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Brandsachen – Ein Grubenwehrfilm im Bergbau-Archiv Bochum

Ein Telefonanruf, die Grubenwehrleute der Zeche Rheinelbe eilen zu ihren Fahrzeugen und rücken aus, fahren zur Einsatzstelle und legen Ausrüstung und Atemschutzgeräte an. Nach einer kurzen Einweisung durch einen Zechenbeamten vor Ort beginnen sie mit den Sicherungs- und Rettungsmaßnahmen: dem Wegschaufeln von Geröll, dem Zuschneiden und Setzen hölzerner Grubenstempel und Erste Hilfe-Maßnahmen an einem Verunglückten mit einem Beatmungsgerät „Pulmotor“ der Firma Dräger. Diese Einblicke in die Arbeit der damaligen Grubenwehren gewährt ein kurzer Stummfilm aus den 1930er-Jahren. Er ist eines der seltenen filmischen Zeugnisse zum Grubenrettungswesen aus dieser Zeit in der umfangreichen Filmsammlung des Bergbau-Archivs Bochum im Montanhistorischen Dokumentationszentrum (montan.dok).

Bei dem Film handelte es sich damals glücklicherweise um eine Übung, die eigens für das Filmteam inszeniert worden war. Der Einsatz fand größtenteils auch nicht unter Tage statt, sondern vermutlich in einem Lehrstollen einer bisher nicht identifizierten Zeche.

 

Video file

Film „Berufsfeuerwehr und Berufsgrubenwehr Rheinelbe“, 1936 (montan.dok/BBA F 115, DBM/montan.dok)

 

Gerade die Bergarbeit galt lange Zeit zu Recht als besonders gefährlich. Davon zeugen nicht zuletzt die zahlreichen und in ihren Auswirkungen oft verheerenden Grubenunglücke. Mit dem rasanten Aufstieg des industrialisierten Bergbaus seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und den wachsenden Betriebsgrößen stiegen Zahl und Ausmaß der Grubenunglücke, denen nicht selten Hunderte von Bergleuten zum Opfer fielen. Weniger spektakulär und öffentlichkeitswirksam, in ihren Auswirkungen auf Leben und Gesundheit der Bergleute aber zumindest ebenso gravierend, waren die zahlreichen Arbeitsunfälle und Gesundheitsrisiken, die die Bergarbeit bis weit in das 20. Jahrhundert hinein zu einem im Vergleich mit anderen Branchen riskanten Beruf machten.

 

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erfuhr das Rettungswesen in Deutschland einen Aufschwung, zunächst vorrangig in den Bereichen der Brandbekämpfung und medizinischen Notfallversorgung. Zudem erfolgten im Laufe der Jahrzehnte eine zunehmende Professionalisierung und Spezialisierung. In diesem Kontext entstanden auch in immer mehr Industriebetrieben eigene Sanitätsdienste oder Werksfeuerwehren. Im Ruhrbergbau war dies seit den 1870er- und dann insbesondere seit Mitte der 1890er-Jahre der Fall. Zeitgleich waren auch in der technischen Entwicklung spezieller Rettungsgeräte erhebliche Fortschritte zu verzeichnen und immer mehr Zechen hielten solche Geräte für den Notfall vor. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts entstand so auf freiwilliger Basis ein erstes, wenn auch noch nicht flächendeckend organisiertes Grubenrettungswesen im Ruhrbergbau. Am 30. Juli 1910 wurde schließlich die Hauptstelle für das Grubenrettungswesen beim Bergbau-Verein in Essen als zentrale Gemeinschaftsorganisation gegründet, um Leistungsfähigkeit des bis dahin unkoordiniert gewachsenen Rettungswesens zu erhöhen. Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehörten die Prüfung von Rettungsgeräten, die Ausbildung und Überwachung der Grubenwehren sowie die Aufstellung eines einheitlichen Rettungsplans.

 

Eine Vorreiterrolle in dieser Entwicklung nahmen die Bergwerksgesellschaft Hibernia, die 1898 auf ihrer Zeche Shamrock die erste Grubenwehr im Ruhrbergbau einrichtete, sowie die Gelsenkirchener Bergwerks-AG (GBAG) ein. Auf ihrer Zeche Vereinigte Rheinelbe und Alma wurde bereits 1887 eine freiwillige Werksfeuerwehr mit 54 Zechenbeamten und Bergarbeitern gegründet. Seit 1900 trieb die GBAG dann den Auf- und Ausbau ihrer Werksfeuer- und Grubenwehren systematisch voran. Aus der bis dahin freiwilligen Feuerwehr Rheinelbe ging am 01. Januar 1906 eine eigene, mit modernen Feuerlösch- und Rettungsapparaten ausgestattete Berufsfeuerwehr hervor. Sie fungierte als Zentrale für das gesamte Rettungswesen der GBAG und sollte im Ernstfall anderen Bergwerken zu Hilfe eilen können. Im Jahr 1931 konnte die Berufsfeuerwehr und Berufsgrubenwehr Rheinelbe ihr 25-jähriges Jubiläum feiern und fünf Jahre später, 1936, ein neu errichtetes Dienstgebäude beziehen.

 

In dieser Zeitspanne entstand der eingangs beschriebene Film. Die Rekonstruktion seiner ursprünglichen Entstehungs- und Nutzungskontexte sowie seiner Überlieferungs- und Archivgeschichte verweisen auf die Herausforderungen und Möglichkeiten, die eine sachgerechte Archivierung und Erschließung historischer Filme mit sich bringen. Der Film gelangte zusammen mit der umfangreichen Aktenüberlieferung der Rheinelbe Bergbau AG, die 1973 und 1978 in zwei Abgaben von der damaligen Bergbau AG Lippe übernommen wurde, in das Bergbau-Archiv Bochum. Gemäß damals noch üblicher Praxis wurde er zusammen mit den Akten verzeichnet und im Findbuch als „Filmaufnahme von der Feier des 25-jährigen Bestehens der Berufswehr“ aus dem Jahr 1931 aufgeführt. Dabei musste in Ermangelung der technischen Infrastrukturen zur Sichtung bei der Filmverzeichnung auf die oftmals nur spärlichen und unzuverlässigen Angaben auf den Filmdosen zurückgegriffen werden.

 

Mit den Abgaben von Bergwerken, Bergbauunternehmen und Verbänden wuchs die Menge filmischer Überlieferungen im Bergbau-Archiv Bochum stetig an, so dass nicht zuletzt aus konservatorischen Gründen 1987 eine eigene Spezialsammlung „Filme“ gebildet wurde, die zwischen 1999 und 2001 dank der VolkswagenStiftung in weiten Teilen gesichtet und erschlossen werden konnte. Das galt allerdings nicht für den hier thematisierten Film. Von seiner Sichtung wurde aus Sicherheitsgründen abgesehen, lag er doch als 35 mm-Nitrozellulosefilm vor, ein Material, dass fast explosionsartig verbrennt, wenn es mit einer Hitzequelle wie z. B. einer Projektionslampe in Kontakt kommt. Erst 2008 konnte der Film mit Förderung aus dem NRW-Programm „Substanzerhalt Film“ durch eine Fachfirma umkopiert werden. Hergestellt wurden ein Duplikat-Negativ im Originalformat 35 mm, eine 16 mm-Vorführkopie sowie Vorführ- und Sichtungskopien in den Videoformaten DigiBeta und VHS.

 

Nun war erstmals eine Sichtung des Films möglich. Es zeigte sich schnell, dass die Aufnahmen keineswegs die eigentlichen Feiern zum 25-jährigen Jubiläum der Berufsfeuerwehr und Berufsgrubenwehr Rheinelbe zeigten, wobei weiterhin plausibel schien, dass sie zu eben diesem Anlass 1931 entstanden waren. Zweifel an der ursprünglichen Datierung kamen erst bei einer späteren Sichtung auf. In der Szene nach der Ankunft der Grubenwehr am Einsatzort entbietet der Truppführer dem örtlichen Zechenbeamten ganz offensichtlich den so genannten Hitlergruß. Damit mussten die Aufnahmen nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 entstanden sein. Es erfolgten nun weitergehende Recherchen in den Beständen und Sammlungen des montan.dok sowie online, ein Aufwand, wie er im archivischen Arbeitsalltag nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden kann. Die Rettungsgeräte der Grubenwehrleute wurden als „Bergbau-Geräte Modell 160 A“ der Firma Dräger identifiziert, die 1934 auf den Markt kamen (Haase-Lampe, S. 48, montan.dok 030200321000). In den Eingangsszenen sind im Hintergrund die Dienstgebäude der Grubenwehr Rheinelbe teilweise erkennbar. Ein Abgleich mit zwei Fotografien im montan.dok (50 Jahre Berufsfeuerwehr und Berufsgrubenwehr Rheinelbe, 1956, montan.dok/BBA 170/77; montan.dok/BBA 41/9344) zeigte, dass die Filmaufnahmen am neuen, erst Ende 1936 bezogenen Dienstsitz entstanden sein mussten.

 

All dies legt den Schluss nahe, dass die Filmaufnahmen frühestens 1936, vermutlich anlässlich der Inbetriebnahme des neuen Dienstsitzes der Berufsfeuerwehr und Berufsgrubenwehr Rheinelbe entstanden sind. Aufgenommen wurden sie durch Bruno Stindt (1888-1958) für die Paramount-Film AG in Berlin, die in den 1930er-Jahren mehrere Dokumentarfilme produziert hat. Vermutlich waren sie für einen Beitrag in der Wochenschau „Paramount Sound News“ bestimmt. Bei dem vorliegenden Material handelt es sich aber offenbar um noch nicht aufbereitetes Drehmaterial. Die typischen Zwischentitel fehlen und auch die Laufzeit des Filmes ist mit ca. 3 Minuten deutlich länger, als die normalerweise etwa 40 und 90 Sekunden dauernden Wochenschaubeiträge.

 

Die Geschichte des Filmes „Berufsfeuerwehr und Berufsgrubenwehr Rheinelbe“ illustriert beispielhaft, dass bei der fachgerechten Dokumentation (nicht nur) audio-visueller Quellen mitunter ein beinah detektivischer Spürsinn vonnöten ist. Zudem offenbart sie die Potenziale eines übergreifenden Zugriffs auf Quellen aus verschiedenen Dokumentationsbereichen. Die Voraussetzungen hierfür sind gerade im montan.dok mit seinen vielfältigen Beständen und Sammlungen in Bergbau-Archiv Bochum, Musealen Sammlungen und Bibliothek|Fotothek in besonderer Weise gegeben.

 

01. Oktober 2023 (Dr. Stefan Przigoda)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) F 115 und F 116, 41/9344

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum 030200321000

 

50 Jahre Berufsfeuerwehr und Berufsgrubenwehr Rheinelbe, 1956 (montan.dok/BBA 170/77).

 

Farrenkopf, Michael: „Zugepackt – heißt hier das Bergmannswort“. Die Geschichte der Hauptstelle für das Grubenrettungswesen im Ruhrbergbau, Bochum 2010 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 178; = Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 22).

 

Haase-Lampe, Wilhelm: Bergbau-Sauerstoff-Gasschutz Dräger. Entwicklung, Wirkungsweise, Gebrauch, Erfolge, Lübeck 1946.

 

Przigoda, Stefan/Menne, Holger: Bergbaufilme. Inventar zur Überlieferung in Archiven, Museen und anderen Dokumentationsstellen in der Bundesrepublik Deutschland, Bochum 2005 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 130; = Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 16).

 

Online-Portale: Filmportal. Unter https://www.filmportal.de/en/person/bruno-stindt_9810f2ee3f8b4183a370ffefe4a53216 (Eingesehen: 13.09.2023); montandok.de. Unter: https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=64890 und museum-digital. Unter https://westfalen.museum-digital.de/object/14747 (Eingesehen: 25.07.2023).