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Fund des Monats: Stichwaffen im Deutschen Bergbau-Museum Bochum?

1936 gelangte ein Lampenhalter in den Besitz des damaligen Bergbau-Museums Bochum, nichts Besonderes für ein Bergbaumuseum, wäre im Inneren nicht eine „gefährliche Waffe“ verborgen gewesen.

Der Lampenhalter war eigens für das Bergbau-Museum Bochum von einem Kunstschlosser nachgebaut worden. Das Original des Traghakens war aufgrund des enthaltenen Dolches, der durch Abschrauben des Griffes aus der Hülse herausgezogen wird, lange vor diesem Zeitpunkt einem Bergarbeiter einer Erzgrube in Lothringen abgenommen worden. Dies geht aus den im Bergbau-Archiv Bochum verwahrten Akten des Bestandes 112: Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Bochum, hervor (vgl. auch im Folgenden montan.dok/BBA 112/1735).

 

Ein großes Interesse an dem Objekt hatte der Direktor der Bergschule Bochum und Geschäftsführer der Westfälischen Berggewerkschaftskasse, Prof. Dr.-Ing. Friedrich Herbst, gezeigt. Er hatte zusammen mit seinem Mitarbeiter, dem damals amtierenden Leiter des Bergbau-Museums Bochum, Dr.-Ing. Heinrich Winkelmann, die Werksausstellung der Gutehoffnungshütte in Oberhausen besucht. Dort zeigte ihnen Dr.-Ing. Wilhelm Funcke unter anderem den besagten Lampenhalter, welchen Herbst offenkundig so interessant fand, dass Funcke ihn nachbauen ließ, mit dem Vorschlag, diesen für das Bergbau-Museum Bochum zu verwenden.

 

Winkelmann selbst schrieb in seinen Vermerk vom 30. Oktober 1935 nichts über den Traghaken. Ihm waren offenkundig die Verhandlungen über den Erhalt einer Fördermaschine, eines Modells einer Kokerei, zweier Grubenhunte und eines Walzenmotors wichtiger als die versteckte Waffe. Immerhin bemerkte er am 07. Januar 1936 auf der Rückseite des Vermerkes, dass Funcke „eine Nachbildung von der Sizilianischen Grubenlampe mit Stilett“ besorgt habe.

 

Herbst dankte Funcke für sein Geschenk mit der Bemerkung, dass er es dem Museum übergeben habe. Hier wurde es in der Abteilung Grubengeleucht als „Haken einer sizilianischen Grubenlampe“ mit dem Hinweis auf die im Inneren versteckte Waffe in Form eines Dolches inventarisiert (montan.dok 030014068000). Noch heute befindet es sich der Haken in den Musealen Sammlungen des Deutschen Bergbau-Museums Bochum (DBM), die im Montanhistorischen Dokumentationszenturm (montan.dok) betreut werden.

 

Was hatte den Bergmann, dem in Lothringen einst sein Lampenhalter abgenommen worden war, nur bewegt, eine solche Waffe mit sich zu tragen? Darauf geben die Akten leider keine Antwort. Für die Herren stand aber 1936 zweifelsfrei fest, dass der Bergmann einen im Traghaken versteckten Dolch bzw. ein verstecktes Stilett bei sich getragen hatte.

 

Zwanzig Jahre später machte sich Museumsdirektor Winkelmann zu einer Dienstreise nach Österreich auf. Dabei erwarb er eine Tunnellampe (montan.dok 031401328000), deren Traghaken aus drei zusammengeschraubten Teilen besteht. Der obere Teil ist im unteren Bereich als Stilett ausgeschmiedet.

 

So besaß das Bergbau-Museum Bochum 1956 schon zwei Grubenlampen bzw. ihre Haken mit einem Dolch bzw. Stilett. Bei der genaueren Betrachtung – vor allem des zuletzt in das Museum gelangten Traghakens – kommen leise Zweifel auf. Eignet sich diese Ausformung wirklich gut als Stichwaffe? Welchen praktischen Nutzen, besonders in einer akuten Gefahrensituation, hätte eine solche Stichwaffe, die der Bergmann erst einmal aus dem Lampenhalter schrauben musste, gehabt? Doch welchen anderen Nutzen für die Bergleute hätte ein derartig spitz geformtes Teil haben können?

 

Die beiden Haken gehören zu so genannten Tunnellampen. Die Bezeichnung „Sizilianische Lampe“, wie sie von Winkelmann und öfter auch in der älteren Literatur für diesen Lampentyp verwendet wurde, ist insofern problematisch, als es keine Hinweise auf einen allgemeinen Gebrauch dieser Lampe oder gar dieser Bezeichnung auf Sizilien gibt. Der Ursprung der Lampen liegt vielmehr im Steinkohlenbergbaugebiet mit den Städten Saint-Étienne und Rive-de-Gier im Département Loire. Hier nutzten die Bergeleute die Lampe seit ca. 1820. Sie wurde „rave“ genannt, was entweder auf das französische Wort Rübe oder wohl eher auf die Bezeichnung Turbinella rapa, eine Meeresschnecke, deren Gehäuse seit der Antike als Lampe Verwendung fand, zurückgehen dürfte. Der Topf dieser mit Öl betrieben Lampe ist linsenförmig. An diesem ist ein schwenkbarer Bügel an beiden Seiten angebracht, daran ist wiederum der Haken befestigt.

 

Die Lampenart verbreitete sich über verschiedene Reviere, und so wurden sie nicht nur in Frankreich, sondern auch andernorts, wie beispielsweise in Österreich, in größerer Zahl produziert. Wegen ihres Aussehens wurde sie auch Linsenlampe genannt. Wobei der Lampentopf, wie bei dem 1956 in das Museum gelangten Stück, an acht oder mehr Stellen konkav geformt sein kann. Der Begriff Tunnellampe geht auf ihren Gebrauch beim Bau der Alpentunnel im 19. Jahrhundert zurück. Für die Orientierung in den hohen und breiten Tunneln wurde die Lampe an sehr lange Traghaken gehängt, wodurch eine bessere Beleuchtung am Boden möglich wurde.

 

Die unterschiedlichsten Ausformungen der Traghaken sind zu finden: Von kurzen Haken, die vor allem für den Gebrauch in engen Stollen geeignet waren, zu sehr langen, die besonders für hohe und weite Räume genutzt wurden, finden sich viele Varianten. Verzierungen an den Haken und zusätzlich eingearbeitete Tragaugen, die wie bei dem Lampenhalter von der Gutehoffnungshütte herzförmig ausgearbeitet waren, sind immer wieder anzutreffen. Auch die Ausführung des oberen Endes der Haken, hier hammer- bzw. hakenförmig, stellen gängige Formen dar. Das Ende diente als Handgriff und zum Befestigen der Lampen. Mit den Haken ließen sich die Lampen gut aufhängen. Bei hammerförmigen Enden ermöglichte die Spitze des Hammers ein Einbringen ins Gestein oder in die Zimmerung.

 

Liegt vielleicht in dieser Art der Befestigung die Antwort auf die Frage nach dem Sinn der verborgenen „Stichwaffen“ in den beschrieben Lampenhaltern? Eigneten sie sich für ein leichtes Anbringen der Lampe im Gestein bzw. in der Zimmerung? Diente das Einstecken der Spitzen in den Haken dann nicht etwa dazu eine Waffe zu verbergen, sondern das Werkzeug für die Transportwege unter Tage sicher zu verstauen?

 

Die Frage nach ihrem verborgenen Zweck einmal dahingestellt, finden sich in den Akten des Bestandes 112: Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Bochum, der im Rahmen des Projektes „montan.dok 21“, bearbeitet wird, wichtige Hintergrundinformationen zum Erwerb und der Objektgeschichte der Traghaken. Zudem lässt der Schriftverkehr im Zusammenhang mit der Schenkung von 1936 Rückschlüsse auf das Agieren der damals Verantwortlichen im Hinblick auf den Aufbau der Sammlung des noch jungen Bergbau-Museum Bochum zu.

 

01. Juli 2019 (Dr. Maria Schäpers)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 030014068000, 031401328000

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 112/1735

 

Bonnot, Michel/Humbert-Labeaumaz, Marcel: Lumières dans la mine. Les „raves“ ou l’histoire du crezieu stephanois, Crémieu 2000.

 

Menneking, Friedrich: Das helle Licht bei der Nacht. Über häusliches und bergmännisches Geleucht mit Ausstrahlungen, Freiburg i. B. 2000.

 

Porezag, Karsten: Des Bergmanns offenes Geleucht. Unschlittlampen, Öllampen, Kerzenlampen, Essen 2. überarbeitete und erweiterte Auflage 1982.

 

Schäpers, Hermann/Schöngrundner, Walter/Horn, Werner: Die Gruben- und Tunnellampenfabrik des Pius Pirringer in Graz (1870-1919). Größter Grubenlampenhersteller der Steiermark, Recklinghausen 2018. Winkelmann, Heinrich: Vom Kienespan zur Starklichtlampe, in: Bergbau im Bild 1, 1947, S. 16-18.