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Ein Wimmelbild des Bergbaus: Eine bergmännische Geduldflasche aus dem 19. Jahrhundert

Jeder kennt die in Glasflaschen mit viel Geduld eingebauten „Buddelschiffe“. Dass auch der Bergbau Flaschen dieser Art hervorgebracht hat, ist hingegen weit weniger bekannt. Statt Segelschiffen und anderer maritimer Szenen findet man hier die Welt unter und über Tage in liebevoll geschnitzten Bergwerken hinter Glas. Eine dieser bergmännischen so genannten Geduldflaschen stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert und führt in ihrem Detailreichtum nicht zuletzt die Maschinerien und Arbeitsweisen des vorindustriellen Bergbaus anschaulich vor Augen.

Die „reiche Geduldflasche mit bergm. Szenen“ kam 1939 aus der Sammlung des Oberberghauptmanns Erich Winnacker (1889-1944) in das Museum und befindet sich heute in den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum (montan.dok 030032020000), das noch weitere Flaschen dieser Art besitzt (montan.dok 030005701001; 030000850000).

 

Was ist hier zu sehen? Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts im sächsischen Erzgebirge entstandene Flasche präsentiert sich wie ein Wimmel- und Suchbild zum Erzbergbau der damaligen Zeit: Auf vier Ebenen sehen wir in dichtem Nebeneinander Bergleuten bei ihren verschiedenen Tätigkeiten zu. Auf der obersten Ebene, gleich unter dem Holzpfropfen, sind Gebäude von Übertageanlagen sowie musizierende Bergleute und sogar ein Wünschelrutengänger zu erkennen. Auf der darunterliegenden befinden sich zwei große Wasserräder, die jeweils ein Pochwerk zur Zerkleinerung des geförderten Erzes und eine Maschinerie zur Wasserhaltung antreiben. Die beiden folgenden Ebenen bis hinunter zum Flaschenboden beschreiben dann die eigentliche Arbeit unter Tage: das Lösen von Gestein, die Zimmerung von Grubenausbauten und das Transportieren des Erzes. Auf beiden sieht man handbetriebene Haspel, die das abgebaute Gut in Kübeln bis hinauf zur Aufbereitung befördern. Die holzgeschnitzten Bergleute sind, wie bei allen anderen bergmännischen Geduldflaschen auch, in ihrer Festtags- und Galatracht dargestellt und tragen als Kopfbedeckung grüne Schachthüte. Auffällig ist, dass die Figuren unterschiedlich groß sind und einige von ihnen als „Säulen“ die darüber liegenden Stockwerke abstützen. Typisch für bergmännische Geduldflaschen ist die Verwendung von lokalen Erzen und Mineralien wie Bleiglanz und Quarz, die als Kulisse die Darstellung realistisch aufwerten. Weiterhin sind an einigen Stellen kleine Klebeschildchen mit Zahlen zu erkennen. Sie könnten auf verloren gegangene schriftliche Erläuterungen verweisen oder waren, was wahrscheinlicher ist, ein Hilfsmittel zur Bestimmung der Reihenfolge des Einbaus der Einzelteile, das dann am Objekt verblieb.

 

Das Einbringen und die Inszenierung von Schnitzereien in Flaschen ist alt. In Süddeutschland, in Berchtesgaden und in Oberammergau war die Darstellung religiöser Themen in gläsernen Flaschen, als Geduldflaschen oder „Eingerichte“ bezeichnet, seit dem 16. Jahrhundert weit verbreitet. Aber auch profane Themen wie etwa bewegliche Seiltänzer und andere Figuren aus Wachs waren beliebt. Somit war es naheliegend, auch die verborgene Welt unter Tage in ein Glas zu bringen. Bergmännische Geduldflaschen entstanden dabei im Umfeld des Erzbergbaus, wobei die ältesten im 18. Jahrhundert aus dem slowakischen Erzgebirge, aus Schemnitz (heute: Baňská Štiavnica) oder Kremnitz (heute: Kremnica) stammen. Weitere sind aus dem ungarischen Erzbergbau, dem sächsischen Erzgebirge, aus dem thüringischen Vogtland oder aus dem Harz überliefert, wobei ihre Herstellung bis weit in das 20. Jahrhundert belegt ist.

 

Wer hat diese Flaschen hergestellt? Dass es sich oft um Bergleute bzw. Personen mit Bergbauwissen handelt, kann als sicher gelten. Nur so ist der erstaunliche technische Detailreichtum zu erklären. Zu vermuten ist weiterhin, dass diese Arbeiten in der freien Zeit neben der eigentlichen Erwerbsarbeit ausgeführt wurden. Doch waren sie damit nicht unbedingt „Zeitvertreib“, denn man weiß, dass die Holzschnitzer Flaschen im Nebenerwerb hergestellt und verkauft haben. So sind besonders begabte Schnitzer aus dem Vogtland des 19. Jahrhunderts bis heute namentlich bekannt.

 

Die bergmännischen Geduldflaschen ermöglichen mit ihren Schnitzereien Einblicke in die meist verborgene Arbeitswelt der Bergleute unter Tage. Dabei sind sie nur eine Spielart einer höchst vielfältigen Darstellung und Visualisierung en miniature. So gibt es Kästen mit teilweise funktionsfähigen Bergwerken, so genannte Buckelbergwerke (montan.dok 030006304001), aber auch die zahlreichen bis heute von Bergleuten liebevoll in Heimarbeit hergestellten Modelle von Strebausbauten oder Abbaugeräten, die sich in vielen kleineren Bergbausammlungen finden. Der Einbau solcher Modelle in einen alltäglichen Gebrauchsgegenstand wie eine Flasche bedeutet dabei nicht nur einen Schutz vor Zerstörung, sondern hebt zugleich auch das Besondere und Kostbare dieser Einbauten hervor.

 

Den heute betrachtenden Personen fallen deshalb neben den dargestellten Szenen, Werkzeugen und Maschinerien vor allem die Kunstfertigkeit der Schnitzerei und besonders das Geschick beim Einbringen der Konstruktionen durch den engen Flaschenhals ins Auge. Geduldflaschen sind damit weniger Dokumente eines historischen Erzbergbaus, als vielmehr kuriose Objekte, die auf einmalige und besondere Weise die Neugier auf das Geschehen unter Tage wecken. Mehr noch: Mit der ihnen eigenen Verbindung von Schnitzerei und Mineralien, von Kunst und Natur, sind sie den so genannten Handsteinen aus dem 17. und 18. Jahrhundert ähnlich, die mit ungleich kostbareren Materialien wie Gold und Silber Szenen aus dem Bergbau mit originalen Erz- und Mineralienstufen kombinierten. Sie fanden als Sammlerstücke Eingang in die fürstlichen so genannten Kunstkammern und sind auch in den Musealen Sammlungen des montan.dok in einigen Stücken überliefert: Ein Beispiel hierfür ist ein Handstein mit Bergbaudarstellungen (montan.dok 030000865001) aus Schemnitz. Bergmännische Geduldflaschen lassen sich damit auch als die populären und gleichsam armen Verwandten dieser Kunstkammerstücke betrachten, denen sie allerdings im Erfindungsreichtum und im Geschick des Aufbaus in nichts nachstehen.

 

Die Musealen Sammlungen des montan.dok besitzen zahlreiche bergmännische Geduldfaschen und ihnen verwandte Objekte. Sie regen damit zu Betrachtung und Vergleich der dargestellten Szenen, ihres Aufbaus, der verwendeten Materialien sowie ihrer Herkunft an.

 

01. April 2022 (Dr. Stefan Siemer)

 


Literatur

Bach, Ulrike: Eingerichte. Der Herrgott in der Flasche, in: In Baden-Württemberg. Kultur, Leben, Natur 38/39, 1991, S. 34-37.

 

Fitz, Otto/Huber, Peter: Bergmännische Geduldflaschen. Inhalt und Verbreitung bergmännischer Eingerichte aus dem Gebiet der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie und aus deutschen Bergbaurevieren. Mit einem Bestandskatalog, Wien 1995.

 

Harlaß, Eberhard: Ein Vogtländer: letzter Hersteller sächsischer Flaschenbergwerke?, in: Vogtländische Heimatblätter. Unabhängige und überparteiliche Zeitschrift für Natur, Kultur und Heimatgeschichte 30, 2010, S. 14-16.

 

Slotta, Rainer u. a.: Bergwerke auf Glas. Kostbarkeiten (nicht nur) für Kaiser und Edelleute, Katalog zur Ausstellung im Deutschen Bergbau-Museum Bochum vom 09. November 2003 bis zum 08. August 2004, Bochum 2003, S. 503-505.

 

Szemán, Attila: Eine bergmännische Geduldflasche in der Sammlung für Keramik und Glas des Kunstgewerbemuseums Budapest, in: Ars decorativa, 1973, H. 20, S. 53-75. Unter: https://library.hungaricana.hu/en/view/ArsDecorativa_20_2001/?pg=0&layout=s (Stand: 24.11.2021).