Skip to main content

Datteln IV – Mehr als nur ein Kraftwerk

Kaum ein deutsches Kraftwerk hat in den vergangenen Jahren so viel öffentliche Aufmerksamkeit erregt, wie das Steinkohlenkraftwerk Datteln IV am Dortmund-Ems-Kanal. 2020, nach mehrjähriger Verzögerung, in Betrieb gegangen, ersetzt es die 2014 stillgelegten Kraftwerksblöcke Datteln 1-3 sowie die Kraftwerke Shamrock in Herne und Gustav Knepper in Dortmund. Dass Datteln IV heute Strom erzeugt, grenzt jedoch angesichts seiner Entstehungsgeschichte fast an ein Wunder.

Die in den 1960er-Jahren gebauten Kraftwerksblöcke Datteln 1-3 verfügten über eine Gesamtnettoleistung von 303 Megawatt und erzeugten vor allem einphasigen Bahnstrom und Fernwärme. Das ursprüngliche Kraftwerk deckte ca. 20 Prozent des Bahnstrombedarfs, war mithin systemrelevant. Die Betriebsgenehmigung dieses Kraftwerks endete zum 31. Dezember 2012, der Betreiber E.ON zeigte Ende des Jahres 2006 den Genehmigungsbehörden dementsprechend die Stilllegung der Kraftwerksblöcke zu diesem Termin an. Das Unternehmen hatte einen Neubau geplant, das so genannte Kraftwerk Datteln IV, das nur aus einem Block bestehen und eine Nettoleistung von 1052 Megawatt aufweisen sollte. Gebaut wurde es seit 2007 auf der dem alten Kraftwerk gegenüberliegenden Seite des Dortmund-Ems-Kanals.

 

Der Baubeginn fiel in das Jahr, in dem die Bundesrepublik Deutschland entschied, den einheimischen Steinkohlenbergbau im Jahr 2018 auslaufen zu lassen. Perspektivisch sollte sich diese politische Entscheidung als einer von vielen Stolpersteinen des Bauprojekts erweisen, da zunächst nur die Verfeuerung einheimischer Kohlen genehmigt worden war. Für das mehr als eine Milliarde teure Bauvorhaben drohte aber bereits zwei Jahre nach Baubeginn das Aus: 2009 urteilte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster, dass der Bebauungsplan für Datteln IV aufgrund grober Mängel unwirksam sei. Zu diesen zählte das OVG Münster beispielweise, dass weder Natur- noch Bevölkerungsschutzbelange beim Eintreten eines Störfalls hinreichend berücksichtigt worden wären. Auch die Planung des Baus in zu großer Nähe zu Wohngebieten entspräche nicht den Landesentwicklungsplänen. Aufgrund dieses Urteils erließ die Bezirksregierung Münster einen vorläufigen Teilbaustopp, der Auswirkungen auf die Stilllegungspläne der Kraftwerksblöcke 1-3 hatte.

 

Da die terminierte Fertigstellung von Datteln IV fraglich wurde, sah sich der Energiekonzern E.ON genötigt, die Filteranlagen der alten Blöcke zu erneuern, um so aktuell geltenden Emissionsgrenzwerten gerecht werden zu können. Damit sollte eine Betriebsverlängerung erreicht werden. Das erwies sich allerdings als schwierig, weil das zuständige Umweltministerium des Landes Nordrhein-Westfalen die Meinung vertrat, ein Widerruf der erklärten Stilllegung sei nicht möglich. Dass Datteln 1-3 erst 2014 außer Betrieb ging, war einzig einer umstrittenen, zeitlich befristeten Sondergenehmigung geschuldet, die das Umweltministerium Ende des Jahres 2012 erteilte. In diesem Jahr hob das OVG des Landes Nordrhein-Westfalen aufgrund einer Klage des Bundes Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) die immissionsrechtliche Genehmigung für Datteln IV auf. 2014 wurde ein neuer Bebauungsplan vorgelegt, seit 2017 konnte der Weiterbau erfolgen, nachdem die Bezirksregierung Münster die immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt hatte.

 

Nun wurde der Bau durch Uniper SE fortgesetzt und vollendet. Uniper SE ist eine 2016 entstandenen konzerninternen Gesellschaft, die seit 2019 mehrheitlich zum staatlichen finnischen Energiekonzern Fortum gehört. Damit endete die umkämpfte Baugeschichte nicht. Als die Bundesregierung 2020 in ihren Beschlüssen zum Kohleausstieg 2038 die Inbetriebnahme des neuen Kraftwerks genehmigte, waren Umweltverbände empört. Es kam zur Besetzung des Geländes durch Umweltaktivist:innen. Nur ein Jahr später schienen die Gegner:innen von Datteln IV ihren finalen Erfolg feiern zu können, da das OVG Münster den neuen Bebauungsplan für rechtswidrig erklärte, allerdings nicht die Betriebserlaubnis. Die Zukunft von Datteln IV bleibt weiter ungewiss.

 

Schlagzeilen macht aktuell immer wieder die Kritik an der „Blutkohle“, die im Kraftwerk verheizt wird. Dabei handelt es sich um Importkohle, die unter ökologisch und sozial höchst fragwürdigen Bedingungen abgebaut wird. Demgegenüber führt der Betreiber die hohe Effizienz des Kraftwerks ins Feld, das einen Wirkungsgrad von über 45 Prozent habe und eine Referenz für eine neue Kraftwerksgeneration sei. Diese effiziente Kraftwerksgeneration ist für die globale Energiewende bedeutsam, stellt sie doch eine Brückentechnologie dar. Mit dieser Metapher sind Technologien angesprochen, die von vornherein nur für eine bestimmte Zeit genutzt werden sollen, mithin eine „Brücke“ bilden auf dem Weg zu alternativen Technologien, hier dann konkret hin zu post-fossilen Energietechnologien.

 

Am Standort Datteln IV betreibt Uniper SE auch ein Informationszentrum, in dem ein Modell des Kraftwerks ausgestellt wurde. Es eignet sich bestens, um die Energiekonflikte der Gegenwart, aber auch die technologische Bedeutung moderner Kohlenkraftwerke für den globalen Übergang in ein post-fossiles Energiesystem zu versinnbildlichen. Das aus Kunststoff und Holz bestehende Modell misst ca. 2,80 x 2,30 Meter. Es wurde 2008 von der Firma Modellbau Römer im Auftrag von Uniper SE gebaut und zeigt das Kraftwerk Datteln IV mit seiner zugehörigen Infrastruktur, wie u. a. Verwaltungsbauten, Kohlenentladeplätze am Dortmund-Ems-Kanal oder auch Parkplätze und Strommasten.

 

Dieses Modell wird in der aktuellen, BMBF-geförderten Sonderausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ gezeigt. Nachdem es von Dr. Michael Ganzelewski (DBM/montan.dok) und Robin Pechtl (DBM/ Technik & Infrastruktur) vor Ort abgebaut wurde, kann es aktuell in der Ausstellungseinheit „Und nun?“ besichtigt werden. An dieser Stelle weist es u. a. darauf hin, dass ehemalige Kohlereviere sich nicht nur auf die Ressourcengewinnung reduzieren lassen, sondern zahlreiche, noch heute bedeutsame Innovationen in nachgelagerten Industrien stattfanden. Nach Ende der Sonderausstellung am 15. Januar 2023 verbleibt es im Montanhistorischen Dokumentationszentrum beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum, da es von Uniper SE dauerhaft übergeben wurde.

 

01. September 2022 (Dr. Torsten Meyer)

 


Literatur

o. V.: Umstrittenes Kraftwerk Datteln IV: Bebauungsplan ungültig. Unter: https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/ovg-verhandelt-kraftwerk-datteln-vier-100.html (Eingesehen: 29.07.2022).

 

o. V.: Aktionstage gegen Datteln IV gestartet. Unter: https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/protest-gegen-datteln-iv-100.html (Eingesehen: 29.07.2022).

 

o. V.: Rot-grüner Kompromiss. Neue Chance für Kraftwerk Datteln. Unter: https://www1.wdr.de/archiv/kraftwerk-datteln/datteln126.html (Eingesehen: 29.07.2022).

 

o. V.: RVR will Planungsfehler ausbügeln. Neuer Anlauf für Kraftwerk Datteln. Unter: https://www1.wdr.de/archiv/kraftwerk-datteln/rvr100.html  (Eingesehen: 29.07.2022).

 

o. V.: Geschichte eines Konflikts. Kampf um „Datteln 4“. Unter: https://www1.wdr.de/archiv/kraftwerk-datteln/kraftwerk_datteln120.html    (Eingesehen: 29.07.2022).

 

o. V.: Kraftwerk Datteln, in: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Kraftwerk_Datteln (Eingesehen: 29.07.2022).

 

o. V.: Zur Geschichte des umstrittenen Steinkohlekraftwerks Datteln 4. Unter: https://www.gruene-datteln.de/datteln4-geschichte (Eingesehen: 29.07.2022).

 

o. V.: Datteln. Unter: https://www.uniper.energy/de/deutschland/kraftwerke-deutschland/datteln (Eingesehen: 29.07.2022).