Fund des Monats: Leihgaben wider Willen: Objekte des Deutschen Bergbau-Museums Bochum für eine Ausstellung in London 1946
Wenn das Metropolitan Museum of Art in New York in der Sonderausstellung „Making Marvels. Science & Splendor at the Courts of Europe” ein Objekt aus den Musealen Sammlungen des Deutschen Bergbau-Museums Bochum (DBM), die im Montanhistorischen Dokumentationszentrum (montan.dok) betreut werden, zeigt, ist das durchaus eine Nachricht wert. Weniger Freude über die Leihgabe von Objekten aus den Sammlungen des damaligen Bergbau-Museums Bochum herrschte hingegen 1946. Die Erwähnung dieses Vorgangs im Jahresbericht des Museums für das Jahr 1946 (montan.dok/BBA 112/2232) lässt den Unmut deutlich erkennen: „Leider mussten die wertvollsten Modelle auf Anordnung der Militärregierung für eine Ausstellung in England zur Verfügung gestellt werden. Sie fielen dadurch für die eigenen Ausstellungen für ein ganzes Jahr aus.“
Mehr als dieser Satz ist dem Jahresbericht über die Ausstellung nicht zu entnehmen. Im Tätigkeitsbericht des Museums für den Februar 1946 heißt es lediglich noch, dass es sich um eine Wanderausstellung handele (vgl. montan.dok/BBA 112/2232). Weitere Informationen finden sich aber in einer Akte über diese „England-Ausstellung“, die als Teil des Bestandes 112: Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Bochum, im Bergbau-Archiv Bochum verwahrt wird (vgl. auch im Folgenden montan.dok/BBA 112/1874). Aus der Akte geht hervor, welche Dinge für die Ausstellung in England ausgeliehen wurden bzw. vorgesehen waren: Vier Modelle, nämlich Zollverein XII, ortsveränderliche vollautomatische Doppelkammer-Blasversatzmaschine Automat der Firma Torkret GmbH (montan.dok 030001308000), ortsveränderliche Blasversatzmaschine nach dem Zellenradsystem der Firma Beien (montan.dok 030001307000) und Wasserhaltung durch Schöpfräder (montan.dok 030021027000), des Weiteren eine Beamtenlampe der Firma Dominit Dortmund und ein Stereobetrachtungsapparat mit 480 Stereo-Diapositiven. Zudem wurden Fotografien von den aktuell im Bergbau-Museum Bochum ausgestellten Objekten verlangt. Das im Museum zur Verfügung stehende Modell der Zeche Zollverein stellte sich allerdings als zu groß heraus und wurde durch ein anderes, das noch auf dem Gelände der Zeche Zollverein vorhanden war, ersetzt. Von den Stereo-Diapositiven wurden lediglich 200 ausgeliehen, die anderen 280 durften in Bochum bleiben. Von den von dem Fotografen Günther Karkoska erstellten Fotografien wurden schließlich 103 mit insgesamt 587 Abzügen übergeben. Neben den schon genannten Objekten findet sich ein Hinweis, dass noch eine weitere Lampe, ein Bergeisen und ein Fäustel für London bereitgestellt werden mussten, die offenkundig nicht mehr nach Bochum zurückkehrten.
Zu den einzelnen Objekten und Fotografien sollten außerdem Beschreibungen in englischer Sprache verfasst werden. Bei den Blasversatz-Modellen mussten auch die Zechen, auf denen diese zum Einsatz kamen, ermittelt werden. Für die für den Transport nötige Verpackung war das Museum angehalten, mit den in der Umgebung liegenden Zechen zusammenzuarbeiten.
Die Anweisungen bezüglich der Leihgaben und der anderen Arbeiten für die Ausstellung kamen, wie im Jahresbericht 1946 erwähnt, von der Militärregierung. Genauer gesagt von der North German Coal Control (NGCC) vertreten durch R. J. Cunliffe. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges und Übernahme der Verwaltung des Ruhrgebietes von britischer Seite wurde der Ruhrbergbau durch die NGCC kontrolliert. Die Westfälsche Berggewerkschaftskasse (WBK), zu der das Bergbau-Museum Bochum gehörte, war der NGCC ebenfalls unterstellt. Cunliffe war von Anfang an zuständig für die WBK und ihre einzelnen Abteilungen. Eine gute Zusammenarbeit bezüglich der Ausstellung mit ihm lag dementsprechend im eigenen Interesse des Museums.
Nirgendwo in der Akte wird Genaueres über die Ausstellung in England, geschweige denn welche Rolle die Leihgaben des Bergbau-Museums Bochum hier spielten, erwähnt. Nur ein Schreiben vom 12. November 1946, das den damaligen Museumsdirektor Dr.-Ing. Heinrich Winkelmann davon unterrichtet, dass die Leihgaben innerhalb der nächsten Woche zurückgegeben werden, bezeichnet die Ausstellung genauer. In der Betreffzeile des Briefes heißt es: „Return of exhibits loaned to C.C.G. Exhibition“. Das ist der entscheidende Hinweis. Die Abkürzung „CCG“ steht für „Control Commission for Germany“, die Militärregierung der britischen Besatzungszone im besetzten Deutschland zwischen 1945 und 1949. Tatsächlich wurde am 07. Juni 1946 die Ausstellung „Germany under Control“ in London eröffnet. Das Ziel war, die britische Bevölkerung über die Probleme und Aufgaben der Control Comission for Germany in der Besatzungszone aufzuklären und letztlich von der Notwendigkeit des dortigen Einsatzes trotz der enormen Kosten für den Steuerzahler zu überzeugen.
Die Objekte kamen zwar, wie im November angekündigt, zurück, aber eine auf den 13. Dezember 1946 datierte Schadensliste zeigt, dass die Dinge doch nicht so pfleglich behandelt worden waren, wie Cunliffe es dem besorgten Museumsdirektor zugesichert hatte. Geschätzt 415 Arbeitsstunden würde die Instandsetzung der Modelle, des Stereobetrachtungsapparates sowie der Stereo-Diapositive in Anspruch nehmen.
Nicht verwunderlich, dass sich die Begeisterung über den Beitrag zu der Ausstellung vonseiten des Museums in Grenzen hielt. Der Arbeitsaufwand war nicht gering gewesen und der Schaden an den Leihgaben ärgerlich. Auf den ersten Blick handelt es sich nur um wenige Leihgaben, aber für die bescheidene Ausstellung in der sogenannten Ehrenhalle, die das Bergbau-Museum Bochum mit viel Mühe nach dem Krieg wieder auf die Beine gestellt hatte, war jedes gut erhaltende Stück von Bedeutung. Die genannten Äußerungen im Jahresbericht von 1946 sind daher umso verständlicher.
Es sollte noch bis Anfang der 1950er-Jahre dauern, bis das Bergbau-Museum Bochum wieder in der Lage war, regelmäßig einen Beitrag zu fremden Ausstellungen durch „Beratung, Mitarbeit und Ausleihung von Gegenständen“ (montan.dok BBA 112/2232), wie es am Ende der jeweiligen Jahresberichte formuliert wird, zu leisten. Mit der Instandsetzung der eigenen, durch den Krieg beschädigten Gebäude und vor allem der Musealen Sammlungen, die durch zahlreiche Schenkungen immer weiterwuchsen, stand dem nichts mehr im Wege. Neben der Unterstützung solcher externen Ausstellungen konnte auch mehr und mehr in eigene Sonderausstellungen investiert werden, auch darüber haben sich einige Unterlagen im Bestand 112 erhalten, der im Rahmen des Projektes „montan.dok 21“ für die weitere Erforschung archivisch aufgearbeitet wird.
02. Januar 2020 (Dr. Maria Schäpers)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 030001307000, 030001308000 und 030021027000
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv (BBA) 112/1874 und 112/2234
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