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Das Problem mit den Bergschäden: Über das Modell einer Blasversatzmaschine der A. Beien GmbH in Herne

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, auf einem Höhepunkt der Industrialisierung des Montanwesens in Europa, gab es im Ruhrgebiet kaum eine Fläche, die nicht unter dem Einfluss des Steinkohlenbergbaus stand. Die Auswirkungen zeigten sich vor allem in den Städten, wo Schäden an Bauwerken auftraten, Gleis- und Bahnhofsanlagen angehoben und Pumpwerke eingerichtet werden mussten, um das Wasser aus Senkungsmulden zu heben. Der Druck des Deckgebirges über den abgebauten Kohleflözen führte zwangsläufig zu einer Absenkung des so genannten Hangenden in die ausgekohlten Partien, und die Bewegungen durch die Schließung der Hohlräume setzten sich bis an die Erdoberfläche fort.

Die Konsequenzen waren so genannte Bergschäden. So sah sich etwa die St. Liborius-Kirche in Bochum-Grumme schon wenige Jahre nach ihrer Einweihung 1891 mit diesen Problemen konfrontiert. Maßgeblich für den Steinkohlenbergbau war an dieser Stelle die bereits 1849 gegründete Gewerkschaft Constantin der Große, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zuge wechselnder ökonomischer Perioden insgesamt erfolgreich entwickeln konnte. Annähernd parallel zur Entstehung der St. Liborius-Kirche Anfang der 1890er-Jahre gelang die Feldeskonsolidation mit der ebenfalls bis in die 1840er-Jahre zurückreichenden Zeche Herminenglück-Liborius, fortan erkenntlich unter dem Namen Gewerkschaft Vereinigte Constantin der Große. Der massive Zuzug von Arbeitskräften in die teils defizitären urbanen Strukturen des Ruhrgebiets brachte damals viele infrastrukturellen Anforderungen mit sich. Insofern spricht vieles dafür, dass sich besagtes Unternehmen um die Gründung und den Bau der Pfarrkirche ebenso verdient gemacht hat, wie es wenig später zugleich als Verursacher der fraglichen Bergschäden galt.

 

Als sich 1908 die ersten Risse an der Kirche zeigten und im Zuge eines Nivellements nachgewiesen war, dass sich der Boden der Kirche um 13 cm abgesenkt hatte, wurden auf Kosten von Constantin der Große erstmals Verankerungsmaßnahmen im Wert von 20.000 Mark durchgeführt. Dennoch konnten sie offenbar nicht verhindern, dass weitere Bergschäden in den 1920er-Jahren in einem Ausmaß auftraten, so dass der Kirche zeitweise sogar der Abriss drohte und zur Absicherung der Gläubigen ein Schutzgerüst im Inneren errichtet werden musste. Dass es zu einem Abriss nicht kam, hatte auch damit zu tun, dass die Bergwerksgesellschaft in den späten 1920er-Jahren regelmäßig jährlich 1 Million Mark Rückstellungen für Bergschäden bildete. Diese kamen dann 1929 mit einem Anteil von 70.000 Mark auch der St. Liborius-Kirche zu und ermöglichten der Gemeinde eine Wiederbenutzung der Kirche.

 

Wichtig war aber vor allem, dass sich Änderungen in der Bergbautechnik ergaben. Während der 1920er-Jahre setzte eine grundlegende Reform im Ruhrbergbau ein, die sich als Übergang vom zuvor geübten Bruchbau zum Versatzbergbau beschreiben lässt. Hatte man bis Anfang des 20. Jahrhunderts im Gewinnungsprozess die unmittelbar über den Flözen liegenden Gebirgsschichten grundsätzlich hereinbrechen lassen, wurde nun das bloßgelegte Hangende in den ausgekohlten Abbauräumen durch den Bergeversatz abgefangen und gestützt. Dies sollte seinerzeit nicht nur die Bergsenkungen minimieren, sondern auch die Umfänge und Platzbedürfnisse der Bergehalden über Tage verringern. Dass sich auch die Bergwerksgesellschaft Constantin der Große an diesem Verfahren beteiligt hat, steht außer Frage und mag geholfen haben, weitere Bergschäden an der Kirche St. Liborius in den folgenden Jahrzehnten zu vermeiden.

 

Die maschinelle Technik des Blasversatzes ist 1924 erstmals im Zwickau-Oelsnitzer Revier in Sachsen eingesetzt worden. Wie der Name des Verfahrens nahelegt, wurde das Versatzmaterial mit Hilfe von Druckluft in die durch den Bergbau geschaffenen Hohlräume geblasen. Diese wurden damit verfüllt. Allerdings hatte auch diese Technologie ihre Nachteile. Der Luftstrom konnte nur verhältnismäßig kleine Gesteine transportieren. Hierzu mussten die Berge entweder zermahlen oder ein geeignetes Material von außen zugeführt werden. Die Maschine diente zur Vermischung des Abraums mit dem Luftstrom. Dabei bestanden prinzipiell zwei unterschiedliche Bauarten: Einerseits die Kammerbauart, bei der der Versatz in einem luftdichten Bunker lagerte, der nach seiner Entleerung erst wieder gefüllt werden musste. Solange stand die Maschine still. Andererseits das Zellenrad, das als zweiter Typ eine kontinuierliche Arbeit ermöglichte. Das Zellenrad hatte verschiedene Kammern, die nacheinander mit dem Luftstrom vermengt und somit entleert wurden. Der Füllungsgrad dieser Methode lag zwischen 60 und 70 Prozent.

 

Angesichts des beschriebenen Wandels in der Bergbautechnik überrascht es nicht, dass auch das damalige Bochumer Bergbau-Museum nur wenige Jahre nach seiner Gründung im Jahr 1930 danach strebte, das Blasversatzverfahren angemessen museal zu veranschaulichen. So geht aus den Verwaltungsakten des Museums, die heute im Bestand montan.dok/BBA 112: Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Bochum, im Bergbau-Archiv Bochum als Teil des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) verwahrt werden, das Folgende hervor: Am 03. Dezember 1936 wandte sich der erste Direktor des Museums, Dr. Heinrich Winkelmann, an die Maschinenfabrik und Eisengießerei A. Beien GmbH in Herne mit der Bitte, das Modell einer von dieser Firma erfolgreich vertriebenen Blasversatzmaschine zu erhalten. Das Modell selbst sollte nach den Vorlagen der A. Beien GmbH von den Werkstätten für Feinmechanik und Modellbau GmbH, Peter Koch, in Köln-Nippes ausgeführt werden, mit denen der Museumsdirektor auch für andere Modelle in Kontakt stand.

 

Aus verschiedenen Gründen gestaltete sich der Vorgang allerdings zunächst etwas zäh, so dass Heinrich Winkelmann 1937 nochmals nachfassen und Überzeugungsarbeit leisten musste: „Da nun durch unsere Sammlungen die vielen Fachleute gehen und die vielen Schachtanlagen ihre Grubenbeamten zu uns schicken, wäre es wirklich verfehlt, wenn in dieser Sammlung von Versatzmaschinen Ihre Maschine nicht vertreten wäre“ (montan.dok/BBA 112/752). Ganz offensichtlich konnte der Direktor der Herner A. Beien GmbH damit überzeugt werden. Mitte März 1938 berichtete Winkelmann mit Begeisterung: „Gestern waren das Luft-Gaukommando Münster, später der Vorstand von Westfalia Dinnendahl-Gröppel […] und noch später einige englische Herren (Bergwerkdirektoren) hier. Ich habe […] die Maschine laufen lassen und gefunden, daß bei allen 3 Gruppen, ohne daß ich die Herren auf das Modell aufmerksam machte, die Herren sofort an dieses Modell stürzten und mehrmals ihrer Bewunderung Ausdruck verliehen; sie fragten immer wieder: ‚Woher ist die Maschine [?]‘“.

 

Ein wesentlicher Nachteil der Blasversatztechnik war und blieb aber die teure Druckluft, die aufwendig hergestellt werden musste. Dies war nur einer der Gründe dafür, dass der Ruhrbergbau in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zuge der anhaltenden Strukturkrise sowohl aus wirtschaftlichen als auch technischen Gründen vom Blasversatz abgerückt ist und im Wesentlichen wieder Bruchbau betrieben hat. Das Modell der Blasversatzmaschine der A. Beien GmbH (montan.dok 030001307000) ist bis in die jüngste Zeit in der ehemaligen Dauerausstellung des Deutschen Bergbau-Museums Bochum ausgestellt worden. Aktuell ist es noch bis zum 15. Januar 2023 in der Sonderausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ zu sehen.

 

01. Dezember 2022 (Dr. Michael Farrenkopf)

 

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 112/752

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 030001307000

 

Baumert, Martin: Forschung und Rekultivierung, in: Farrenkopf, Michael/Göschl, Regina (Hrsg.): Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich. Begleitband zur Sonderausstellung des Deutschen Bergbau-Museums Bochum im Jahr 2022, Berlin/Boston 2022 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 251; = Schriften des Montanhistorischen Dokumentationszentrums, Nr. 44), S. 123-133.

 

Farrenkopf, Michael: Die Bergschadensproblematik, in: Katholische Kirchengemeinde Seliger Nikolaus Groß, Bochum-Grumme (Hrsg.): Mittendrin. 125 Jahre St. Liborius-Kirche, Bochum 2016, S. 48-51.

 

Fritzsche, Carl Hellmut: Die Bergeversatzwirtschaft des Ruhrkohlenbergbaus, in: Glückauf 65, 1929, S. 221-229, S. 263-270 und S. 289-295.

 

Junker, Martin/Lemke, Michael u.a.: Technikentwicklung im Abbau, Duisburg 2017 (= Dokumentation der technischen Entwicklung bei der RAG, Bd. 2), S. 499-513.

 

Kroker, Evelyn: Bruchbau kontra Vollversatz. Mechanisierung, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit im Ruhrbergbau zwischen 1930 und 1950, in: DER ANSCHNITT 42, 1990, S. 191-203.