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Zur Erinnerung ein Bergmann aus Terrakotta

1971 reiste ein Belegschaftsmitglied der Gewerkschaft Auguste Victoria mit einer Grubenlampe im Gepäck nach Japan. Zurück nach Marl brachte er eine Terrakottafigur, die Darstellung eines japanischen Bergmanns.

Wie das Gastgeschenk des deutschen Bergmanns in Japan aufgenommen worden ist, wissen wir nicht. Bekannt ist nur, dass er sich im Mai 1971 „anlässlich eines Facharbeiteraustausch-Programms der Carl-Duisberg-Gesellschaft“ in Japan aufhielt. Dies geht aus einem Schreiben des damaligen Arbeitsdirektors der Gewerkschaft Auguste Victoria, Josef Kind, hervor (vgl. auch im Folgenden montan.dok/BBA 112/824). Die 1949 von Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland gegründete Carl-Duisberg-Gesellschaft förderte die berufliche Bildung und den Austausch von Fach- und Führungskräften aus Deutschland und dem Ausland. Seit 1969 gab es einen Austausch von Facharbeitenden mit Japan. Davon profitierte nun offenkundig der Bergmann aus Marl.

 

In Japan, genauer auf der Insel Hokkaido, wurde dem deutschen Facharbeiter die Figur als Gegengabe zu der mitgebrachten Grubenlampe von dem Präsidenten des Minami-Daiyubari-Bergwerks übereicht, wie weiter aus dem genannten Brief hervorgeht.

 

Der japanische Bergmann aus Terrakotta blieb aber nicht lange in seinem Besitz oder besser gesagt bei der Gewerkschaft Auguste Victoria. Noch im Sommer 1971 schenkte Joseph Kind dem damaligen Bergbau-Museum Bochum die Figur (montan.dok 033304310001). Ob die guten Verbindungen des Museums nach Marl – der seinerzeitige Museumsdirektor, Bergassessor a. D. Hans Günter Conrad, war seit 1971 Mitglied des Aufsichtsrates der Gewerkschaft Auguste Victoria – hier eine Rolle gespielt haben, geht aus dem Schriftverkehr im Zusammenhang mit der Schenkung nicht hervor. Conrad bedankte sich am 31. August 1971 noch einmal für die Gabe und fragte gleichzeitig nach näheren Informationen zu der Herkunft und dem Modelleur der Plastik. Dazu konnte Kind aber keine Auskunft geben. Er verwies für mögliche weitere Hinweise auf ein in japanischer Sprache verfasstes Schriftstück, dass dem Bergmann beigelegen habe.

 

Tatsächlich gibt dieses Papier nähere Auskunft zu der Figur. Eine Übersetzung fertigte auf Bitten des Museums Dr. Klaus Müller, der am Ostasien-Institut der Ruhr-Universität Bochum, Sektion für Geschichte und Geistesgeschichte Japans, tätig war, an. In der Übersetzung ist zu lesen, dass der Bergmann von dem Künstler Kobayashi Kukô geschaffen wurde. Der Bildhauer hatte auf Anregung von Nagasawa Hideo die Figur entworfen. Nagasawa plante, in seiner Firma die Plastik in wohl größerer Auflage zu produzieren. Er hatte hier vor allem die japanischen Bergleute selbst, „ob sie gegenwärtig in einer Kohlengrube beschäftigt sind oder sich schon zur Ruhe gesetzt haben“, als potenzielle Käufer im Blick. Die Figur sollte ein schönes Erinnerungsstück an die Arbeit unter Tage sein. Die Ausführungen schließen dementsprechend mit einer Bestellaufforderung. Wie erfolgreich die Figur war, ob es überhaupt zu einer größeren Produktion kam, ist leider nicht zu ermitteln.

 

Das japanische Schriftstück ist voll des Lobes für den Bergmann, ein geradezu heroisches Bild wird von diesem gezeichnet. Es sei von einer „unbeugsame[n], vom Geist der Liebe zum Berg durchdrungene[n], standhafte[n] Gestalt“ die Rede. Die Bergleute werden als „Soldaten in der Erde Tiefe“ beschrieben. Es „[...] steht ihnen der Schweiß auf der Stirn, schweigend fordern sie die Mauer aus Kohle heraus.“ Betrachtet man den Terrakottabergmann, so spiegelt sich die Beschreibung durchaus in der Figur wider. Den Kopf leicht gehoben steht er standhaft und stolz dem Betrachter gegenüber.

 

Der Text weist zugleich auf das Auf und Ab des japanischen Steinkohlenbergbaus hin. Er erwähnt die in den 1950er- und 1960er-Jahren durchgeführten Rationalisierungs- und Mechanisierungsmaßnahmen und blickt hoffnungsvoll in die Zukunft: „[…] die Welt schickt sich nun gerade an, das Zeitalter der unbegrenzten Möglichkeiten, das 21. Jahrhundert, zu begrüßen“. Aber in den folgenden Jahren ging die Steinkohlenförderung in Japan weiter zurück. Importkohle war billiger als die selbst geförderte Kohle. Zudem sprach der hohe Schwefelgehalt der Kohle im Hinblick auf umweltpolitischen Erwägungen beispielsweise gegen ihre Verstromung. Diese Entwicklung eingedenk ist die Plastik tatsächlich ein Erinnerungsstück an eine vergangene Zeit, in der die Arbeit unter Tage noch vielen Menschen ein sicheres Auskommen bot.

 

Die japanische Bergmannsfigur ist heute noch Teil der Musealen Sammlungen, die im Montanhistorischen Dokumentationszentrum gepflegt werden. Sie ist ein Beispiel der weltweiten Sammeltätigkeit des Deutschen Bergbau-Museums Bochum (DBM) im Laufe seiner Geschichte. Die Informationen zu der Objektgeschichte befinden sich in den Verwaltungsakten des Museums, die im Rahmen des Projektes „montan.dok 21“ aufgearbeitet wurden.

 

02. Juli 2020 (Dr. Maria Schäpers)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 033304310001

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 112/824

 

Gawehn, Gunnar: Kohle – Erz – Chemie. Die Geschichte des Bergwerks Auguste Victoria (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 205; = Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 30), Bochum 2015.

 

Kopp, Botho von: Japan, in: Hellwig, Wolfgang/ Lauterbach, Uwe/ Kopp, Botho von (Hrsg.): Innovationen nationaler Berufsbildungssysteme von Argentinien bis Zypern. Berufsbildungsprofile im Blickfeld des Internationalen Fachkräfteaustausches (IFKA) ( = Schriftenreihe der Carl-Duisberg-Gesellschaft, Nr. 11), Baden-Baden 2001, S. 199-123.

 

Vondey, Wolfgang/Pauer, Erich: Energiepolitik und Steinkohle von 1945-1990, in: Pauer, Erich (Hrsg.): Schwarzes Gold in Japan. Beiträge zur Geschichte der japanischen Steinkohlenindustrie, Marburg 1991.

 

Iki, Shoji/Hozumi, Shigetomo: Der Steinkohlenbergbau Japans, in: Glückauf 116, 1980, Nr. 5, S. 208-215.