Skip to main content

Mit „Barbara“ kommt das Ende der Lederkappe

Beim Blättern durch die vom Grubensicherheitsamt im Preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe herausgegebene Zeitschrift „Grubensicherheit – Zeitschrift für die Aufklärung über die Unfallgefahren des Bergbaus und Ihre Bekämpfung“ fallen zahlreiche Darstellungen von Arbeitssituationen unter Tage auf. Teilweise rufen sie trotz des ernsten Hintergrunds ein Schmunzeln, bisweilen aber auch ein Kopfschütteln hervor. Nämlich dann, wenn z. B. über einen Förderwagen geworfene Kohlebrocken zum Kopf eines dahinter arbeitenden Bergmanns fliegen. Grundsätzlich tragen die dargestellten Arbeiter bis Anfang der 1930er-Jahre lediglich Hüte oder Wollmützen, jedoch keinen festen Kopfschutz.

Heft 1 von 1931 thematisiert die Gefahren unter Tage durch „Steinfall“, und in einer Abbildung weist ein Steiger einen Hauer darauf hin, im Verzug an der Firste keine Lücken zu lassen. Der Hauer hat seinen Hut an einem Stempel aufgehängt, ein Stein aus der Lücke fällt auf seinen Kopf. In Heft 4 wird dann der Fall eines jungen Bergmanns geschildert, der sich den Kopf an einer Eisenkappe (Ausbau an der Firste) gestoßen hat, was zu seinem Tode führt: „Eine starke Kopfbedeckung aus Filz oder Leder hätte den Stoß wesentlich gedämpft“, heißt es. In den 1940er-Jahren ändern sich die Darstellungen in der Zeitschrift, indem Bergleute unter Tage nun stets eine Lederkappe tragen. Und wenngleich zu Beginn dieses Jahrzehnts die Rede davon ist, dass dem Bergmann das Tragen der Lederkappe seit einigen Jahren zur Pflicht gemacht worden sei, lassen Beiträge noch zu Beginn der 1950er-Jahre Zweifel an der vollen Wirksamkeit dieser Maßnahme aufkommen: „Fritz, es wäre besser, du würdest dir auch solch einen Helm zulegen, denn wie leicht kann dir mal was auf den Kopp donnern und dann siehst du Sterne.“ So spricht Jan, der sich einen der neuen Lederhelme zugelegt hatte, zu Fritz in einem fiktiven Gespräch zwischen zwei Bergleuten in der Ausgabe von Oktober 1951. Fritz‘ Verhalten lässt darauf schließen, dass das Tragen des Kopfschutzes noch immer einer gewissen Freiwilligkeit unterlag.

 

Dafür gibt es zunächst rechtliche Gründe, denn verbindliche Vorgaben zum Tragen genormten Kopfschutzes fehlten im deutschen Bergbau lange. Die „Bergpolizeiverordnung für die Steinkohlenbergwerke im Verwaltungsbezirk des Oberbergamts in Dortmund vom 1. Mai 1935“ sah lediglich eine diffuse Regelung zum Tragen einer „widerstandsfähigen Kopfbedeckung“ bei Arbeiten vor, bei denen die Gefahr von Kopfverletzungen „in besonderem Maße“ bestand. Art und Ausführung dieser Kopfbedeckung blieben offen. Auch im Entwurf einer allgemeinen Bergpolizeiverordnung der Oberbergämter aus dem Jahr 1943 wurde man nur wenig konkreter. Nun wurde das Tragen einer „widerstandsfähigen Kopfbedeckung“ unter Tage zwar grundsätzlich vorgeschrieben, allerdings erst im Einvernehmen mit der jeweiligen Betriebsvertretung zur Pflicht gemacht. Und erst in der Bergverordnung für die Steinkohlenbergwerke im Verwaltungsbezirk des Oberbergamts in Dortmund vom 18. Dezember 1964 ist das Tragen des Kopfschutzes dann auch auf die Bereiche über Tage erweitert worden. Körperschutzmittel mussten seither durch den Bergwerksbesitzer bereitgestellt werden.

 

Zuvor hatten Bergleute für ihre Arbeitskleidung selbst zu sorgen. Unfallschutzmittel wie der Kopfschutz wurden über die Einkaufsabteilungen der Bergbaugesellschaften beschafft. In § 58 des Manteltarifvertrags für die Arbeiter des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus war bestimmt, in welchen Fällen die Werksleitung Schutzbekleidung kostenlos zur Verfügung stellen musste. Für Kopfschutz und Unfallverhütungsschuhe wurde eine Beihilfe gewährt. Die Preise für Lederkappen lagen Mitte der 1950er-Jahre zwischen 3,50 und 6,50 DM, die für Kunststoffhelme zwischen 7,50 und 12,00 DM. Obwohl sich die Lederkappe als Schutzmittel bei den Bergleuten bis dahin erst etabliert hatte und deren konservative Haltung einen Wechsel zu geeigneteren Materialien sicher erschwerte, lagen die Vorteile von Kunststoffhelmen auf der Hand. Ging es zwischen 1952 und 1954 doch darum, die Zahl der Kopfverletzungen deutlich zu senken. Von jährlich deutlich mehr als 100.000 gemeldeten Unfällen im Bereich der Bergbau-Berufsgenossenschaft Bochum entfielen immerhin ca. 7 Prozent auf Kopfverletzungen.

 

Die Vorteile des Kunststoffhelms gegenüber der Lederkappe resultierten auch aus der Materialbeschaffenheit sowie deren Prüfung und Normung. Im August 1951 legte der Normausschuss Bergbau (Faberg) erstmals gültige Prüfbestimmungen für Lederkappen im Normblatt DIN 23303 nieder, und schon ein Jahr später kam dort die Frage nach der zweckmäßigsten Gestaltung von Kopfschutzkappen aus Kunststoff auf. Im August 1955 erschien dann das Normblatt DIN 23313 mit den Prüfbestimmungen für Kunststoffhelme, welche anschließend auf alle Kopfbedeckungen angewendet wurden und damit das Ende der Lederkappe im Bergbau einläuteten. Kunststoffhelme verfügten über eine größere Alterungsbeständigkeit und auch noch nach längerem Einsatz über die gleichen Widerstandswerte, was auf die Lederkappen nicht zutraf. Schweiß und andere Feuchtigkeit ließen das Leder trotz Behandlung erweichen. Lederkappen konnten so die Prüfbedingungen nach zwei Jahren Einsatzzeit im Gegensatz zu Helmen aus Kunststoff nicht erfüllen. Wegen der hohen Elastizität des Leders waren Lederkappen auf Bruchfestigkeit auch gar nicht prüfbar.

 

Mitte der 1950er-Jahre kam die aus Polyamiden hergestellte Kopfschutzkappe „Barbara“ auf den Markt, bereits seit Ende 1954 in der Zeitschrift „Grubensicherheit“ intensiv beworben. Angeboten wurde sie von der Bergbaufortschritt GmbH Blankenstein (Ruhr), einer Tochtergesellschaft der Auergesellschaft AG in Berlin. Bis 1955 wurden Kunststoffhelme allerdings erst auf wenigen Schachtanlagen eingesetzt, denn die Zechengesellschaften wollten zunächst Erfahrungen mit Kunststoffhelmen sammeln, bevor sie diese in größerer Anzahl bei den Herstellern orderten. Das geschah allerdings sehr schnell: Laut Werbung in der „Grubensicherheit“ waren es Anfang 1958 bereits „über 100.000 Bergleute“ und ein halbes Jahr später sogar 150.000 Bergleute, die die Kopfschutzkappe „Barbara“ trugen. Dieser Wandel fand in der „Grubensicherheit“ auch literarische Würdigung, etwa in dem Gedicht „Abschied vom Lederhelm“ von Franz Sikosek aus dem Juli 1958:

 

„Abschied vom Lederhelm

 

Mein Lederhelm aus alter Zeit,

bist schwer – nicht mehr modern;

du warst zwar eine Sicherheit,

doch trug ich dich nicht gern;

du warst mir wie ein Kamerad,

hast deine Pflicht erfüllt,

genau wie jeder Frontsoldat,

den man einst hat – gedrillt.

´nen Helm aus Kunststoff hergestellt,

trägt jeder Bergmann gern;

ein solcher Helm auch mir gefällt,

ist leichter – und modern.

,Dem Helm aus Kunststoff Lob gebührt‘,

der alte Knappe spricht.

,ab heute bist du pensioniert,

du hast – die letzte Schicht!‘“

 

In den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) werden heute verschiedene Exemplare des Kunststoffhelms „Barbara“ in den Farben Weiß, Blau und Gelb (montan.dok 030005991001, 030006076001, 030006342001, 037002132001, 037002133001) bewahrt. Allen gemeinsam ist die dreizeilige Aufschrift unter dem Schirm: „DIN // Barbara // ges. gesch.“ Die Helme liegen in unterschiedlichen Bauformen für größere und kleinere Kopfgrößen vor: Die größere Bauform besitzt einen kräftigeren Vorbau für einen Lampenhalter an der Stirnseite als die kleinere, die wiederum ein kräftigeres Stabilisierungskreuz auf dem Helmkörper aufweist. Dieses Kreuz ist ein recht gutes Erkennungsmerkmal. Die verstellbaren Inneneinrichtungen sind auswechselbar und entweder aus Kunststoff oder mit einem kunstledernen Schweißband mit Textilkopftragegurten versehen. Ansonsten unterscheiden sich die Helme in kleinen Details. So sind die Lampenhalter an der Stirn entweder aus Kunststoff oder aus Metall. Ebenso können die Kabelhalter an der Rückseite variieren: Sie sind entweder als Kabelklammer aus Kunststoff oder als Kabelschlaufe aus Leder ausgeführt. Ob und inwieweit sich Details für eine Datierung eignen, konnte bisher nicht ermittelt werden. Sicher kann als frühestes Entstehungsalter etwa der Zeitpunkt der Veröffentlichung der DIN 23313 mit 1954/55 angenommen werden. Wie lange der Kopfschutzhelm produziert wurde, ist nicht genau bekannt. 1977 wird der Name Bergbaufortschritt GmbH, Essen, aus dem Firmenregister gelöscht.

 

01.12.2024 (Dr. Michael Ganzelewski) 

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum des Deutschen Bergbau-Museums Bochum (montan.dok)/Bergbau-Archiv Bochum (BBA V 58, V 130, V 135, V 140, V 141, V 142, V 144).

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum des Deutschen Bergbau-Museums Bochum (montan.dok)/Museale Sammlungen 030005991001, 030006076001, 030006342001, 037002132001, 037002133001.

 

Grubensicherheit. Zeitschrift für die Aufklärung über die Unfallgefahren des Bergbaues und ihre Bekämpfung, Berlin 5, 1930 – 8, 1933.

 

Grubensicherheit. Zeitschrift für das Grubensicherheitswesen, Düsseldorf, 1, 1947/48 – 12, 1959.

 

Heimsoth, Axel: Kleider machen Bergmänner. Ein Forschungsdesiderat, in: Farrenkopf, Michael/Siemer, Stefan (Hrsg.): Materielle Kulturen des Bergbaus. Zugänge, Aspekte und Beispiele, Bochum 2022 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 243; = Schriften des Montanhistorischen Dokumentationszentrums, Nr. 43), S. 367-393.

 

Poetter, Horst: Die Gestaltung von Schutzhelmen für den Bergbau. Ein Beitrag zur Grubensicherheit, Dissertation an der Fakultät für Bergbau und Hüttenwesen der Technischen Universität Berlin-Charlottenburg, Berlin 1957.

 

Rimpel, Melanie: Ein Name, unter dem auch heute noch produziert wird: Ludwig Lindgens und die Ludw. Lindgens Lederwerke, in: Wessel, Horst A. (Hrsg.): Mülheimer Unternehmer: Pioniere der Wirtschaft. Unternehmensgeschichte in der Stadt am Fluss seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, Essen 2006, S. 88-100.

 

Online-Portale: montandok.de. Unter: https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=153277 und museum-digital. Unter: https://nat.museum-digital.de/object/1069536; https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=157326 und museum-digital. Unter: https://nat.museum-digital.de/object/1069623; https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=211827 und museum-digital. Unter: https://nat.museum-digital.de/object/1070027 (Eingesehen: 26.11.2024).