Knapp bei Kasse – Notgeld als Quellen kulturhistorischer Forschung
Bei dem herangezogenen Beispiel handelt es sich um eine Serie von Notgeldscheinen (montan.dok/BBA N 15), die 1921 in der Druckerei der Fa. Gimmerthal (Bochum-Langendreer) produziert wurde. Gültig waren die Scheine im Landkreis Bochum, zu dem der Rückseite folgend damals Altenbochum, Bergen, Bladenhorst, Düren, Gerthe, Harpen, Hordel, Laer, Langendreer, Querenburg, Riemke, Somborn, Stockum, Weitmar und Werne gehörten. Hält man etwa den 5-Millionen-Markschein aus dem Jahr 1923, dem Jahr der Hyperinflation, mit seinen Abmessungen von 18,5 x 9,8 cm dagegen (montan.dok/BBA N 145), sind die beschichteten Scheine mit 6,5 x 9,6 cm vergleichsweise klein. Gleiches gilt für die ausgewiesenen Beträge. Mit 50 beziehungsweise 75 Pfennigen und 1 Mark ersetzten die Papierscheine aus dem Jahr 1921 ganz offensichtlich das fehlende „Klimpergeld“.
Pfennige und Mark wurden als Währung des Deutschen Reichs erstmalig mit Beginn des Ersten Weltkriegs knapp, weil Privatleute anfingen, Edelmetalle zu horten. Gemeinden, Vereine, Firmen, Banken, Parteien oder Hotels begannen deshalb eigeninitiativ recycelte Materialien – etwa Spielkarten, Prospekte, Fahrscheine oder Fotografien – provisorisch mit Geldwerten zu bedrucken beziehungsweise händisch auszustellen. Ab 1916 spitzte sich die Knappheit an Zahlungsmitteln derartig zu, dass Regierung und Reichsbank nichts anderes übrigblieb, als die Herstellung von Notgeld als Ersatz stillschweigend zu dulden. Diese Entwicklung führte dazu, dass die Gestaltung der Scheine professionalisiert und durch den Einsatz von Farbe und bildlichen Darstellungen kunstvoller wurde. Über Texte wurde das provisorische Geld aber auch zum Kommunikationsmedium, mit dem persönliche, institutionelle, gesellschaftliche oder politische Botschaften in Umlauf gebracht wurden. Nutzten die einen das Notgeld, um soziale und wirtschaftliche Schieflagen anzuprangern, stellten andere politische Satire in den Vordergrund. Unternehmen und Gemeinden hingegen warben vor allem für ihre Produkte und Ortschaften beziehungsweise verbreiteten – wie im vorliegenden Beispiel – heimatkundliche Aspekte.
Die Scheine aus der Druckerei Gimmerthal gehören in die gestalterische Blütezeit der Notgeldproduktion. Anfang der 1920er-Jahre hatte die Gestaltung von Papiergeld eine derartige Kunstfertigkeit erreicht, dass sich Sammler:innen dafür zu interessieren begannen. Seinen Niederschlag fand das wachsende Interesse in der Zusammenstellung von Katalogen, dem Verkauf von Alben, der Gründung von Notgeldsammlervereinen, im Handel mit Notgeld sowie der Popularisierung über themenspezifische Messen, Ausstellungen und Zeitschriften. Auf diese Weise wurden quasi nebenbei für Künstler:innen, Grafiker:innen, Druckereien und Händler:innen eine zusätzliche Einkommensquellen generiert. Was das Bochumer Beispiel angeht, sind alle Rückseiten identisch gestaltet. Rechts ist ein Fachwerkhaus, links ein unvollständig gezeichnetes Fördergerüst mit einem Betriebsgebäude einer Zeche zu sehen. Die Vorderseiten sind hingegen mit unterschiedlichen Motiven aus dem Bergmannsleben versehen. Neben dem Abschied von zu Hause sind beispielsweise Bergleute bei der Anfahrt, im Abbau, beim „Buttern“ oder in Paradekleidung dargestellt. Beatrix Schulte-Gimmerthal, Inhaberin einer der ältesten Buchhandlungen in Bochum, weiß zu berichten, dass ihr Großvater für die künstlerische Gestaltung verantwortlich gewesen ist. Friedrich August Gimmerthal besaß durch den Besuch einer Düsseldorfer Kunstschule die notwendige Kunstfertigkeit und hatte die Motive zudem direkt vor der Tür. Seine Buchhandlung lag mit dazugehöriger Druckerei in unmittelbarer Nachbarschaft zur Zeche Mansfeld in Bochum-Langendreer.
Das Bochumer Papiergeld der Fa. Gimmerthal liegt in der Spezialsammlung N „Notgeld und Marken“ im montan.dok in vier vollständigen Serien vor. Verfärbungen, Knicke und Papierabrieb lassen erkennen, dass einige der Scheine durch viele Hände gegangen sein müssen. Mehrheitlich ist das Papier aber glatt und sauber, wirkt unbenutzt und kaum gealtert. Die unterschiedlichen Farben und abweichenden Details bei der Gestaltung der Seriennummern, die ungleiche Papierstärke sowie die variierende Motivschärfe deuten zudem darauf hin, dass die überlieferten Konvolute aus mindestens zwei unterschiedlichen Druckvorgängen stammen. Es ist also davon auszugehen, dass diese Scheine vor allem Sammlungsobjekte und weniger Verkehrsscheine waren. Dabei war das Set erst komplett, wenn alle Strophen eines sehr bekannten Volksliedes vorlagen.
Eingeweihte erkennen sicherlich schon beim Lesen der ersten Zeile, dass es sich bei dem auf sieben Scheinen verteilten Text um das „Steigerlied“ handelt. Notgeldscheine mit der (heutigen) Bergbau-Hymne schlechthin zu versehen, war allerdings keine für Bochum exklusive Gestaltungsidee. So druckte die Lithografische Anstalt Ernst Lange in Freiberg im selben Jahr eine im Text leicht abweichende Variante. Die Ursprünge des unlängst in die bundesweite Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommenen Volkslieds lassen sich bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Gerhard Heilfurth, der Volkskundler schlechthin, wenn es um Bergmannslieder geht, hält den einfachen Text, die leichte Singbarkeit und den Einsatz von Refrains für ursächlich für die Einprägsamkeit und die Stellung, die „Glückauf, Glückauf, der Steiger kommt“ unter den unzähligen Bergmannsliedern hat (vgl. Heilfurth, Handbuch des Volksliedes, S. 773). Es ist der mündlichen Tradierung geschuldet, dass es das eine, das ursprüngliche Steigerlied nicht gibt, wenngleich der allgemeine Sprachgebrauch dies häufig suggerieren mag. Die ältesten Varianten sind aus Zwickau, Annaberg, Schneeberg und Freiberg belegt. Von dort aus verbreiteten sie sich in andere Bergbaureviere und darüber hinaus. Heino Neubers vergleichende Analyse von preußischen, sächsischen, schlesischen und studentischen Versionen fördert zu Tage, dass das Steigerlied, wie für Volkslieder typisch, durch die Weitergabe in Text und Melodie immer wieder verändert wurde. Diese Veränderungen ergaben sich beispielsweise durch „falsch“ gemerkte Textzeilen, die Anpassung der Melodie und/oder des Textes für eine bessere Singbarkeit, die regionalspezifische Anpassung von Vokabular oder die Ergänzung von Strophen.
Trotz aller Variationen bleiben die ersten vier Strophen, die von der bergmännischen Arbeit und der Liebe zum Beruf erzählen, immer erkennbar. Dem berufsständischen Passus schließen sich je nach Region Strophen an, die dem Steigerlied dann den Charakter eines Trink-, Liebes- oder Scherzliedes verleihen. Der auffälligste Unterschied zwischen den Texten auf den Bochumer und den Freiberger Notgeldscheinen ist die Anzahl der Strophen. So fehlen im Ruhrgebiet die sekttrinkenden Hüttenleute mit dem Leder vor dem Bauch, deren Berufsgruppe für die regionale Identifikation offensichtlich wenig bedeutsam war. Interessanterweise wird aber auch im Ruhrgebiet textlich am Abbau von „Gold“ und „Silber“ festgehalten, während sich in anderen Kohlerevieren die Dominanz dieser Georessource auch im Text niederschlägt (vgl. ebd., S. 215).
Ikonografisch fällt auf, dass die Darstellungen Friedrich August Gimmerthals nicht die Präzision und Komplexität eines Eduard Heuchlers, Professor für Zeichenkunst an der Bergakademie Freiberg, erreichen, dessen Motive für die sächsischen Scheine verwendet wurden. Außerdem sind Gimmerthals Illustrationen Beispiele für den industriellen Bergbau im 20. Jahrhundert. Anstatt romantischer Landschaften wird die Kulisse von Fördergerüsten und qualmenden Schornsteinen bestimmt. Nicht mehr auf Fahrten, sondern im Förderkorb überwinden die Bergleute die Teufe, Fördermaschinen haben die Rundbäume abgelöst, anstatt Freiberger Blenden sind Benzinsicherheitslampen zu sehen usw. Kontrastierend sind der Industriekulisse und Arbeitswelt ein Fachwerkhaus mit Garten oder Bergleute in Paradekleidung entgegengesetzt. Die Verabschiedungsszene, die gemeinsame Butterpause oder die Freizeitgestaltung in Ausgehuniform erzählen zudem vom Sozialleben und kameradschaftlichen Beziehungen.
Mag die Auseinandersetzung mit Notgeld zunächst den Verdacht erwecken, man habe es mit einem reizarmen Thema zur Währungsgeschichte zu tun, offenbaren sich bei näherer Betrachtung darüber hinaus vielfältige Anknüpfungspunkte für kunst-, kultur-, sozial-, verwaltungs-, stadt- und heimatgeschichtliche Fragestellungen. Was an Notgeld beim Umtausch nicht zerrissen oder verbrannt worden ist, schlummert heute in Sammlerschubladen beziehungsweise Archiven oder Museen und wartet dort auf seine Entdeckung.
01. November 2023 (Dr. Anna-Magdalena Heide)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum (DBM)/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) N 15 und N 145
Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe. Singen des Steigerlieds. Unter: https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutschland/steigerlied (Eingesehen: 04.09.2023).
Eglau, Hans Otto: Mehr Schein als Sein. Als die Mark Kapriolen schlug. Deutsches Notgeld 1914-1923, Düsseldorf 1997.
Heilfuhrt, Gerhard: Das Bergmannslied. Wesen, Leben, Funktion, Kassel/Basel 1954.
Heilfurth, Gerhard: Das erzgebirgische Bergmannslied. Ein Aufriß seiner literarischen Geschichte, Schwarzenberg 1936.
Heilfurth, Gerhard: Handbuch des Volksliedes, in: Brednich, Rolf/Röhrich, Lutz/Suppan, Wolfgang (Hrsg.): Die Gattungen des Volksliedes, Bd. 1, München 1973, S. 761-778.
Neuber, Heino: „Glück auf! Der Steiger kommt.“ Allerlei zur Geschichte und Bedeutung eines sächsischen Volksliedes, 2. Aufl., Stollberg 2022 (= Schriftenreihe zum Sächsischen Berg- und Hüttenwesen, Bd. 1).
Wegener, Gerd/Zimmermann, Peter: Papier-Notgeld in Bochum 1914-1923, Fritzlar 1979.