Skip to main content

Feuerkratzer eines Wetterofens der Zeche Hibernia in Gelsenkirchen

Wetteröfen waren im industriellen Bergbau weit verbreitet. Bevor sie Ende des 19. Jahrhunderts durch dampfgetriebene Ventilatoren endgültig verdrängt wurden, sorgten sie in den Grubenbauen für eine Versorgung mit frischer Luft und für den Abzug schädlicher und explosionsgefährlicher Gase. Über Tage installiert, konnten diese Anlagen mit ihren Kaminen eine beträchtliche Größe erreichen. Dennoch sind sie, anders als etwa die weit verbreiteten und gut sichtbaren Fördergerüste, nur selten als Denkmäler früheren Bergbaus erhalten. Umso mehr ist ein originaler Feuerkratzer eines Wetterofens der Gelsenkirchener Zeche Hibernia ein seltener originaler Zeuge dieser heute vergessenen Technologie. Bewahrt wird er in den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok).

Der Eintrag auf einer zum Objekt (montan.dok 030018020000) gehörigen Karteikarte gibt genauer Auskunft über die Funktion des Objekts. „Der Kratzer diente zur Beschickung des alten Wetterofens auf der 4. Sohle der stillgelegten Zeche Hibernia; der Ofen war nur noch durch den Schacht 2 zugänglich. Der Schacht ist jetzt zugekippt.“ Der knapp drei Meter lange Rundeisenstab, an dessen oberen Ende eine gebogene Metallöse als Handgriff dient und dessen unteres Ende mit einem dreieckigen Kratzeisen versehen ist, kam als Schenkung 1948 in die Musealen Sammlungen und steht damit im Zusammenhang einer neu eingerichteten Ausstellung zum Thema Grubenbewetterung und Wetterführung, die Mitte der 1950er-Jahre eröffnete. Ob der Feuerkratzer Teil der Ausstellung war, geht aus der Beschreibung des Museumsführers von 1954 nicht hervor. Erwähnung finden hier jedoch die zahlreichen Schaukästen zur Wetterführung in der Ausstellung, die in historischer Abfolge die verschiedenen Technologien zur lebenswichtigen Versorgung mit Frischluft unter Tage – von Windrädern bis zu Ventilatoren – vorstellten.

 

Zwar hat sich das damals angefertigte Modell des zum Feuerkratzer gehörigen Wetterofens nicht erhalten, doch gibt einer der erwähnten Schaukästen „Erwärmung der Wetter“ (montan.dok 030018076001) Auskunft über die prinzipielle Arbeitsweise eines solchen Ofens unter Tage. Zu sehen ist ein Abschnitt einer Strecke mit einem darüber liegenden Schacht. Ein Holzstoß links oder alternativ ein im Schacht hängender Feuerkorb mit Kohlenfeuer dienen zur Erwärmung der Luft, die über den Schacht nach oben steigt und einen permanenten Wetterstrom erzeugt. Voraussetzung war hierfür allerdings ein ständiger Nachschub an Frischluft, was nur durch einen weiteren einziehenden Schacht möglich war. Die Einführung dieses Zwei-Schacht-Systems wurde im späten 19. Jahrhundert zum Standard im industriellen Steinkohlenbergbau und war ab 1887 im preußischen Bergbau Vorschrift. Weiterhin konnten diese Öfen nur dort aufgestellt werden, wo es keine entzündlichen Grubengase gab und die Strecken ausgemauert waren. Dies vorausgesetzt, war der Einbau von Wetteröfen weitaus wirtschaftlicher als große dampfbetriebene Ventilatoren. Noch 1883 gab es an der Ruhr 41 Schachtanlagen mit Kohle-Wetteröfen. 

 

Als die Zeche Hibernia 1858 ihre Förderung aufnahm, waren die großen und in den 1830er-Jahren erstmals im belgischen Bergbau eingeführten langsam drehenden Ventilatoren des Typs Guibal im Ruhrbergbau noch ein seltener Anblick. Auch in Gelsenkirchen verließ man sich, um die Bewetterung zu sichern, weiterhin auf eine Anlage mit zwei Schächten und Wetteröfen. Zum Abteufen eines neuen Wetterschachtes und zum Einbau einer großen Ventilatoranlage der Bauart Geisler kam es erst nach zwei Schlagwetterexplosionen 1887 und 1891. Spätestens zu dieser Zeit dürfte der alte Wetterofen in Schacht 1 außer Betrieb gesetzt worden sein. Über seine genaue Funktion und seine Konstruktion wissen wir leider nichts: Weder existiert ein Bild dieses Ofens, noch ist bekannt, wie lange er in Betrieb war. Das einzig gesicherte Datum seiner Geschichte ist das Jahr 1948, als der damalige Direktor des seinerzeitigen Bergbau-Museums Bochum, Dr.-Ing. Heinrich Winkelmann, anlässlich einer Grubenfahrt auf der seit 1925 stillgelegten und bis 1943 als Versuchsgrube genutzten Zeche Hibernia auf dieses Zeugnis historischen Bergbaus aufmerksam wurde. Zwar erwies sich eine Überführung des Ofens in die Ausstellung als zu aufwendig, doch fertigte man von ihm ein Modell an und sicherte sich als originalen Zeugen den dazugehörigen Feuerkratzer.

 

In den folgenden Jahren interessierte man sich seitens des Museum weiterhin für das Thema. Ein Beispiel hierfür ist der Kamin des Wetterofens der Zeche Blankenburg in Witten-Buchholz, den im Sommer 1963 Vertreter des Bergbau-Museums Bochum besichtigten. Er war 1865 nach der Zusammenlegung der Zeche Vereinigte Geschwind mit der Zeche Blankenburg erbaut worden und vermutlich bis zum Jahr 1898, als man eine dampfbetriebene Lüfteranlage installierte, in Betrieb. Aus einer nach der Besichtigung angefertigten Skizze geht der Aufbau der gesamten Anlage hervor. Der ca. 10 Meter hohe Kamin steht oberhalb eines Berghanges und ist durch einen gemauerten Wetterkanal mit dem unterhalb gelegenen Ofen und dem Wetterschacht verbunden. In der weiteren Beschreibung heißt es: „Die Esse hat einen viereckigen Querschnitt und ist im unteren Teil aus Bruchsteinen, im oberen aus Ziegelsteinen gemauert. … Der Kanal ist im oberen Teil noch zu erkennen. … Eine Einsenkung kennzeichnet seinen Verlauf.“ (montan.dok/BBA 112/1406). Da der Kamin sich zum Zeitpunkt des Besuchs in einem baulich schlechten Zustand befand und einsturzgefährdet war, wurden konservatorische Maßnahmen empfohlen. Von Seiten des Museums sammelte man Geldspenden, nahm mit dem Landeskonservator Kontakt auf und forderte bei einer Baufirma erste Kostenvoranschläge an. Wann in den 1970er-Jahren dann baulich-konservatorische Maßnahmen erfolgten, geht aus der erhaltenen Korrespondenz nicht hervor. Bis heute befindet sich der Kamin jedoch als Zeugnis des frühen Bergbaus an der Ruhr nach wie vor an seinem alten Platz.

 

Wetteröfen unter und über Tage sind ein Hinweis darauf, dass mit der Industrialisierung und zunehmenden Mechanisierung des Steinkohlenbergbaus ab dem 19. Jahrhundert alte und bewährte Technologien nicht unmittelbar obsolet wurden. Altes und Neues existierte eine Zeit lang nebeneinander. Dennoch stellte der industrielle Steinkohlenbergbau wegen der ausgedehnten und immer tiefer reichenden Grubenbaue grundlegend neue Anforderung an die Bewetterung und damit letztlich an die Grubensicherheit. Für die Luftbewegung erwies sich die Innovation von dampf- und später elektrisch betriebenen Ventilatoren als zukunftweisend. Die einfache, aber wenig leistungsfähige Technologie eines Wetterofens geriet in Vergessenheit. In den Musealen Sammlungen des montan.dok lassen sich beide Technologien in Form von Objekten und dazugehöriger archivischer Überlieferung eingehend studieren.

 

01. Dezember 2023 (Dr. Stefan Siemer)

 

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 112/1406

 

Bergbau-Museum (Hrsg.): Wegweiser durch das Bergbau-Museum, Bochum 1954.

 

Festschrift aus Anlass des 25jährigen Bestehens der Bergwerksgesellschaft Hibernia (1873-1898), Düsseldorf 1898.

 

Huske, Joachim: Die Steinkohlenzechen im Ruhrrevier. Daten und Fakten von den Anfängen bis 2005, Bochum 2006.

 

Przigoda, Stefan: Luft, in: Brüggemeier, Franz-Josef/Farrenkopf, Michael/Grütter, Heinrich-Theodor (Hrsg.): Das Zeitalter der Kohle. Eine europäische Geschichte. Katalogbuch zur Ausstellung des Ruhr Museums und des Deutschen Bergbau-Museums auf der Kokerei Zollverein, 27. April bis 11. November 2018, Essen 2018, S. 67-75.

 

Wetterwirtschaft, in: Die Entwickelung des Niederrheinisch-Westfälischen Steinkohlen-Bergbaues in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hrsg. vom Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamtsbezirk Dortmund u.a., Bd. 4, Berlin 1903, S. 240-245.