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Grubenrettung für Jedermann: CO-Filter-Selbstretter, Modell 623 von Dräger

Neben der Kopflampe zählt er heute zu den wichtigsten persönlichen Ausrüstungsgegenständen des Bergmanns unter Tage: Der Selbstretter oder wie die genaue Bezeichnung lautet „CO-Filter-Selbstretter“. Die Einführung als Standardrettungsgerät im deutschen Steinkohlenbergbau in den 1950er-Jahren hängt auch mit dem bis heute größten Grubenunglück in Deutschland auf der Zeche Grimberg bei Bergkamen am 20. Februar 1946 zusammen, das sich in diesem Monat zum 75. Male jährt.

Zweck des Selbstretters ist, das bei Grubenbränden unter Tage auftretende tödliche Kohlenmonoxid aus der Atemluft zu filtern und in ungiftiges Kohlendioxid umzuwandeln. Das Kohlenmonoxid entsteht bei der unvollständigen Verbrennung bei geringen Sauerstoffanteilen – etwa bei der Verbrennung von Kohle oder Grubenholz unter Tage – und führt schon nach kurzem Einatmen zu schweren Gesundheitsschäden oder zum Tod. In seinem Roman „Der Durchbruch“ von 1964 beschreibt der Autor und ehemalige Bergmann Bruno Gluchowski anschaulich die Wirkungen: „Manch einer kommt um, weil er nicht früh genug sein Halstuch oder einen abgerissenen Hemdfetzen in den Wassergraben getaucht und als provisorischen Gasschutz vor Mund und Nase gepreßt hat. Wer ein paar Lungen voll Gas geschluckt hat, wirft plötzlich die Arme in die Luft, beginnt sich taumelnd im Kreise zu drehen, um nie wieder aufzustehen.“

 

Das hier vorgestellte Modell 623 wurde laut Behälter-Aufschrift vom Drägerwerk in Lübeck im Juli 1949 mit der laufenden Nummer 6389 hergestellt. Es zählt damit zu den ersten ausgelieferten Geräten dieser Art und findet sich heute in den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok). Das Objekt (montan.dok 030200324000) wurde allerdings erst sehr viel später, 1962, bei einem Besuch von Museumsmitarbeitenden auf der Hauptrettungsstelle der Bergwerksgesellschaft Hibernia AG in Herne für die Sammlung übernommen (vgl. montan.dok/BBA 112/423).

 

Die Gebrauchsweise des CO-Filter-Selbstretters ist recht einfach. Im Bedarfsfall lässt sich der Blechbehälter mit wenigen Handgriffen öffnen, das mit einem Mundstück versehene Gerät anlegen und die Nase mit einer Klemme verschließen. Ein Stummfilm der Hauptstelle für das Grubenrettungswesen aus dem Jahr 1955 belehrte die einfahrenden Bergleute auf den Zechen im Ruhrgebiet auf anschauliche Weise über das richtige Anlegen. (vgl. das eingefügte Video montan.dok/BBA F 1687).

 

Video file

 

Die Funktionsweise zeigt ein Schnittmodell (montan.dok 030200329000). Wichtigster Bestandteil des Filters ist ein Katalysator, der das Kohlenmonoxid in Kohlendioxid umwandelt. Allerdings darf der in den Rauchgasen enthaltende Sauerstoff nicht unter einen bestimmten Wert fallen, sonst steht nicht mehr genügend Sauerstoff zum Atmen zur Verfügung. Da es sich um ein reines Filtergerät handelt, ist die Gebrauchsdauer zudem sehr eingeschränkt – es ist daher als reines Fluchtgerät konzipiert.

 

Die Geschichte eines solchen für jeden Bergmann individuell verfügbaren Filters lässt sich bis in die Zeit um 1900 zurückverfolgen. Firmen wie die von Bernhard Dräger in Lübeck hatten bereits große Behältergeräte mit Atemluft in Druckluftzylindern für den Gebrauch von Rettungsmannschaften unter Tage entwickelt. Zugleich bestand der Wunsch, auch für nicht speziell trainierte Bergleute Rettungsgeräte bereitzustellen. Solche „Selbstretter“, wie der Pneumatogen von 1906 (montan.dok 030006328001) mit einem Gewicht von 5 kg, waren zwar weitaus handlicher, aber als Rettungsgerät für Jedermann immer noch viel zu kompliziert und in der Anschaffung auch zu teuer.

 

Nach dem Ersten Weltkrieg boten sich mit Filtergeräten bzw. Gasmasken mögliche Alternativen. Entscheidend war hierbei 1920 die Entdeckung eines effektiven Katalysators zur chemischen Umwandlung des Kohlenmonoxids in Kohlendioxid durch Chemiker in den USA. Der erste Filter-Selbstretter für den Gebrauch im Steinkohlenbergbau kam dort 1923 auf den Markt; 7000 „Carbon Monoxide Self-Rescuer“ wurden bis 1927 verkauft. Dennoch war man in Deutschland sehr zurückhaltend, was eine mögliche Einführung im deutschen Steinkohlenbergbau anging. Dr. Richard Forstmann, Leiter der Hauptstelle für Grubenrettungswesen in Essen und für die Prüfung neuer Geräte zuständig, kam 1922 zu dem Schluss, dass die „Bedingungen zur Anwendung von Kohlenoxid absorbierenden Patronen kaum gegeben sind und dass ihre Einführung im Bergbau sogar die große Gefahr einer falschen Verwendung in sich berge“ (montan.dok/BBA 17/296). Trotz stetiger Verbesserung der Absorptionsfähigkeit dieser Geräte – 1931 kam ein Dräger-CO-Kleinfilter auf den Markt – blieb es bei dieser ablehnenden Haltung.

 

Ein Umdenken setzte erst kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Auslöser war eine Schlagwetter- und Kohlenstaubexplosion am 20. Februar 1946 auf der Zeche Grimberg 3/4 in Kamen mit mehr als 400 Toten. Bei der nachfolgenden Untersuchung der Katastrophe durch die Behörden wurde deutlich, dass viele Bergleute nach der Explosion durch das Einatmen der Brandgase ums Leben gekommen waren und durch ein geeignetes Filtergerät hätten gerettet werden können.

 

Von nun an ging alles sehr schnell: Bereits 1947 stellte Dräger einen ersten Prototypen vor, zwei Jahre später erfolgte die Zulassung durch die Bergbehörden und im Januar 1951 erhielt die einfahrende Schicht auf der Bochumer Zeche Hannover-Hannibal die ersten CO-Filter-Selbstretter ausgehändigt. Weitere besonders durch Schlagwetter gefährdete Zechen folgten. 1953 waren 15% der Bergleute unter Tage mit diesem Gerät ausgestattet, und 1958 schließlich war das Tragen auf allen deutschen Steinkohlenzechen behördlich vorgeschrieben.

 

An der Funktions- und Gebrauchsweise des CO-Filter-Selbstretters hat sich seitdem, trotz vieler Verbesserungen im Detail bei den nachfolgenden Geräten, wenig geändert. Das montan.dok sammelt auch diese Nachfolger und bewahrt sie in seiner umfassenden Sammlung von Atemschutz- und Rettungsgeräten auf.

 

01. Februar 2021 (Dr. Stefan Siemer)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 030200324000, 030200329000, 030006328001

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 17/296, 112/423, F 1687

 

Farrenkopf, Michael: „Zugepackt heißt hier das Bergmannswort“ – Die Geschichte der Hauptstelle für das Grubenrettungswesen im Ruhrbergbau, unter Mitarbeit von Susanne Rothmund, Bochum 2010 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 178; = Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 22).

 

Fieldner, Arno Carl/Katz, S. H./Reynolds D. A.: The carbon monoxide self-rescuer, Serial 2591, Washington, April 1927.

 

Gluchowski, Bruno: Der Durchbruch, Recklinghausen 1964.

 

Hoff, Carl von: Die neuzeitliche Entwicklung der Gasschutzgeräte im deutschen Bergbau, in: Glückauf 91, 1955, H. 3-4, S. 77-87.