untätigkeit gegenüber den Arbeiter:innen moniert. Vorkommnisse auf den Zechen wurden gerne aufgegriffen, um Stimmung gegen Betriebsräte, Steiger und Betriebsleitung zu machen. Um die Missstände abzuschaffen, folgte als Konsequenz immer die Aufforderung, seine Stimme für die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) abzugeben, dem Einheitsverband der Bergarbeiter Deutschlands (EVBD) beizutreten oder für die kommunistischen Betriebsräte zu stimmen. In ihrer Funktion entsprachen die Zellenzeitungen Propagandamitteln. Ziel war es nicht, die Adressierten zu informieren, sondern sie in ihren Aktionen zu beeinflussen.
Aus der Beschaffenheit der Zeitschriften wird auch ein weiterer Aspekt deutlich, der sie von anderen Druckerzeugnissen unterscheidet. Die Herstellung fand in kleinem Rahmen statt. Die schlechte Qualität der Drucke, die Einfachheit der Zeichnungen und die simplen Texte zeigen eine Ressourcenknappheit bei den herausgebenden Stellen an. Diese fast untergrundmäßigen Druckereien waren sich bewusst, am Rand der Illegalität zu agieren. Hiervon zeugt die schon fast die Exekutive verhöhnende Angabe der Verantwortlichen für den Druck der Blätter. So wird in der „Roten Fahne vom Jahnplatz“ ein Kriminalkommissar Pickhun als verantwortlich für den Druck und Verlag genannt sowie die Redaktion dem Polizeipräsidium zuerkannt. Beides kann auch als ein Augenzwinkern in Richtung der ständigen Beobachtung und Bespitzelung betrachtet werden.
Wie kommt diese graue Literatur, die man vielleicht eher in Bibliotheken erwarten würde, in die archivische Spezialsammlung? Die besprochenen Betriebszeitungen stammen zum Großteil aus dem Bestand montan.dok/BBA 20: Fried. Krupp Bergwerke AG, Essen. Der Wachdienst sammelte vermutlich die verteilten und teilweise auf Zäune und Gebäude geklebten Zeitungen ein und nahm sie gemeinsam mit anderen Handzetteln und Berichten zu den Akten. In der gleichen Akte, aus der viele der Betriebszeitungen stammen, finden sich Hinweise auf Beobachtung und Überwachung kommunistischer Aktivitäten im Umfeld der Schachtanlagen Helene und Amalie. So gibt ein Schriftstück vom 16. April 1930 den Verlauf einer Besprechung unter Führern von der KPD nahestehenden Organisationen zur Planung der Maifeier wieder. In einem weiteren Schriftstück berichtet der Verfasser von der Versammlung der revolutionären Opposition der Schachanlage am 27. April 1930, zu der per mitarchiviertem Handzettel geladen wurde.
Neben den Betriebszeitungen der KPD beanspruchten sowohl andere Gewerkschaften als auch Betriebe und Unternehmen die Aufmerksamkeit der Arbeitskräfte. Als erstes fällt bei der Betrachtung der Konkurrenzdrucke der Qualitätsunterschied auf: Die Krupp’sche Werkzeitschrift „Nach der Schicht“ – als zeitgenössisches Beispiel – ist ein professionelles Druckerzeugnis, gefüllt mit Illustrationen, Reiseberichten, Errungenschaften des Unternehmens sowie aktuellen Themen. Damit firmiert sie quasi am anderen Ende der Qualitätsskala.
Die archivische Spezialsammlung Plakate und Flugschriften wurde im Zuge des Projekts „Digitale Infrastrukturen im Deutschen Bergbau-Museum Bochum und virtuelle Zugänglichkeit zum Bergbauerbe“ erschlossen und vollständig digitalisiert. Mit der damit einhergehenden verbesserten Zugänglichkeit eröffnet sich sowohl dem interessierten Publikum als auch der wissenschaftlichen Forschung dieser reiche Fundus an Quellen zur Kommunikation im Bergbau.
Mit den Werkzeitschriften der deutschen Bergbauindustrie befasst sich auch unser Fund des Monats.
01. Juli 2023 (Rodion Lischnewski)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 20/257, P 581, P 579, P 578
Hagemeister, Susanne/Wunderer, Rolf: Werkszeitschrift und Information, München 1967 (= Schriftenreihe der Forschungsstelle für Betriebswirtschaft und Sozialpraxis).
Zander, Ernst: Werkzeitschrift und Gewerkschaft, Hilden 1959 (= Untersuchungen und Berichte, Bd. 1).