Glück auf der Kampfbahn
Das dachten sich wohl auch die Männer, die am frühen Sonntagmorgen des 23. Mai 1954 zum Spiel „Bergm.Heim Hangeney I gegen Hangeney II“ antraten. Im Gegensatz zum Weltmeistertitel, den die deutsche Nationalmannschaft anderthalb Monate später im Berner Wankdorfstadion errang, dürfte sich die öffentliche Aufmerksamkeit für das Fußballspiel auf dem Dortmunder Bärenbruchplatz allerdings in Grenzen gehalten haben. Dennoch ist es überliefert, nämlich in Form eines handgefertigten Aushangs, der die wichtigsten Spielinformationen wie Datum, Spielort und Mannschaftsaufstellung zusammenfasst. Illustriert ist das Ganze mit einer Zeichnung von Fußball spielenden Männern (montan.dok/BBA P 1127). Der Aushang ist Teil der archivischen Spezialsammlung „Sammlung Plakate und Flugblätter“ des Bergbau-Archivs Bochum, die im Rahmen des Projekts „Digitale Infrastrukturen im Deutschen Bergbau-Museum Bochum und virtuelle Zugänglichkeit zum Bergbauerbe“ digitalisiert wurde. Er stammt ursprünglich aus dem Bestand der Dortmunder Bergbau-Aktiengesellschaft. Aus demselben Kontext sind zwei weitere Aushänge in ähnlichem Stil überliefert, die weitere Spiele im April und Mai 1954 ankündigen (montan.dok/BBA P 1129, P 1133).
Betrachtet man die Mannschaftsaufstellungen auf den Aushängen, so tauchen neben Nachnamen wie „Peter“, „Heinemann“, „Schulz“, „Leuschel“ und „Woltersdorf“ auch Namen wie „Tommek“, „Suschinski“ und „Wioska“ auf, bei denen ein polnischer bzw. slawischer Ursprung vermutet werden kann. Dies würde durchaus zur Geschichte des Ruhrbergbaus passen. Im Zuge der Industrialisierung wanderten seit den 1870er-Jahren viele Menschen aus den östlichen, überwiegend agrarisch geprägten Gebieten des Deutschen Reiches in das Ruhrgebiet ein. Herkunftsschwerpunkte waren beispielsweise Oberschlesien, Westpreußen und Masuren. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt kein polnischer Staat existierte, wurden in diesen Gebieten weiterhin Polnisch oder slawische Dialekte gesprochen. Um 1914 lebten schließlich bis zu 400.000 Polen im Ruhrgebiet. Darüber hinaus hatten sich im Umfeld der Zechen auch zahlreiche Masuren angesiedelt, die zwar einen polnischen Dialekt sprachen und oft als „Ruhrpolen“ mit den polnischen Zuwanderern in einen Topf geworfen wurden, sich aber von diesen deutlich unterschieden. So waren sie evangelisch und identifizierten sich eher als Preußen denn als Polen.
Während des Ersten Weltkriegs gewann der Fußballsport unter den Soldaten rasch an Popularität. War Fußball vor dem Krieg eher ein elitärer Sport für Gymnasiasten und Angestellte gewesen, so entwickelte er sich nach dem Krieg immer mehr zu einem Arbeitersport. Neben der Einführung des Achtstundentags, der es nun auch Arbeitern ermöglichte, regelmäßig Sport zu treiben, dürfte ein wichtiger Grund für die Verbreitung auch in der Einfachheit der Ausübung gelegen haben. Im Prinzip brauchte man nur etwas Platz, einen Ball, zwei im Zweifelsfall improvisierte Tore und genügend Spieler. Ein Gemälde von Friedrich Einhoff, das sich in den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) befindet und um 1925 entstanden ist, zeigt möglicherweise ein solches Szenario. Mit etwas Fantasie kann man Kinder erkennen, die auf einer Freifläche in einer Bergmannskolonie oder Werkssiedlung Fußball spielen. Die Tore sind vielleicht aus Kleidungsstücken oder Taschen improvisiert. Im Hintergrund sind die benachbarten Industrieanlagen zu sehen (montan.dok 037000074001).
Im Gelsenkirchener Stadtteil Schalke, in direkter Nachbarschaft zur Zeche Consolidation, entwickelte sich ein von Arbeitern geprägter Verein schnell zum erfolgreichsten deutschen Fußballverein der 1930er- und 1940er-Jahre, dem FC Schalke 04. Da damals im Deutschen Fußball-Bund das Amateurprinzip galt, arbeiteten zum einen viele Spieler auf der benachbarten Zeche. Zum anderen vermittelte der Verein dort auch direkt lukrative Arbeitsplätze, um gute Spieler durch finanzielle Anreize an sich zu binden. Ein weiteres Gemälde von Friedrich Einhoff aus den Musealen Sammlungen des montan.dok zeigt vermutlich die auf dem Gelände der Zeche Consolidation errichtete Glückauf-Kampfbahn, die seit 1928 Spielstätte des FC Schalke 04 war (montan.dok 030013647001).
Nicht wenige der Spieler des FC Schalke 04 stammten von masurischen Einwanderern ab. So bildeten die aus Masuren stammenden Ernst Kuzorra und Fritz Szepan den berühmten „Schalker Kreisel“, und sie gehören bis heute zu den bekanntesten Spielern der Vereinsgeschichte. Nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft 1934 titelte daher eine polnische Sportzeitung: „Die deutsche Fußballmeisterschaft in polnischer Hand“. Im nationalsozialistischen Deutschland hingegen wurde betont, dass alle diese Spieler in Westfalen geboren wurden. Außerdem wurde argumentiert, dass die Masuren in ihrer Kultur und Denkweise Deutsche seien. Insgesamt aber waren Menschen mit polnisch klingenden Namen im damaligen Deutschland Diskriminierungen und Benachteiligungen ausgesetzt. Viele ließen ihre Namen deshalb eindeutschen.
Die Frage, ob es sich bei Spielern wie Woltersdorf, Peter oder Leuschel, die im Mai 1954 auf dem Dortmunder Bärenbruchplatz aufliefen, nicht auch um Nachfahren polnischer oder masurischer Einwanderer handeln könnte, lässt sich also nicht allein mit Blick auf den Namen beantworten. Umgekehrt stellt sich ebenso die Frage, was ein vermeintlich polnischer Klang des Namens überhaupt über eine Person und ihre Herkunftsgeschichte aussagen kann. Letztlich geht es beim Fußball doch auch um viel wichtigere Dinge. Zum Beispiel darum, dass alle Beteiligten am Ende Spaß hatten, sich niemand verletzt hat und man selbst am Ende natürlich gewonnen hat. Allerdings ist nicht überliefert, wie das Spiel damals ausgegangen ist.
01. Juni 2024 (Andreas Ketelaer, M. Sc.)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum 037000074001, 030013647001.
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) P 1127, P 1129, P 1133.
Blecking, Diethelm: Integration through Sports? Polish Migrants in the Ruhr, Germany, in: International Review of Social History 60, 2015, S. 275-293.
Osses, Dietmar: Von der deutschen Vielfalt zur Gleichschaltung. Fußball im Ruhrgebiet zwischen den Kriegen, in: Osses, Dietmar (Hrsg.): Von Kuzorra bis Özil. Die Geschichte von Fußball und Migration im Ruhrgebiet, Essen 2015, S. 37-47.
Online-Portale: montandok.de. Unter: https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=235534, https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=235536, https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=235540, https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=258935, https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=258607 und museum-digital. Unter: https://nat.museum-digital.de/object/1352924, https://nat.museum-digital.de/object/1352926, https://nat.museum-digital.de/object/1352930, https://nat.museum-digital.de/object/1170488, https://nat.museum-digital.de/object/1170417 sowie Deutsche Digitale Bibliothek. Unter: http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/OXAZRZCCKZ5S3UUR5I3DISSREYHTLWQD, http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/BJNZIMB7JBIEWOCNINOZOR726W4IVZO3, http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/GE5DQ3SQTB4V5V4G6F5MWKVHT5F3STQ7, http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/GZOZSVOW3PC7L7F3RL773YAN2H4JOCYT, http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/I7SC7LUV43BITOEO3E23WIZFINQY5IYO (Eingesehen: 30.04.2024).