Das Spiel mit Hintergedanken
Mit der Wirkung des Spielens hat sich bereits der römische Philosoph Seneca (geb. zwischen 4 v. Chr. und 1 n. Chr.; gest. 65 n. Chr.) beschäftigt und kam zu dem Schluss: „Auch Spiele können nützlich sein, denn recht bemessene Unterhaltung entspannt und besänftigt“ (Der Zorn, S. 185). Das in einem ausgewogenen Maße betriebene Spiel trägt also zu einem Leben in stoischer Ruhe bei, wie es in dieser philosophischen Schule als Ideal gilt.
So hoch ist der Anspruch der auf dem Prinzip von „Mensch ärgere dich nicht“ beruhenden drei Würfelspiele aus der Objektsammlung des Deutschen Bergbau-Museums Bochum sicherlich nicht. Dennoch wurden sie mit einem Hintergedanken entwickelt. Sie sollen in einem ganz konkreten Sinn nützlich sein, indem Wissen vermittelt wird, das normalerweise als „trockener Stoff“ gilt oder aus anderen Gründen nur widerwillig verinnerlicht wird.
Die Kombination eines bewährten Spielprinzips mit der Vermittlung von Faktenwissen ist den drei Brettspielen gemein. Die Figuren werden je nach Würfelergebnis auf dem Spielfeld vorgezogen und es gewinnt, wer das Ziel zuerst erreicht. Bestimmte Felder erlauben ein Vorrücken oder aber verdonnern den Spieler zum Aussetzen.
Unfallverhütungsbild-Würfelspiel
Der didaktische Hintergedanke beim Würfelspiel aus den 1930er-Jahren der Knappschafts-Berufsgenossenschaft Sektion 2 aus Bochum liegt auf der Hand. Jedes Feld enthält einen Hinweis zur Sicherheit unter Tage und wird durch ein Bild illustriert. Wichtige Gefahrensituationen wie Stein- und Kohlenfall, Schießarbeit, Schlagwetter und Unfälle bei der Förderung und Fahrung werden dabei abgedeckt.
Wer auf dem fünften Feld stehen bleibt, muss wegen „Lärmens“ eine Runde aussetzen, weil bei der Seilfahrt „Ruhe und Ordnung“ einzuhalten sind. Zu den wenigen Möglichkeiten, einige Felder vorrücken zu können, zählt der gut eingebrachte vorläufige Grubenausbau auf dem zwanzigsten Feld. Wer bei rotem Signallicht in die Grubenbahn steigt, wird dagegen um einige Felder zurückgeschickt. Kurz vor dem Ziel droht noch die fristlose Kündigung (das Ausscheiden) wegen Rauchens in der Grube.
Motivationssteigernd wirkt sicherlich die Kasse, die am Anfang von den Mitspielern gefüllt werden muss und dem Gewinner winkt. Dennoch ist fraglich, ob das Spiel einen festen Platz in der Feierabendgestaltung der Bergleute gewinnen konnte.
Bei vielen Sicherheitshinweisen ist der erhobene Zeigefinger kaum zu übersehen, und um Geld kann man natürlich auch auf andere Weise spielen. Zudem unterstellen zahlreiche Sprüche den Bergleuten eine gewisse Tendenz zu leichtsinnigem oder vorschriftswidrigem Verhalten, wie auf den Feldern „Ei verflucht! Das Telefon ist mutwillig beschädigt!“, „Wegen verbotswidrigen Fahrens im Stapel 2 M. Strafe!“ oder „Wo ist die rote Schlusslampe? [der Grubenbahn] Du schädigst Mitarbeiter und Zeche“, deutlich wird.
Jagd auf Kohlenklau
Auf große Resonanz traf dagegen das zur Weihnachtszeit des Jahres 1942 verteilte Spiel „Jagd auf Kohlenklau“. Die bereitwillige Aufnahme bei Kindern in deutschen Haushalten wurde noch durch den Umstand verstärkt, dass es zu dieser Zeit keine Gesellschaftsspiele zu kaufen gab. Es war Teil einer vom „Reichsausschuss für Volkswirtschaftliche Aufklärung“ (RVA) durchgeführten Propaganda-Aktion zur Drosselung des Energieverbrauchs.
Der „Kohlenklau“ wird in den Spielregeln als Bösewicht bezeichnet, der dem deutschen Volk schaden will, indem er den Haushalten Kohle entwendet und so auch der Rüstungsindustrie schadet. Die Felder sind abwechselnd mit roten und schwarzen Zeichnungen versehen. Rote Felder bedeuten, dass der Bösewicht mit seinem Vorhaben durchgekommen ist und schwarze stehen für erfolgreiche Maßnahmen gegen die Energieverschwendung. Aussetzen muss man beispielsweise, wenn der Rundfunkapparat im Betrieb ist, obwohl niemand zuhört. Vorrücken ist erlaubt, wenn überflüssige Birnen aus der Deckenbeleuchtung gedreht werden.
In einer Vorlage an Joseph Goebbels wurde zur „Jagd auf Kohlenklau“ zwar die große Beliebtheit des Spiels unter Kindern hervorgehoben, aber auch nicht verschwiegen, dass es häufig zu einem Verhalten führte, welches nicht im Sinne des Erfinders war. Die Kinder begeisterten sich derart für das Spiel, dass sie es weiterspannen. Dabei knipste ein Kind, gewissermaßen als Kohlenklau, das Licht an, damit es von einem anderen kurz darauf wieder gelöscht werden konnte.
Für die junge Zielgruppe ging der Spagat zwischen Spielspaß und Lerneffekt also eher zu Lasten des letzteren. Entgegen der eigentlichen Intention der Herausgeber gefiel den Kindern die Spielidee sogar so gut, dass sie durch die erweiterte „Jagd auf Kohlenklau“ wahrscheinlich mehr Strom verbrauchten als vorher.
Großgerätetransport
Der Transport eines Großbaggers, eines Absetzers und eines Bandschleifwagens im Jahr 1986 vom Tagebau Fortuna zum Tagebau Hambach bildet den Hintergrund für das dritte Würfelspiel. Die Rheinische Braunkohlenwerke AG stand vor der Aufgabe, die im Tagebau Fortuna freiwerdenden Großgeräte über eine 13 km lange Trasse mit vielen Hindernissen wie der Autobahn A 61, der Bundesstraße B 55, vier Landstraßen, zwei Bundesbahnlinien, sechs Flüssen und einigem mehr zu transportieren.
Neben Informationen zum Ablauf des Transports und Steckbriefen zu den Großgeräten bietet der Prospekt einen Spielplan mit dem Tagebau Fortuna als Startpunkt und dem Tagebau Hambach als Ziel. Vorrücken kann man bei gutem Wetter oder bei einem Verbesserungsvorschlag, der den Transport beschleunigt. Zum Aussetzen zwingen neugierige Zuschauer, die den Sicherheitsabstand missachten. Auch Reporter können durch Interviews mit dem Gerätepersonal den Transport ins Stocken bringen. Spezielle Aktionskarten verpflichten zum Kauf eines Lutschers für alle Mitspielenden oder das Singen des Steigerliedes.
Das Spiel verdeutlicht die Schwierigkeiten des Transports durch eine Vielzahl von Feldern und Ereigniskarten, die das Eintreffen im Tagebau Hambach verzögern. Die verschiedenen Aufgaben, von denen das Ausziehen der Schuhe noch die einfachste ist, lockern den Spielablauf auf. Der Hintergedanke ist zum einen die Information der Bevölkerung über die Umstände des Großtransports, zum anderen geht es sicherlich darum, das Vorhaben in einem positiven Licht darzustellen und die Bevölkerung dafür zu gewinnen.
Der Spielplan für das „Unfallbild-Verhütungsspiel“ stammt aus dem Verwaltungsschriftgut des DBM (montan.dok/BBA 112) und der „Großgerätetransport“ aus der „Sammlung Firmenprospekte“ (montan.dok/BBA FP). Beide Archivbestände werden im Rahmen des Projekts „montan.dok 21“ erschlossen und zukünftig für die Objektforschung zur Verfügung stehen. Die „Jagd auf Kohlenklau“ ist Teil der Musealen Sammlungen des Deutschen Bergbau-Museums Bochum.
01. Oktober 2019 (Jens Brokfeld, M.A.)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 030006471001
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 112/1757 und FP 1007/3
Seneca, Lucius Annaeus: De Ira/Der Zorn, in: Fink, Gerhard (Hrsg. und Übers.): Seneca. Schriften zur Ethik. Die kleinen Dialoge, Düsseldorf 2008.
Reith, Reinhold: Kohle, Strom und Propaganda im Nationalsozialismus: Die Aktion „Kohlenklau“, in: Horstmann, Theo/Weber, Regina (Hrsg.): „Hier wirkt Elektrizität“. Werbung für Strom 1890 bis 2010, Essen 2010, S. 143-159.