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„Eine gute Weide ist der beste Zaun“

1942 wandte sich Fritz Sauckel, Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz, in einem auf Ukrainisch veröffentlichen Aushang an die ukrainischen Arbeiter:innen. Darin propagierte er die Vorteile, die aus der Befreiung durch „Adolf Hitler und seine unbesiegbare Armee“ entstanden seien. Zentral für das Dokument ist vor allem die Verheißung, die Lebensumstände der Arbeiter:innen verbessern zu wollen. Der Aushang ist in der Spezialsammlung montan.dok/BBA P: Sammlung Plakate und Flugblätter des Bergbau-Archivs Bochum unter der Signatur montan.dok/BBA P 1159 überliefert.

Explizit stellte Sauckel mit dem Aushang die Verbesserung der Wohnunterkünfte durch Entfernung der Stacheldrahtzäune, Verbesserung der Ernährung durch Angleichung an Rationen für Deutsche und letztendlich Verbesserung der Freizeitgestaltung in Aussicht. Als Gegenleistung verlangte Sauckel „fleißige Arbeit und die genaue Ausführung aller Befehle in den Fabriken und Lagern“ sowie Disziplin und Gehorsam gegenüber den deutschen Vorgesetzten, um „sich das Leben und eine ruhige Arbeit zu sichern.“ Diese großzügigen ‚Geschenke‘ stehen im Gegensatz zu der nationalsozialistischen Arbeitspolitik und dem rassischen Primat der extensiven Ausbeutung slawischer Völker. Damit ist das überlieferte Plakat ein stummer Zeitzeuge des Wandels in der Behandlung von „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“.

 

Wie sahen die Zustände in den Lagern aus, mit denen „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“ am Anfang des Einsatzes konfrontiert waren? Wie und warum veränderten sich diese im weiteren Verlauf des Zwangsarbeiter:inneneinsatzes? Die ersten beiden Punkte in Sauckels Aushang stellen ein besonders interessantes Untersuchungsobjekt dar, denn sie handeln von lebensnotwendigen Grund- und Existenzbedürfnissen: Ernährung und Unterkunft.

 

Die Unterbringung der zivilen Arbeiter:innen, die in den besetzten Gebieten mehr oder minder freiwillig für eine Arbeit im Deutschen Reich angeworben wurden, sollte in nach Geschlechtern und Nationalitäten getrennten Lagern stattfinden. Ein Bericht aus dem Jahr 1947 der Abteilung Arbeitseinsatz der Concordia-Bergbau AG in Oberhausen fasste den Arbeitseinsatz von Zwangsarbeiter:innen im Unternehmen retrospektiv zusammen. Im Herbst 1941 wurde ein Lager entsprechend der Vorschriften für ein Kriegsgefangenenlager mit einer Kapazität von 400 Personen gebaut. In dieses Kriegsgefangenenlager wurden im März und April 1942 insgesamt 403 zivile „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“ gebracht. Angesichts der vorgefundenen Bedingungen im Lager sprach der russische Dolmetscher die Disparität zwischen den in den „Ostgebieten“ beworbenen und vorgefundenen Verhältnissen an. Vor allem beschwerten sich die Arbeiter:innen über die Unterbringung hinter Stacheldraht und die mangelhafte Verpflegung. Die anfangs rekrutierten Arbeiter:innen sahen sich mit Wohnverhältnissen konfrontiert, die sie eher an Strafgefangenenlager als an Wohnanlagen erinnerten. Von einer katastrophalen Lage sprach auch ein Bericht aus dem Reichsministerium für die besetzten „Ostgebiete“. Die Delegation fand das besuchte Lager in schlechtem Zustand vor, die Ernährung galt als unzureichend und unhygienisch zubereitet, zudem waren die Insassen schlecht mit Kleidung und Decken ausgestattet.

 

Neben der miserablen Unterbringung sahen sich die „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“ vor allem durch die unzureichende und schlechte Verpflegung an den Rand der Existenz gedrängt. Am 07. Juli 1942 berichtete Tagesbetriebsführer Fritz Müller an die Hauptverwaltung der Hibernia Bergbau AG, dass die 617 „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“ täglich zwei warme Mahlzeiten in Form von zwei Litern Suppe und Brot bekämen. Trotzdem klagten die Betroffenen über Hunger und boten sich für zusätzliche Arbeiten an, um so Zusatzrationen zu erhalten. Der Hunger war so groß, dass faule Küchenabfälle und Melasse aus dem Tierfutter der Pferde unter Tage gegessen wurden.

 

Die Lagerinsass:innen erhielten nicht die ihnen zustehenden Rationen, da sich die Wachmannschaften willkürlich aus den Rationen der „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“ bedienten. Sie „schöpften also im wahrsten Sinne des Wortes das Fett von der Suppe ab, während die unter Tage beschäftigten Ostarbeiter dafür ein umso minderwertigeres Essen erhielten.“ Vor allem in Lagern, in denen Pächter:innen die Küche verwalteten, wogen die Mängel besonders schwer. Für die Unternehmer lohnte sich die Pacht, wie Verträge und Abrechnungen zwischen Metzgermeister Karl Hahn aus Bochum und der Bergwerksgesellschaft Hibernia AG zeigen. Allein im Gemeinschaftslager 7 erwirtschaftete Hahn in den Monaten Dezember 1942 bis März 1943 einen Überschuss von RM 41.606,15 – und das bei einem Verpflegungssatz von RM 1,25 für „Ost-“ und RM 1,55 für „Westarbeiter“ und „Westarbeiterinnen“. Die Hibernia AG wurde mit etwas weniger als der Hälfte an diesen unerwartet hohen Gewinnen beteiligt.

 

Die ständige Unterernährung und die schlechten Lebensbedingungen bewirkten eine geringe Produktivität der „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“. Eine Kompensation durch den Einsatz von mehr Arbeitskräften scheiterte am Ausbleiben freiwilliger Meldungen aus den „Ostgebieten“, denn nach und nach kamen Nachrichten über die miserablen Zustände in deutschen Lagern auch bei der ukrainischen Zivilbevölkerung an.

 

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, ordnete das Reichsministerium für die besetzten „Ostgebiete“ eine Verbesserung der Behandlung an. Konkret wurde ein wahrnehmbarer Unterschied im Umgang mit sowjetischen Kriegsgefangenen sowie „Ostarbeitern“ und „Ostarbeiterinnen“ gefordert. Diese Unterschiede sollten in erster Linie ein Gefühl von Menschenwürde aufkommen lassen und weniger ihre Zustände objektiv verbessern. Als erste Maßnahme wurde die anfangs erwähnte Entfernung des Stacheldrahts durchgesetzt. Die Rationen wurden mit mehr Brot versehen, dafür gab es weniger Fleisch. Außerdem wurden Möglichkeiten zum Ausgang in Gruppen geschaffen.

 

Sauckels Bekanntmachung passt in diesen Kontext. Verbesserungen bei den Lebensbedingungen sollten die „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“ zu mehr Leistungsbereitschaft motivieren und eine höhere Produktivität bewirken. Vor allem die symbolische Besserstellung gegenüber den sowjetischen Kriegsgefangenen sollte als günstige Alternativen zu teuren, tatsächlichen Verbesserungen der Lebensbedingungen die gleiche Wirkung entfalten. Das Titelzitat stammt aus einem Schreiben des Kommandanten Rotenberg des Kriegsgefangenen-Mannschaftslagers VI D in Dortmund und verdeutlicht die nüchtern-kalte Kalkulation hinter den scheinbaren ‚Geschenken‘ für die Zwangsarbeiter:innen. Das Ziel war nicht die Verbesserung der Lage, sondern eine effektivere Ausnutzung der Insass:innen.

 

Im Laufe des Projekts „Digitale Infrastrukturen im Deutschen Bergbau-Museum Bochum und virtuelle Zugänglichkeit zum Bergbauerbe“ konnte die archivische Spezialsammlung Plakate und Flugschriften erschlossen, digitalisiert und zum größten Teil über die Onlinedatenbank des montan.dok (www.montandok.de) sowie das Portal museum-digital verfügbar gemacht werden. Damit eröffnete sich sowohl der Forschung als auch dem interessierten Publikum ein reicher Fundus an Quellen zur Kommunikation des Bergbaus.

 

01. September 2023 (Rodion Lischnewski)

 

Übersetzung des Aushangs

Ukrainische Arbeiter und Arbeiterinnen!

 

Der Führer des Deutschen Volkes Adolf Hitler und seine unbesiegbare Armee haben Euch vom bolschewistischen Joch befreit.

 

Ihr alle habt die Bedeutung dieser großen Tat verstanden. Ihr habt mit Dankbarkeit die Befreiung von diesen Schrecken und Qualen des sowjetischen Regimes angenommen.

 

Ihr seid nach Deutschland gefahren, um mit eurer fleißigen Arbeit eure Dankbarkeit zu beweisen.

 

Die Mehrheit von Euch hat eine wahrhaft fleißige und gewissenhafte Haltung zur Arbeit gezeigt.

 

Nach meinen Berichten davon, dass Ihr großen Fleiß bei der Arbeit zeigt, haben der Führer des großen Deutschlands Adolf Hitler und der Verantwortliche für den Vierjahresplan Reichsmarschall Herman Göring verfügt euren Arbeitslohn bedeutend zu erhöhen und Euch folgende Vorteile zu erteilen:

  1. Verbesserung Eurer Wohnunterkünfte, im Speziellen die Stacheldrahtbewährung entfernen, soweit solche Begrenzung nicht für den ganzen Betrieb vorgeschrieben ist.
  2. Verbesserung Eurer Ernährung durch Angleichung an die Lebensmittelrationen für Deutsche.
  3. Eröffnung von Sparkassen für Euch, damit Ihr Eure Ersparnisse einzahlen könnt.
  4. Ausgabe von materieller Hilfe an Eure Verwandten in der Ukraine.
  5. Euch die Möglichkeit geben, mit Euren Angehörigen und Bekannten frei zu korrespondieren.
  6. Euch die Möglichkeit bieten, Eure Freizeit besser zu verbringen: Ihr erhaltet Zeitungen in Eurer Muttersprache, werdet Radio hören, man wird Euch Filme vorführen, usw.

 

Ukrainische Arbeiter und Arbeiterinnen!

 

Das große Deutschland hat Euch befreit, hat Euch Arbeit und Brot gegeben, hat Euch persönliche Freiheit besorgt.

 

Sorgfältig und genau die Euch aufgetragene Arbeit ausführend werdet Ihr beweisen, dass Ihr die gute Einstellung Euch gegenüber durch Adolf Hitler, dem wahren Befreier der Menschheit, verdient habt. Das wird Euch das Recht geben, diese Vorteile zu nutzen, das Recht auf ein ruhiges Leben eines freien, ehrlichen Arbeiters, auf freien Urlaub nach Euren Vorlieben und Gewohnheiten.

 

Achtet darauf, dass Eure Landsleute bei allem genau sind. Ihr seid alle für einander verantwortlich. Gebt Euch nicht den Faulenzern hin, die die gemeinsame Arbeit aufhalten. Ein fauler Arbeiter verdient keine Vorteile.

 

Das deutsche Volk führt einen nie dagewesenen Kampf für die Befreiung der Menschheit. Es trägt bewusst schwere Opfer und arrangiert sich mit den Nachteilen und Schwierigkeiten der Kriegszeit.

 

Der Führer gewährt Euch die gleichen Lebensmittelrationen, wie seinem Volk auch. Ihr seid, folgerichtig, dazu verpflichtet, diese Großherzigkeit und Gerechtigkeit zu schätzen.

 

Durch fleißige Arbeit und die genaue Ausführung aller Befehle in den Fabriken und Lagern dankt ihr am besten den deutschen Behörden für die gute Einstellung Euch gegenüber.

 

Führt alle Befehle genauestens aus. Vergesst nicht, dass während der Kriegszeit überall Disziplin herrschen muss. Ihr seid verpflichtet, höflich zu Euren deutschen Vorgesetzten zu sein und genau ihre Befehle auszuführen. Das gibt Euch die Möglichkeit, sich das Leben und eine ruhige Arbeit zu sichern.

 

Man muss ordentlich sein und seine Räume sauber und ordentlich halten. Auf diese Weise schützt Ihr Euch am besten vor Krankheiten.

 

Ich hoffe, dass ich über Euch und Eure Arbeit nur Gutes erfahren werde und freue mich, wenn ich wieder davon dem Führer berichten kann.

 

Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz

Fritz Sauckel

[gez.]

Gauleiter und Reichsstatthalter

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) P 1159, 8/383, 20/242, 32/512, 40/487, 72/469, 72/649

 

Westfälisches Wirtschaftsarchiv F29/205

 

Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Neuauflage, Bonn 1999.

 

Menne, Holger/Farrenkopf, Michael: Zwangsarbeit im Ruhrbergbau während des Zweiten Weltkrieges. Spezialinventar der Quellen in nordrhein-westfälischen Archiven, Bochum 2004 (= Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 15).

 

Seidel, Hans-Christoph: „Ein buntes Völkergemisch hat eine Wanderung durch unsere Gruben gemacht“. Ausländereinsatz und Zwangsarbeit im Ruhrbergbau 1940 bis 1945, in: Seidel, Hans-Christoph/Tenfelde, Klaus (Hrsg.): Zwangsarbeit im Bergwerk. Der Arbeitseinsatz im Kohlenbergbau des Deutschen Reiches und der besetzten Gebiete im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Essen 2005, S. 75-160.

 

Seidel, Hans-Christoph/Tenfelde, Klaus (Hrsg.): Zwangsarbeit im Bergwerk. Der Arbeitseinsatz im Kohlenbergbau des Deutschen Reiches und der besetzten Gebiete im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Essen 2005.