Warum eine Rechenmaschine doch nicht kassiert wurde
Ein erster Blick in die interne Sammlungsdatenbank lieferte zunächst keine Ergebnisse. Die Mitarbeitenden wussten jedoch von zwei schweren Holzkästen, die im Zuge der Verlagerung des montan.dok an seinen aktuellen Interimsstandort logistisch behandelt und dabei auch mit Inventarnummern versehen worden waren. Jener mit der heutigen Inventarnummer montan.dok 030011305001, trug einen handbeschriebenen Aufkleber mit der Aufschrift „O.S.“ (ohne Signatur). Bekannt war lediglich, dass sich darin eine Maschine befand, die schon auf den ersten Blick durch ihre Bedienelemente faszinierte. Zudem prangte im Inneren der Kästen der Name „Millionär“.
Bei dem hier betrachteten Exemplar handelt es sich um einen Holzkasten (Höhe 200 mm, Breite 670 mm, Tiefe 310 mm) mit abschließbarem Klappdeckel. An der Innenseite des Deckels ist eine bedruckte Tafel aus Blech angenagelt. Auf der Tafel befinden sich Text- und Grafikerläuterungen zur Funktion der Maschine sowie zwei Tabellen mit jeweils einem Metallschieber mit Zahlenfenstern. Im Inneren des Kastens befindet sich das mechanische Innenleben der Rechenmaschine. Auffällig sind die unterschiedlichen Bedienelemente wie Schieber, Zahlenfenster, Metallstifte, links ein Multiplikationshebel und rechts eine Drehkurbel zur Ergebnisermittlung und vor allem die markanten Abriebspuren auf der Abdeckplatte durch einen intensiven Gebrauch.
Wenngleich die Rechenmaschine „Millionär“ gemessen an heutigen sehr leichten Rechengeräten ein erhebliches Bedienungsgeschick erforderte, ermöglichten derartige Maschinen seit 1896 die vier Grundrechenarten Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division. Zur Division musste allerdings die Hilfstabelle im Deckel eingesetzt werden. Mobil einsetzbar waren sie wegen des Gewichts von 34 kg nur bedingt, dennoch konnte die Mechanik für Transporte mit beiliegenden Sicherungsschrauben gesichert werden. Neben anderen Geheimnissen, die bislang noch immer nicht gelüftet wurden, ist es genau diese Mechanik der Rechenmaschine, die heutigen Ingenieuren Kopfzerbrechen bereitet.
In der Schweiz, Herstellungsland der Rechenmaschine, ging man vor einigen Jahren anhand umfangreicher Archivrecherchen und Sammlungsbefragungen in aller Welt auch der Frage nach der Datierung – also dem Baujahr – heute noch vorhandener Rechenmaschinen „Millionär“ nach. Vor diesem Hintergrund ist es heute möglich, auch das Bochumer Objekt zu datieren. Für die Produktionsnummer „1455“, die sich gut sichtbar unter dem Produzentenschild „Hans W. Egli // Ingenieur // Fabrikation von Rechenmaschinen // Pat. O. Steiger // ZÜRICH II.“ auf der Maschinenabdeckung befindet, wird das Jahr 1910 als Baujahr angegeben (Bruderer, Meilensteine, S. 747).
Wie kam die Rechenmaschine dann in die Musealen Sammlungen des montan.dok? Ein Papierzettel, der in der Maschine lag, weist als einzig vorhandene Dokumentation den Juli 1967 als Zugang aus. Zu diesem Zeitpunkt gelangte die Maschine als Schenkung von der Abteilung für Geophysik, Schwingungs- und Schalltechnik der Westfälischen Berggewerkschaftskasse (WBK) zum damaligen Bergbau-Museum. Das seinerzeit erstellte Sammlungsetikett deutet darauf hin, dass nach erfolgter Eingangsdokumentation eine reguläre Inventarisierung gar nicht vorgesehen war.
Die Art der Dokumentation legt nahe, dass das Objekt zunächst als „nicht sammlungswürdig“ eingestuft wurde, zugleich aber Hemmnisse bestanden, sie wieder aus der Sammlung zu entfernen. Aus heutiger Sicht ist dies ein Glücksfall, wissen wir doch durch die nun vorhandenen Erkenntnisse, dass das Objekt unmittelbar mit der Geschichte der WBK als Forschungseinrichtung verbunden ist. Man kann annehmen, dass die Rechenmaschine „Millionär“ zu einer Zeit angeschafft wurde, als größere Rechenleistungen in den Forschungsbereichen der WBK notwendig wurden. Die Abteilung für Geophysik, Schwingungs- und Schalltechnik ging auf die bereits 1854 vom Bochumer Bergamt im Garten eingerichtete erdmagnetische Warte (Deklinatorium) zurück. Nach dem Bau einer Wetterwarte folgte von 1907 bis 1909 die Einrichtung einer dritten geophysikalischen Warte, nämlich einer Erdbebenstation unter dem Leiter der Abteilung Markscheidewesen Ludger Mintrop. Den Bedarf nach größeren Rechenleistungen stillte man durch den Kauf einer Rechenmaschine „Millionär“ bei dem Bochumer Händler für Büroeinrichtungen „C. Mönnigfeld“. Gerade weil sonstige schriftliche Überlieferungen zu diesem Erwerb nicht mehr vorliegen, ist es umso wichtiger, dass der Händler in Bochum durch ein Schild auf der Rechenmaschine direkt belegt ist, was dieser Maschine insgesamt den Charakter eine Quelle innerhalb der Musealen Sammlungen des montan.dok verleiht. Die Gebrauchsspuren durch eine intensive Nutzung, die Gegenstand einer modernen Objektforschung sein können, machen die „Millionär“ zu einem singulären Objekt.
01.09.2022 (Dr. Michael Ganzelewski)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 030011305001
Bruderer, Herbert: Rätsel um die Datierung der weltberühmten Rechenmaschine „Millionär“ gelöst. Fund neuer Dokumente zur Firma H.W. Egli AG (Zürich) im Museum für Kommunikation, Bern, 20218-08, DOI: https://doi.org/10.3929/ethz-b-000295764 (Eingesehen: 09.08.2022).
Bruderer, Herbert: Meilensteine der Rechentechnik, Bd. 1, 3. Auflage, Berlin/Boston 2020.
Farrenkopf, Michael/Ganzelewski, Michael: Das Wissensrevier. 150 Jahre Westfälische Berggewerkschaftskasse/DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung. Katalog zur Sonderausstellung. Deutsches Bergbau-Museum Bochum vom 29. Juni 2014 bis 22. Februar 2015, Bochum 2014 (= Kretschmann, Jürgen/Farrenkopf, Michael [Hrsg.]: Das Wissensrevier. 150 Jahre Westfälische Berggewerkschaftskasse/DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung, Bd. 2)
Schunder, Friedrich: Lehre und Forschung im Dienste des Ruhrbergbaus. Westfälische Berggewerkschaftskasse 1864-1964, Herne 1964.