Auf dem Rücken der Pferde liegt die Last unter der Erde
Neben der schreibenden Zunft haben sich auch die bildenden Künste mit dem Schicksal der Tiere befasst, wie unter anderem Constantin Meuniers Bronzeplastik eines ausgemergelten Grubenpferdes (montan.dok 033302053001), aber auch die Radierungen von Hermann Kätelhön (montan.dok 030006095011 und 030006098002) zeigen. Bei Kätelhöhn sind insbesondere die engen Beziehungen einzelner Menschen zu den Tieren zentraler Bestandteil der Darstellungen.
In den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) finden sich auch Beispiele für die Verknüpfung von Literatur und bildender Kunst, wie etwa eine Mappe der Künstlerin Lili Réthi, die mit ihren Grafiken begleitende Illustrationen zu Emile Zolas Werk „Germinal“ liefert (montan.dok 030000249000). Werden in Zolas Roman Grubenpferde und ihre harte Arbeit zwar thematisiert, so sind diese in Réthis Darstellungen allerdings nicht zu finden. Anders verhält es sich bei einer Serie von Zeichnungen, die Helmut Spannaus angefertigt hat. Diese illustrieren eine kleine Erzählung, die in der zweiten Ausgabe des Jahres 1953 von „Der Anschnitt“ erschienen ist.
Günther Wunders kurze Erzählung „Lieses Fahrt ins Licht“ handelt von dem Grubenpferd Liese, das sich nach schlechter Behandlung losreißt und beim Fluchtversuch in der Strecke stecken bleibt. Infolgedessen wird dem Tier ein anderer Bergmann zugeteilt, der liebevoller mit ihm umgeht. Kurze Zeit später wird unter Tage die erste Lokomotive auf der Zeche eingeführt, was die Arbeit des Pferdes letztendlich überflüssig macht und ihm den unerwarteten Ruhestand auf einem Bauernhof beschert.
Helmut Spannaus bebildert diese Erzählung mit vier schlicht gehaltenen Federzeichnungen in schwarzer Farbe auf weißem Grund, die in „Der Anschnitt“ begleitend abgedruckt sind. Die erste zeigt Liese mit angekoppeltem Kohlenwagen und im Vordergrund einen Bergmann mit offenbar anlasslos erhobener Peitsche. In der zweiten Zeichnung läuft das Pferd aufgeschreckt auf den Bildvordergrund zu. Es ist zu erkennen, dass der Ausbau dem Berg nachgegeben hat und niedriger wird, sodass das von zwei Männern verfolgte Pferd droht, stecken zu bleiben. Die weiteren zwei Zeichnungen stellen die verbesserte Situation für Liese dar: In der einen Szene wird sie von einem freundlich dreinblickenden Bergmann gefüttert, die andere zeigt eine Über-Tage-Ansicht, in der Liese am Zügel geführt hinter einem Mann hergeht. Im Hintergrund ist das Bergwerk mit Fördergerüst und qualmenden Schloten zu sehen.
Obwohl die Erzählung mit nur wenigen Absätzen recht knapp gehalten ist, wurde sie mit vier extra angefertigten Zeichnungen bebildert, was sicherlich ein bemerkenswerter Aufwand ist. Interessant ist an dieser Stelle, dass die neu unter Tage eingeführte Lokomotive nicht in den Zeichnungen auftaucht, obwohl sie durch die Augen des Pferdes in einer bildlichen Sprache recht skurril beschrieben wird:
„Hatten doch die Menschen […] ein fremdes Wesen mit in die Grube gebracht! Von seinem merkwürdigen Aussehen konnte man ja noch absehen, aber welch einen abscheulichen Gestank verbreitete das Biest! Es rannte wie wild in den Strecken dahin, auf schmalen Eisenschienen […] und starrte mit seinem einzigen, funkelnden Auge unentwegt geradeaus. Dabei machte das Ungeheuer einen entsetzlichen Krach. Und was Liese gar nicht verstehen konnte: daß man das fremde Tier so verhätschelte. Man salbte es mit Fetten, träufelte ihm Öl in die offenen Stellen und gab ihm jeden Tag sechs Pferdeeimer voll Wasser zu saufen.“ (Wunder, Lieses Fahrt, S. 17).
Diese Beschreibung und den Einfluss, den die Lokomotive auf Lieses Schicksal hat, eingedenk, hätte wohl andere Kunstschaffende dazu eingeladen, sich gerade hier im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Bild auszutoben. Jedoch hat man sich entschieden, den Fokus der Darstellungen voll und ganz auf das Tier und die mit ihm in Kontakt tretenden Menschen zu legen und so deutlich zu machen, wie eng die Beziehung zwischen den Bergleuten und „ihren“ Pferden sein konnte, aber eben auch, wie schutzlos letztere der Situation unter Tage mitunter ausgeliefert waren.
Der in Eisenach geborene Helmut Spannaus war Mitglied im Bochumer Künstlerbund und befasste sich in seinem Schaffen unter anderem mit der Montanindustrie (Ölgemälde „Nach der Schicht“, montan.dok 033302784001). Zudem trat er im Ruhrgebiet häufiger als Auftragskünstler in Erscheinung, beispielsweise für die Dortmunder Hansa-Brauerei. Für das Plakat der Ausstellung „Kunst und Bergbau“ 1951 im damaligen Bergbau-Museum Bochum (montan.dok/BBA P 2023) steuerte er das Motiv bei.
Die vier Zeichnungen, die Spannaus 1953 als Auftragsarbeit zur Illustration der Erzählung in „Der Anschnitt“ beisteuerte, kamen noch im gleichen Jahr in die Musealen Sammlungen und wurden später im montan.dok im Zuge des Projekts „Digitale Infrastrukturen im Deutschen Bergbau-Museum Bochum und virtuelle Zugänglichkeit zum Bergbauerbe“ neu erschlossen und digitalisiert.
01. Oktober 2024 (Philip Behrendt, B.A.)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum 033303372001-4, 033302053001, 030006095011, 030006098002, 030000249000, 033302784001.
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) P 2023.
Bochumer Künstlerbund e.V. (Hrsg.): 50 Jahre Bochumer Künstlerbund, Bochum 1996.
Fergg-Frowein, Charlotte (Hrsg.): Kürschners Graphiker Handbuch. Deutschland Österreich Schweiz, Berlin 1959.
Gilhaus, Ulrike: Kumpel auf vier Beinen. Grubenpferde im Ruhrbergbau, Essen 2010.
Kroker, Evelyn/Unverferth, Gabriele: Der Arbeitsplatz des Bergmanns in historischen Bildern und Dokumenten, 3., überarbeitete Auflage, Bochum 1990.
Wunder, Günther: Lieses Fahrt ins Licht, in: DER ANSCHNITT 5, 1953, H. 2, S. 16 f.