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Von Bochum in die Welt: Auszeichnungen für die WBK auf den Weltausstellungen 1873 und 1893

Zur Geschichte der Industrialisierung gehört auch, dass sich die Industrie auf Welt- und Gewerbeausstellungen einer breiten Masse vorstellte. Die Bedeutung dieser damals neuartigen Präsentationswelten nahm seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa und den USA stetig zu. Mit dem Anspruch, die immer neuesten Errungenschaften aus Industrie, Wissenschaft und Kunst zu präsentieren, wurden die internationalen Ausstellungen für die Zeitgenossen zu Kristallisationspunkten der Moderne, an denen das Ausmaß an Veränderungsdynamik weltweit greifbar schien. Der nationale Repräsentationswille der teilnehmenden Länder mischte sich hier mit dem Wunsch der Unternehmen und Industriebranchen, im internationalen Rahmen auf sich aufmerksam zu machen und für die eigenen Produkte zu werben. Das galt auch für den Bergbau.

Die erste Weltausstellung fand 1851 in London statt. Die deutsche Steinkohlenindustrie und insbesondere der Ruhrbergbau waren bei den frühen Weltausstellungen eher auf Betreiben von Staat und Behörden beteiligt als durch die eigene Motivation zur Selbstdarstellung. Dies änderte sich jedoch, als das Prestige der Ausstellungsteilnahme anstieg. Zudem gab es seit 1864 mit der Westfälischen Berggewerkschaftskasse (WBK) eine Gemeinschaftsinstitution, die federführend bei der Organisation von Kollektivausstellungen wirken und sich darüber hinaus selbst durch ihre wissenschaftlichen Pionierarbeiten mit eigenen Auftritten beteiligen konnte.

 

Die Entwicklung der Steinkohlenindustrie im Ruhrgebiet bedeutete nicht nur, dass auf hunderten von Schachtanlagen Generationen von Bergleuten Kohle förderten. Vielmehr erforderten die industriellen Prozesse auch spezialisiertes Wissen: Fachkräfte mussten ausgebildet, technisches Wissen entwickelt und naturwissenschaftliche Forschung für die Industrie anwendbar gemacht werden. Mit der WBK schufen sich die Unternehmen des Ruhrbergbaus das institutionelle Herzstück zum Aufbau eines speziell auf den Bergbau ausgerichteten Forschungs- und Ausbildungssystems. Im Fokus standen zunächst die Ausbildung der technischen Angestellten und die Ergänzung des lückenhaften Wissens über die geologischen Verhältnisse im Revier. Die WBK brachte im Folgenden eine Vielzahl von Schulformen sowie das Deutsche Bergbau-Museum Bochum hervor. Auf der Forschungsseite entstanden zahlreiche natur- und ingenieurwissenschaftliche Institute, die zusätzlich umfangreiche Gutachtertätigkeiten betrieben.

 

Bereits anlässlich der Wiener Weltausstellung, die vom 1. Mai bis zum 2. November 1873 stattfand, errang die WBK gemeinsam mit dem 1858 gegründeten Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamtsbezirk Dortmund (so genannter Bergbau-Verein) eine Fortschrittsmedaille mit zugehörigem Diplom (montan.dok 030004012001 und 030004012002). Als fünfte Weltausstellung und erste im deutschsprachigen Raum sollte die Wiener Weltausstellung das wieder gewachsene Selbstbewusstsein Österreichs nach den verlorenen Kriegen gegen Piemont/Frankreich (1859) und Preußen (1866) repräsentieren. Anlass war das 25-jährige Regierungsjubiläum des österreich-ungarischen Kaisers Franz-Joseph, wobei sich Wien als Mittler zwischen Okzident und Orient verstand. Das zur Verleihung der Fortschrittsmedaille gehörende Diplom zeigt innerhalb der Rahmung den schwarz und rot gehaltenen Text „Weltausstellung 1873 in Wien. / Die Internationale Jury / hat der / Westphälischen Berggewerkschafts-Casse / zu Bochum und Verein für die bergbaulichen Interessen / im Ober-Bergamts-Bezirke Dortmund zu Essen / Kön. Preussen (Deutsches Reich) / die / Fortschritts-Medaille / zuerkannt. / Der Präsident / der Kaiserlichen Ausstellungs-Commission: Unterschrift Der General-Director: Schwarz Senborn / Wien, den 18. August 1874.“

 

Auch 20 Jahre später, während der Weltausstellung in Chicago, konnte sich die WBK abermals über Auszeichnungen freuen. Den Anlass dieser globalen Schau bildete die 400-Jahr-Feier der Entdeckung Amerikas durch Christopher Columbus (1451-1506). Die offizielle Eröffnung konnte allerdings erst 1893, ein Jahr nach dem Jubiläum, stattfinden. Obwohl Chicago 1871 fast vollständig abgebrannt war, besaß die Stadt wegen ihres schnellen Wachstums und ihrer kühnen Bautätigkeit einen besonderen Ruf. Weit außerhalb der Stadt entstand eine gigantische Ausstellungswelt: Um vier Wasserbecken herum ordnete man über zehn monumentale Hallen und Pavillons an, der größte davon – das Industrie-Gebäude – besaß Abmessungen von 514 Meter Länge, 230 Meter Breite und von 62 Meter Höhe.

 

Die WBK errang auf der Weltausstellung in Chicago zwei lobende Erwähnungen: Einerseits dafür, den Steinkohlenbergbau an der Ruhr in statistischen Darstellungen sowie durch aussagefähige Karten und Unterlagen wissenschaftlich erforscht, andererseits dafür, eine exemplarische Ausstellung von Kohlen, Koks und anderen Produkten aus der Destillation von Steinkohlen unter modernen chemischen Gesichtspunkten präsentiert zu haben. Die beiden Medaillen (montan.dok/Museale Sammlungen 030000402001 und 030000403001) sind identisch, die zugehörigen Urkunden unterscheiden sich nur in der Begründung der Auszeichnung.

 

Die aufwändig gestalteten Urkunden besitzen einen reich verzierten Rahmen, der aus einer von Bändern umflochtenen Laubranke besteht. Das obere Drittel der Urkunde (montan.dok 030000402002) zeigt innerhalb einer von einem Adler, der das US-amerikanische Wappen hält, bekrönten runden Öffnung (Lunette) das Ausstellungsgelände mit seinen reichen Architekturen. Vor diesem liegt die personifizierte, an antike Göttinnen erinnernde „Freiheit“ mit Jakobinermütze, Palmzweig und Schwert und stützt sich auf einen Bison als für Amerika charakteristisches Tier. Vor der „Liberty“ sind drei nahezu nackte Knaben angeordnet – ein stehendes Kind aus der Gruppe der Native Americans mit Speer (Stab), ein hockender weiß gelesener Junge mit Buch und Hammer sowie ein kniender Junge afrikanischer Herkunft mit Blütenranke. Alle drei Kinder symbolisieren die unterschiedlichen Ethnien der amerikanischen Bevölkerung und in damaliger Lesart eine Ableitung ihres vermeintlich unterschiedlichen Erziehungsgrads. In den beiden Zwickeln im Hintergrund sitzen jeweils unbekleidete, geflügelte, weibliche Genien, die ein Zahnrad bzw. einen mächtigen Krug als Symbole für die Technik und die Kunst auf ihren Oberschenkeln halten.

 

Im größeren unteren Teil der Urkunde beherrscht unterhalb der Schrifttafel ein von vier weiblichen Personen gerudertes und von Christopher Columbus gesteuertes Boot die Komposition. Die Ruderinnen – eine Bewohnerin des europäischen Kontinents in klassisch-griechischer Tracht, eine des afrikanischen Kontinents mit Ohrring, eine des südamerikanischen Kontinents mit Haarkranz und eine des asiatischen in japanischer Kleidung – sitzen mit ihren Rudern in den Händen vor dem an der Back des Schiffes stehenden Columbus. In der ausgestreckten rechten Hand hält er einen Reichsapfel. Das Boot ist am Bord mit den Wappen europäischer Königreiche geschmückt (darunter Belgien, Russland, Frankreich, Ungarn, Vereinigtes Königreich und Italien). Über dem gebogenen Bug steigt eine Genie mit emporgehaltenem Lorbeerkranz und einer Fanfare empor. Seitlich vom Bug und der Genie, beziehungsweise hinter Columbus, sind einige der an der Weltausstellung teilnehmenden Staaten auf Schriftbändern an einem Baum befestigt (links: Arg[entina], Mex[ico], Ven[e]zuela, Br[a]zil, Ch[il]i, Peru, Uruguay, Hayti, Costa Rica, Columbia, Ecuador, Bolivia und Cu[ba], rechts: Italy, Spain, Great Britain, Germany, France, Russia, Austria, Holland, [Bel]gium, Sweden und [Dan]mark). Unterhalb von Columbus ist am Heck des Schiffes die Jahreszahl „1492“ als das Jahr der Wiederentdeckung Amerikas eingetragen.

 

Der Text auf der mittig auf der Urkunde angeordneten Widmungstafel lautet in angepasster deutscher Übersetzung: „Die Vereinigten Staaten von Amerika haben durch ein Gesetz ihres Kongresses die World's Columbian Commission auf der in der Stadt Chicago, Staat Illinois, im Jahre 1893 abgehaltenen internationalen Ausstellung ermächtigt, eine Medaille für besondere Verdienste, die nachstehend über dem Namen eines einzelnen als Prüfer fungierenden Richters aufgeführt ist, auf Grund des Ergebnisses eines Ausschusses internationaler Richter, an die Westfälische Berggewerkschaftskasse Bochum, Deutschland, auszustellen: Statistik des Ruhrkohlenreviers, Flözpläne, und drei Schnitte von Ruhrkohlenlagerstätten. Auszeichnung: Statistik des Ruhrkohlebeckens: Für sorgfältige Zusammenstellung und Bedeutung der statistischen Angaben durch Diagramme, welche die Entwicklung des Steinkohlenbergbaus in Westfalen während der letzten dreißig Jahre und die Vermehrung der Lagerstättenkenntnisse des Reviers zeigen. Flözpläne und drei Schnitte der Ruhrkohlenlagerstätten: Für eine große Karte der westfälischen Steinkohlenbasis, in einer großen Anzahl von getrennten Blättern, die die Kohlenflöze zeigen und Auskunft über sie geben, und von drei großen Schnitten. Sie zeigt sorgfältige Ausführung und große wissenschaftliche und kaufmännische Wichtigkeit“.

 

Die Urkunde ist von H. M. Howe (President Department Committee) und Clement Le Neve Foster (Individual Judge) verliehen worden. Unterschrieben haben sie der Director General (zugleich Chairman Executive Committee of Awards), der President World’s Columbian Commission (T. W. Palmer) sowie der Secretary World’s Columbian Commission (J. Dickinson). Die Künstler der Urkunde haben sich ebenso wie die ausführende Staatliche Druckerei am unteren Rand eingetragen. Beide Urkunden bestechen durch ihre Allegorien und die Detailfülle, in der sich das Selbstbewusstsein der amerikanischen Veranstalter gegenüber den nichtamerikanischen Ausstellern widerspiegelt.

 

Die Medaillen und Urkunden werden im Montanhistorischen Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museum Bochum (DBM) fachgerecht verwahrt, 2014 waren sie Teil der im DBM+ gezeigten Sonderausstellung „Das Wissensrevier. 150 Jahre Westfälische Berggewerkschaftskasse/DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung“. In der Verbindung von schriftlichen Überlieferungen und materiellen Objekten stehen sie vor allem für das reiche Quellenspektrum, das das montan.dok auch für zukünftige Forschungen zur Montangeschichte bereithält.

 

01. August 2023 (Dr. Michael Farrenkopf)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum, 030000402001, 030000402002, 030000403001, 030004012001, 030004012002

 

Beutler, Christian/Metken, Günter: Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, München 1973.

 

Farrenkopf, Michael/Ganzelewski, Michael: Das Wissensrevier. 150 Jahre Westfälische Berggewerkschaftskasse/DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung. Katalog zur Sonderausstellung. Deutsches Bergbau-Museum Bochum vom 29. Juni 2014 bis 22. Februar 2015, Bochum 2014 (= Kretschmann, Jürgen/Farrenkopf, Michael [Hrsg.]: Das Wissensrevier. 150 Jahre Westfälische Berggewerkschaftskasse/DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung, Bd. 2).

 

Kroker, Evelyn: Die Weltausstellungen im 19. Jahrhundert. Industrieller Leistungsnachweis, Konkurrenzverhalten und Kommunikationsfunktion unter besonderer Berücksichtigung der Montanindustrie des Ruhrgebietes zwischen 1851 und 1880, Göttingen 1975.

 

Lützow, Carl von (Hrsg.): Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873, Leipzig 1875.

 

Moitra, Stefan: Das Wissensrevier. 150 Jahre Bergbauforschung und Ausbildung bei der Westfälischen Berggewerkschaftskasse/DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung. Die Geschichte einer Institution, Bochum 2014 (= Kretschmann, Jürgen/Farrenkopf, Michael [Hrsg.]: Das Wissensrevier. 150 Jahre Westfälische Berggewerkschaftskasse/DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung, Bd. 1).

 

Przigoda, Stefan: Unternehmensverbände im Ruhrbergbau. Zur Geschichte von Bergbau-Verein und Zechenverband 1858-1933, Bochum 2002.

 

Reerink, Wilhelm: Forschung und Entwicklung als Gemeinschaftsaufgabe im deutschen Steinkohlenbergbau, in: Ludwig, Gerhard (Red.): Bergbau-Forschung GmbH. 20 Jahre Gemeinschaftsforschung des Steinkohlenbergbaus, Essen 1978, S. 6-9.