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„Bergwerk muß blühen. Gedanken zur Jahreswende“, Broschüre der Deutschen Kohlenbergbau-Leitung, 1952

Krisen gab es immer. Und Wege aus der Krise auch. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und Gründung der Bundesrepublik 1949 sahen sich die Unternehmen des Ruhrbergbaus ganz besonderen Herausforderungen gegenüber – in Diskussionen um Konzern-Entflechtung, Neuordnung, gar Enteignung mussten die Bergbauunternehmen zwischen Politik, Gewerkschaft und Alliierten lavieren. An den Besitzverhältnissen änderte sich letztlich wenig, aber mit der ungeliebten Montanmitbestimmung mussten die Unternehmen doch eine Kröte schlucken.

„Bergwerk muss blühen“, so lautete der Titel einer Broschüre der Deutschen Kohlenbergbau-Leitung (DKBL) zum Jahreswechsel 1951/52, die sich in der archivischen Spezialsammlung montan.dok/BBA P: Plakate und Flugblätter des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum befindet (montan.dok/BBA P 1264). Sechs Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und nach dem Zusammenbrechen der NS-Diktatur hatte sich Einiges verändert, nicht nur in der Gesellschaft insgesamt, sondern auch im Bergbau. „Der deutsche Kohlenbergbau“, so schrieb Heinrich Kost, der Vorsitzende der DKBL einleitend, „steht vor einer äußeren und inneren Neuordnung. In entscheidenden Organen aller Gesellschaften sind künftig Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichberechtigt vertreten.“ 

 

Das war neu! Betriebliche Gleichberechtigung im traditionell autoritären und streng hierarchisch strukturierten Bergbau? Nicht lang zuvor waren Gewerkschafter – auch aus dem Bergbau – eingesperrt und ermordet, ihre Organisationen verboten worden. Nun aber sollte der „Grundstein für eine echte Partnerschaft gelegt“ werden, „die Deutschland und der Welt nicht nur mehr Kohle, sondern auch eine neue Form des gemeinsamen Lebens und Wirkens in Freiheit und Wohlstand bringen“ sollte. Was hier gemeint war und etwas pathetisch umschrieben wurde, war das bereits am 21. Mai 1951 im Bundestag verabschiedete „Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie“, kurz das Montanmitbestimmungsgesetz. Dieses sah zwei grundlegende Neuerungen vor: Zum einen sollte in Gesellschaften der Eisen-, Stahl- und Bergbauindustrie mit einer Belegschaft ab 1.000 Mitarbeiter:innen der stellvertretende Vorsitz durch einen üblicherweise von der Gewerkschaft benannten Vertreter der Arbeitnehmerseite besetzt werden – der so genannte Arbeitsdirektor. Zum anderen war der Aufsichtsrat zu gleichen Teilen von Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zu besetzen, der im Konfliktfall ausschlaggebende elfte Sitz war von einer neutralen Person einzunehmen, der beide Seiten ihre Zustimmung geben mussten. 

 

Was Jahrzehnte später, gerade auch angesichts des langen Strukturwandels im Steinkohlenbergbau, zumeist als Selbstverständlichkeit galt, nämlich die Mitwirkung der Arbeitnehmervertretung an betrieblichen Entscheidungen, war zuvor heiß umstritten und stand im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe grundlegender Neuordnungsbereiche in der Montanindustrie nach 1945. Dazu gehörte zunächst die Entflechtung der übermächtigen Montankonzerne, deren wirtschaftspolitische Stellung von den Alliierten mit für die Kriegspolitik des NS-Regimes verantwortlich gemacht wurde. Die Kontrolle über den Betrieb der Schachtanlagen war bei Kriegsende zunächst den alliierten Besatzungsbehörden unterstellt, die die praktische Lenkung 1947, mit Gründung der DKBL, schrittweise in deutsche Verantwortung zurückgaben. Eine von den Gewerkschaften favorisierte Sozialisierung der Steinkohlenindustrie, wie es sie 1946 in Großbritannien gegeben hatte, wurde hingegen unter wachsendem amerikanischen Einfluss immer unwahrscheinlicher. Umso lauter wurden die Rufe nach einem auf die Schlüsselindustrien Kohle und Stahl zugeschnittenen Mitbestimmungsgesetz. Sowohl die IG Metall als auch die IG Bergbau führten im Januar 1951 Urabstimmungen über Streikmaßnahmen durch, falls die junge Regierung Adenauer sich in der Mitbestimmungsfrage nicht bewegen würde (vgl. montan.dok/BBA P 1). Als Antwort erfolgte dann tatsächlich die Verabschiedung des Gesetzes im Mai 1951. 

 

Wenn auch die Umsetzung der Mitbestimmung in der Praxis erst ausgestaltet werden musste, gingen die Gewerkschaften gestärkt aus dem Konflikt hervor. Die Broschüre wirft vor diesem Hintergrund ein Licht darauf, wie die Arbeitgeberseite (die in der DKBL dominant war) versuchte, die gesetzlich bestimmten Regelungen möglichst in die Sprache der unternehmerischen betrieblichen Sozialpolitik zu übersetzen und in gewissem Maße zu entschärfen. Umfassend bebildert fasste sie die Entwicklungen der Jahre nach 1945 zusammen und blickte zugleich in die Zukunft. Dabei kamen zwei Aspekte besonders zum Tragen: zum einen die Betonung der Gemeinsamkeit zwischen Bergbaukonzernen und Bergleuten, die es in der zukünftigen Praxis zu stärken gelte. Vom „Direktor bis zum jüngsten Berglehrling“ frage sich jetzt jeder, „Was habe ich nun zu tun? Was ist mein Beitrag zum künftigen Erfolg des Bergbaus?“ Und, wie es etwas weiter hieß, ein jeder stelle „einen unentbehrlichen Beitrag zur gemeinsamen Leistung“, es gehe um „gemeinsame Verantwortung“. Über „unvermeidliche Spannungen“ erhebe sich „die gemeinsame Sorge um eine ausreichende Kohlenförderung (…). Wir stehen auf einem Förderkorb und hängen an einem Seil.“ Diese gemeinsame Verantwortung verknüpfte sich zum anderen mit den konkreten Zukunftsperspektiven des Bergbaus. Dazu gehörte der neu geschaffene (west-)europäische Wirtschaftsraum mit der ebenfalls 1951 gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (als Kern der späteren EU), eine gezielt voran getriebene Mechanisierung sowie ein Ausbau der betrieblichen Sozialeinrichtungen. 

 

All dies wurde auch visuell hervorgehoben, nicht zuletzt auf einer Doppelseite, die unter dem Motto „Was tun die Zechen heute?“ Fotos und Graphiken von Kindergärten, Jugend- und Freizeiteinrichtungen, Urlaubszenen sowie – auch das als Teil von „Fürsorge“ – Nähkurse für junge Frauen zusammenstellte. Auch Wohnungsbau und die gesundheitliche Betreuung wurden bildlich besonders gewürdigt. All dies wurde schließlich verbunden durch einen spezifischen bergbaulichen Traditionsbezug, der sich ebenfalls auf einer ästhetisch-visuellen Ebene ausdrückte. So folgte bereits eingangs auf Heinrich Kosts Einführung zunächst das Gedicht „Wir“ des Bergarbeiter-Dichters Willy Bartock: „Uns lockt die Tiefe nicht als Abenteuer / uns zwingt ein heilig-ernstes Pflichtgebot! / Wir graben aus dem Dunkel Licht und Feuer / und Wunderkräfte gegen jede Not.“ In sechs weiteren Strophen beschwor Bartock den gemeinsamen Beitrag der Bergleute zu Wohlstand und Moderne. Zugleich wurde mit der Gegenüberstellung eines aktuellen Fotos von zwei Arbeitern untertage und eines Holzschnitts aus Georg Agricolas „De Re Metallica“ von 1556 auf eine Tradition verwiesen, die das kollektive „Wir“ des Gedichts ebenso wie das hier vermittelte Selbstverständnis des Bergbaus rahmen sollte. Als Schlusspunkt fand sich auf der Rückseite ein Bild der Heiligen Barbara, die den beschworenen sozialpartnerschaftlichen Zukunftsentwurf der Broschüre zusätzlich bekräftigen sollte. 

 

01. Januar 2024 (Dr. Stefan Moitra)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) P 1, P 1264

 

Abelshauser, Werner: Der Ruhrkohlenbergbau seit 1945, München 1984.

 

Jäger, Wolfgang/Lauschke, Karl/Mittag, Jürgen (Hrsg.): Mitbestimmung im Zeichen von Kohle und Stahl. Debatten um die Montanmitbestimmung im nationalen und europäischen Kontext, Essen 2020. 

 

Kroker, Evelyn: Heinrich Kost. Rationalisierung und Sozialbeziehungen im Bergbau, in: Erker, Paul/Pierenkemper, Toni (Hrsg.): Deutsche Unternehmer zwischen Kriegswirtschaft und Wiederaufbau. Studien zur Erfahrungsbildung von Industrieeliten, München 1999, S. 291-316.