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Achtung! Küchenpolizei!

Wirsing, Salzkartoffeln, Fettsauce und Wurst. Kohlrabi mit Rindfleisch, Salzkartoffeln und Fettsauce. Jägerkohl mit Rindfleisch, Salzkartoffeln und Fettsauce. Nudeln mit Gulasch. Bohnen mit Rindfleisch, Salzkartoffeln und Fettsauce. Wirsing mit Rindfleisch, Salzkartoffeln und Fettsauce. Erbsen mit Speck. Was sich liest, wie das Food-Festival der Fettsaucen-Fans, ist der Wochenspeiseplan einer Bergwerksküche aus dem Jahr 1948. Überliefert ist der Speiseplan durch die Aufzeichnungen von Rolf Glitz, der in den Nachkriegsjahren als Inspekteur für Bergwerksküchen im Auftrag der Alliierten im Ruhrgebiet unterwegs war.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten die Alliierten Schwierigkeiten, die Förderung der Steinkohle im Ruhrgebiet wieder in Gang zu bringen. Die Fördermengen waren bei Kriegsende etwa auf ein Viertel des Vorkriegsniveaus gefallen. Dies lag zwar auch an den Kriegsschäden, in erster Linie aber am Rückgang der Zahl der Arbeitskräfte. Hatte die Montanindustrie vor allem in der zweiten Hälfte des Krieges den Bergbau nur durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern aufrechterhalten können, war auf diese ab Mai 1945 nicht mehr zurückzugreifen.

 

Um aber Bergarbeiter wieder „vor Kohle“ zu bekommen und so die Fördermengen zu steigern, wurden alsbald unterschiedliche Strategien verfolgt. Nachdem sich durch die Ausübung von Druck keine nennenswerten Erfolge einstellten, zielte ein anderer Versuch darauf ab, Anreize für die Arbeiter zu schaffen. Man ersann ein System nach niederländischem Vorbild, in dem die Arbeiter für ihre Leistungen Punkte zugesprochen bekamen, die dann wiederum gegen Güter einzutauschen waren. Obwohl es sich vordergründig um ein Belohnungssystem handelte, wurde auch hier mit Sanktionen gearbeitet: Einmaliges Fehlen bedeutete den Verlust von 20 Prozent der Punkte, zwei Fehlschichten kosteten schon 40 Prozent und beim dritten Fernbleiben von der Schicht wurden die Bergleute mit der kompletten Streichung der Punkte bestraft.

 

Ein weiteres Instrument zur Leistungssteigerung der Bergleute war die Ausgabe von Care-Paketen. Die Verteilung der mit Lebens- und Genussmitteln (Fleisch, Gemüse, Kaffee, Schokolade, Zigaretten u.v.m.) bestückten Pakete war zu Beginn auf die Unter-Tage-Beschäftigten beschränkt und an die Überschreitung der Soll-Förderung gekoppelt. Bei einer zweiten Care-Paket-Aktion musste die Fördermenge mindestens 16 % über der Soll-Menge liegen. Außerdem konnten nun auch Über-Tage-Beschäftigte vom Erhalt der Pakete profitieren. Kurzfristig zeitigten diese Paket-Aktionen zwar messbare Erfolge, nach deren Auslaufen fielen die Fördermengen jedoch wieder ab.

 

Neben der Ausgabe von Care-Paketen sorgten die Alliierten über die von ihnen installierte North German Coal Control (NGCC) für die Möglichkeit, dass die Bergleute in den Bergwerksküchen in ausreichender Menge und Qualität verpflegt werden konnten. Dies hatte gegenüber den vorher beschriebenen Verteilungswegen den Vorteil, dass die Mahlzeiten direkt bei den Bergleuten ankamen und nicht wie die Güter aus den Punkte- und Care-Paket-Aktionen getauscht oder weitergegeben werden konnten. Auch an dieser Stelle lässt sich ein Steuerungswille, abseits von dem Vorhaben, die Bergleute mit den für Schwerstarbeiter nötigen Kalorien zu versorgen, erkennen: So war der Erhalt der Speisen in den Küchen ebenso an das reguläre Ableisten der Schichten gebunden.

 

Um die gewünschten Erfolge erzielen zu können, mussten die Küchen in Sachen Personal und Ausstattung gewissen Standards genügen. Zur Überprüfung dieser Anforderungen setzte die NGCC extra Inspekteure für die Bergwerksküchen ein. Einer dieser Inspekteure war Rolf Glitz. Seine Aufgabe bestand darin, den ihm zugewiesenen Bergwerksküchen Besuche abzustatten, sie zu inspizieren und die Erkenntnisse an die NGCC weiterzuleiten. Seinen Dokumenten und Aufzeichnungen ist so manch interessanter Einblick zu entnehmen, wie beispielsweise der bereits eingangs aufgeführte Speiseplan. Seinem von der Militärregierung ausgestellten Ausweis (montan.dok/BBA 205/1) lässt sich der hohe Stellenwert ablesen, den die Arbeit der Inspekteure für die NGCC hatte: So weist der Text auf dem Dokument unmissverständlich darauf hin, dass dem Inspekteur beim Vorzeigen des Ausweises „jede Unterstützung zu gewähren“ sei. 

 

Bei ihren Besuchen machten die Inspekteure in den so genannten Miners Canteen Reports (montan.dok/BBA 205/3), einer Art Checkliste, Aufzeichnungen über die in den Bergwerksküchen vorgefundenen Gegebenheiten. Hier hatten Glitz und seine Kollegen beispielsweise Ort und Datum der Inspektion, Sauberkeit, Ausstattung und Verbesserungsbedarf der Küchen sowie die überprüften Speisen samt Quantität und Qualität zu erfassen. Dem vom 30. April 1947 überlieferten „Canteen Report“ zufolge hat Glitz die Küche der Zeche Kaiserstuhl in Dortmund überprüft. An diesem Tag gab es pro Person einen Liter Möhrensuppe. Die Qualität war seiner Einschätzung nach immerhin „satisfactory“, also zufriedenstellend. Die Sauberkeit der Küche stufte er allerdings als schlecht („poor“) und die Ausstattung der Küche als unzureichend („not sufficient“) ein. Hier war auf jeden Fall Verbesserungspotenzial zu erkennen. Bestimmt hat Rolf Glitz diese Bergwerksküche bei einem späteren Besuch erneut überprüft. Was dann wohl auf dem Speiseplan stand?

 

Rolf Glitz Inspekteursausweis sowie einige seiner Dokumente (montan.dok/BBA 205) werden im Bergbau-Archiv Bochum des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) bewahrt, wo sie eine wichtige montanhistorische Quelle für die Forschung darstellen.

 

01. April 2024 (Philip Behrendt, B.A.)

 

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) P 34, 205/1, 205/3, 205/8 .

 

Borsdorf, Ulrich: Ein gordischer Knoten – Der Ruhrbergbau nach 1945, in: Farrenkopf, Michael/Ganzelewski, Michael/Przigoda, Stefan/Schnepel, Inga/Slotta, Rainer (Hrsg.): Glück auf! Ruhrgebiet – Der Steinkohlenbergbau nach 1945. Katalog der Ausstellung des Deutschen Bergbau-Museums Bochum vom 6. Dezember 2009 bis 2. Mai 2010, Bochum 2009 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 169; = Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 21).