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Aus dem Hambacher Forst ins montan.dok: Wie kommt ein Baumhaus ins Museum?

Der Hambacher Forst liegt im Rheinland, im Südosten des größten und tiefsten europäischen Braunkohlentagebaus. Vor Beginn der Kohlenförderung war der Wald 4.100 Hektar groß, nach Angaben des Tagebaubetreibers RWE Power wurden bislang 3.900 Hektar für den Kohleabbau gerodet. Laut dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hat der Wald eine 12.000 Jahre lange Geschichte. Es gibt dort Vorkommen streng geschützter Arten wie der Bechsteinfledermaus, des Springfrosches und der Haselmaus. Diese Natur zu schützen, lag und liegt im Interesse politisch aktiver Personen, die sich aus Protest und für den Erhalt u. a. mit Baumhäusern in den Baumkronen des Hambacher Forsts Behausungen auf Zeit erschaffen. Eines dieser Baumhäuser ist nun im Bestand der Musealen Sammlungen des montan.dok. Von einer besonderen Übernahme und wechselseitigen Horizonterweiterungen erzählt das Objekt des Monats.

Der Konflikt um den Hambacher Forst gehört zu den bekanntesten Umweltprotesten in der Geschichte der Bundesrepublik. 2012 startete die Besetzung des Hambacher Forsts, der später als „Hambi“ international bekannt werden sollte. Bis 2018 kam es immer wieder zu Besetzungen und Räumungen. Aufgrund der Popularität des Konflikts um den Wald erregte die Räumung 2018 die Gemüter vieler Menschen und mobilisierte zu zahlreichen Protestaktionen. Als am 12. September 2018 die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen beschloss, den Hambacher Forst zu räumen, startete der größte Polizeieinsatz in der Geschichte des Landes. Die Aktion wurde nicht nur rechtlich, sondern auch politisch zu einem Debakel und erzeugte international mediale Aufmerksamkeit. Am 06. Oktober 2018 kamen 50.000 Menschen an den Waldrand, um gegen die Abholzung zu demonstrieren. Die Diskussionen um die drohende Klimakatastrophe nahmen in der Folge zu. Mit einem Moratorium, das im Februar 2019 die Rodung des Hambacher Forsts vorerst untersagte, war dieser vorerst geschützt und der RWE AG die weitere Rodung bis zum Frühjahr 2020 untersagt. Im September 2021 entschied das Verwaltungsgericht Köln, dass die Räumung des Hambacher Forsts rechtswidrig war. Die Landesregierung NRW erkannte das Urteil an. Im Wald und seiner Umgebung leben weiterhin Klima- und Umweltaktivist:innen. Auch wenn der „Hambi“ nicht mehr wie ursprünglich bedroht ist: Der Tagebau läuft weiter.

 

Wie kommt ein Baumhaus aus einem der bekanntesten Umweltkonflikte des letzten Jahrzehnts in das Deutsche Bergbau-Museum Bochum – und damit erstmals überhaupt in ein Museum? Diese Geschichte beginnt im Frühjahr 2021 bei Recherchen zur BMBF-geförderten Sonderausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“. Um den Umweltprotest in der Gegenwart abzubilden, fragen Kuratoren aus dem montan.dok Umweltgruppen an. Nach mehreren Telefonaten, Treffen und Überzeugungsarbeit, bekommt Dr. Martin Baumert, wissenschaftlicher Mitarbeiter im montan.dok, im September 2021 einen Anruf: „Möchtet Ihr immer noch ein Baumhaus?“ Die kurze Antwort: „Ja.“ Ohne zu wissen, auf welches Abenteuer sich das gesamte Ausstellungsteam hier einlässt. Es beginnt eine Zeit des intensiven Austauschs und auch eine, in der man zueinander Vertrauen aufbaut. Das Baumhaus, um das es geht, errichteten engagierte Personen im Rahmen der Wiederinbesitznahme im Herbst 2019 am westlichen Waldrand bei Morschenich. Es hing in ca. 17 Metern Höhe.

 

Wieso will das Ausstellungsteam ein Baumhaus zeigen? An ihm zeigt sich, welch ein entbehrungsreiches Leben Umweltaktivist:innen bereit sind einzugehen, um einen Wald zu schützen und auf eine enorme Diskrepanz zwischen Energie- und Klimapolitik aufmerksam zu machen. Es zeigt auch, welch Einfalls- und Detailreichtum in diesen temporären Unterkünften steckt, die Behausungen auf Zeit sind und zugleich alles bieten müssen, was es zum Leben braucht. Diese besondere Form des Lebens näher zu bringen, ist unser Ziel, wird aber auch von der Person, die politisch aktiv ist, als Chance wahrgenommen: Das Baumhaus an das montan.dok zu übergeben und vor allem im Zusammenhang mit „Gras drüber …“ sichtbar zu machen, ist von vornherein mit dem Wunsch verbunden, Thema und umsetzenden Personen eine Repräsentanz zu schaffen. Die übergebende Person formuliert klar den Wunsch, Vorurteile abzubauen, die Perspektive zu erweitern und bestenfalls Momente des Nachdenkens bei den Besuchenden auszulösen. „Gras drüber …“ biete dafür hervorragende Möglichkeiten.

 

Eine erste Besichtigung von zwei Mitarbeitenden des montan.dok Ende Oktober 2021 bringt Ernüchterung. Allein, ohne die Unterstützung der Aktivist:innen, wird das Baumhaus nicht geborgen werden können. Aber die Aktivist:innen signalisieren Unterstützungsbereitschaft. An einem kalten Dezembermorgen vereinbaren alle bei einem zweiten Besuch im Wald, das Baumhaus im Frühjahr 2022 zu bergen.

 

Die Bergung beginnt in der ersten warmen Frühlingswoche im März 2022. Zur Vorbereitung wurde bereits eine Woche früher eine Kamera in den Wald gebracht, damit die Aktivist:innen jedes Teil einzeln markieren und den Abbau dokumentieren können. Zu dritt sind die Kollegen aus dem montan.dok vor Ort. Oben bauen die Aktivist:innen ab, unten dokumentieren und verpacken die Museumsmitarbeiter. Die Pausen bringen interessante Gespräche über das Leben im Wald, und es beginnt ein sehr offener Austausch. Gesprochen wird über geschichtliche Aspekte, und sowohl die „Waldmenschen“ als auch die „Historiker“ gewinnen Wissen über unterschiedliche Perspektiven hinzu. Nach drei Tagen kann das Baumhaus, zerlegt in mehr als hundert Einzelteile, nach Bochum gebracht werden. Neben der Erweiterung der Bestände des montan.dok und der Erweiterung der Objektliste für die Sonderausstellung geht diese Zeit auch mit einer Horizonterweiterung aller Beteiligten einher. Alle sprechen von einer ganz besonderen Zeit, die das Bergen und das Dokumentieren in einem eigens dafür angelegten Objekttagebuch begleitet.

 

Es folgte der Wiederaufbau im Mai, der heißen Phase des Ausstellungsaufbaus im DBM+. Eine Woche rätseln die Kuratoren über jedem Teil, und trotz hunderter Bilder gestaltet es sich eher wie ein Puzzlespiel, das Baumhaus wieder in seiner ursprünglichen Form aufzubauen. Eine Person aus dem Wald unterstützt diese Arbeiten im Museum. Am Ende steht das Baumhaus im Rohbau. Der Innenausbau wird nochmal einen Tag dauern.

 

Alle Baumhäuser sind individuell. Ein Baumhaus wie das hier beschriebene besteht vollständig aus re- und upcycelten Materialien, die vormals anderweitig verbaut waren. Solarpanels sichern die Versorgung mit Strom. Das gilt auch für das übernommene Exemplar. Für die Sonderausstellung muss auf den balkonartigen Vorbau mit Solarpanel allerdings wegen der Größe verzichtet werden. Ein Großteil der Baumaterialien stammt aus Spenden von unterstützenden Bürger:innen. Seit 2018 haben sich Baustil, Größe, Ausstattung und Infrastruktur der Häuser weiterentwickelt und verbessert, da die Materialspenden zugenommen haben. Zudem gewährleisten mehr Zeit für den Bau, mehr zur Verfügung stehendes Material sowie weniger Handlungsdruck durch den RWE-Konzern und die Behörden eine andere Bauweise. So sind z. B. die Baumhäuser nicht mehr mit Seilsystemen, sondern Hängebrücken verbunden. Das Baumhaus, wie es derzeit in der Sonderausstellung „Gras drüber …“ zu sehen ist, entspricht schon nicht mehr dem heutigen Baumhausstandard. Die bewohnenden Personen – sie bezeichnen sich untereinander als „Waldmenschen“ – sind kommunikativ vernetzt, die Ausstattung der Baumhäuser ist für alle Witterungsverhältnisse und wetterfest ausgerichtet. Die Häuser sind so ausgestattet, dass eine Versorgung im Falle einer Besetzung immer für einen längeren Zeitraum sichergestellt ist (Wasser, Licht, Verpflegung, Telekommunikation, „Scheißebox“). Viele bewohnende Personen empfinden das Baumhaus als „persönlichen Lebensraum auf Zeit“ und richten es entsprechend auch mit Gegenständen nach persönlichen Vorlieben ein. Eine kleine Hausbibliothek, wie in dem ausgestellten Baumhaus, ist keine Seltenheit, aber kein Muss. Sie kann durchaus wachsen, weil die bewohnenden Personen sie nach einem Hauswechsel ergänzen.

 

Das Bewohnen eines Baumhauses – das schildern die „Waldmenschen“ sehr anschaulich und erleben auch die Mitarbeiter des montan.dok beim Bergen – hat nichts mit Waldidyll zu tun. Neben der Geräuschkulisse, der Staubbelastung und der Lichtverschmutzung durch den Tagebaubetrieb ist zudem die Bedrohung durch eine unmittelbar bevorstehende Räumung allgegenwärtig und wird durchaus als belastend empfunden. Die bewohnende Person schildert die alltägliche Wohnsituation als Spannungsfeld zwischen vorbeispringenden Eichhörnchen und Abbruchkante unmittelbar vor den Augen – größer könne der Gegensatz von Natur und Eingriff des Menschen nicht sein.

 

Das Deutsche Bergbau-Museum Bochum ist bislang das einzige Museum, das ein Baumhaus aus dem Hambacher Forst zu seinen Sammlungsbeständen zählen kann und ein solches Objekt direkt von den Personen übernehmen konnte, die den Protest initiiert haben. In anderen Museen befinden sich zwar auch Protestobjekte – darunter Barrikaden oder Banner. Diese wurden entweder über die RWE AG oder durch Polizeibehörden geborgen. Die politisch aktiven Personen übergaben das Baumhaus samt einigen Gegenständen der Inneneinrichtung in die Musealen Sammlungen des montan.dok. Der Erhalt dieses Objekts ist für die Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen ebenso wie für die Sozial- und Umweltgeschichte in Deutschland von großer Bedeutung. In der Sonderausstellung ist es der Auftakt zum Ausstellungsbereich „Und nun?“, in der die Positionen von Umweltprotest und Bergbauerhalt mit den Zukünften in ehemaligen Bergbauregionen kontextualisiert werden.

 

01. November 2022 (Dr. Martin Baumert & Wiebke Büsch, M.A.)

 


Literatur

Ehling, Thekla/Grothus, Antje/Jung, Matthias/Kemmerich, Todde (Hrsg.): 10 Jahre Hambacher Forst, Dortmund 2022.

 

Hambach Forst Buchprojekt (Hrsg.): Mit Baumhäusern gegen Bagger. Geschichten vom Widerstand im rheinischen Braunkohlerevier, Osnabrück 2015.