Die Liste als Schlüssel zur Erinnerung
1. Praktische Erinnerungshelfer
Ein Beispiel für praktische Listen im Deutschen Bergbau-Museum Bochum sind die chronologisch geführten Eingangsbücher für Museumsobjekte oder Zugänge für Bergbau-Archiv Bochum und Bibliothek. Hier werden grundlegende Daten wie Datum, Gegenstand, Maße, Gewicht, Art des Erwerbs, Verkäufer und ähnliches verzeichnet. Sie werden seit den Anfangstagen des Museums geführt und dienen einerseits der Dokumentation, um Rechenschaft über Zukäufe und Schenkungen geben zu können. Andererseits werden historische Eingangsbücher auch herangezogen, um Informationen wie die Herkunft eines Objekts im Nachhinein zu prüfen. Heute werden diese Listen in elektronischer Form fortgeführt.
Die Eingangsbücher sind praktische Listen. Sie dienen als unkomplizierte Erinnerungshilfe zur Erfüllung der Aufgaben eines Museums. Man kann sich auf diese Aufzeichnungen als Beleg berufen, wenn Rückfragen zu einem in der Vergangenheit erworbenen Objekt gestellt werden. Wenn kein Versehen vorliegt, lassen sie sich auf reale Objekte und Personen beziehen. Mit anderen Worten: Die Angaben lassen sich in der Regel überprüfen, indem man ausfindig macht, auf wen oder was sie sich beziehen.
2. Literarische Listen
Die literarische Aufzählung entspringt dagegen als Produkt der Fantasie der inneren Welt eines Autors. Sie hat keinen konkreten Nutzen wie die praktische Liste, sondern wird als rhetorisches Stilmittel eingesetzt. Eine lange Liste kann den Eindruck einer scheinbar ins Unendliche erweiterbaren Aufzählung hervorrufen oder bestimmte Ordnungskriterien hervorheben. Manchmal dient sie auch einfach dem Spiel mit verschiedenen Aspekten der Bedeutung der aufgezählten Wörter oder ihrem Klang.
Ein anschauliches Beispiel für eine literarische Liste aus einer mit fantastischen Elementen durchsetzten Welt unter Tage findet sich im Roman „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ von Jules Verne. Hier wird die abenteuerliche Expedition des exzentrischen Geologen und Mineralogen Professor Lidenbrock aus der Perspektive seines Neffen und Reisegefährten Axel erzählt. Tief im Innern des Planeten treffen sie auf eine Art Urzeitfriedhof, der das Herz jedes Fossiliensammlers höherschlagen lassen würde:
Ich war sprachlos. Mein Onkel hatte seine langen Arme zum Gewölbe empor geworfen, das uns als Himmel diente. Sein weit geöffneter Mund, seine Augen, die hinter den Gläsern seiner Brille funkelten, sein Kopf, der auf und ab, nach links und rechts wackelte, seine ganze Haltung verriet ein grenzenloses Staunen. Stand er doch vor einer unermesslichen Ansammlung von Leptotherien, Mericotherien, Lophiodons, Anoplotherien, Megatherien, Astodons, Protopitheken, Pterodactylen – einer ganzen Reihe von Ungeheuern, die scheinbar nur angehäuft worden waren, um ihm eine Freude zu bereiten. Man stelle sich einen passionierten Büchernarren vor, der plötzlich in die berühmte Bibliothek von Alexandria versetzt wird, die von Omar verbrannt worden war und durch ein Wunder aus ihrer Asche wiederaufersteht! So erging es meinem Onkel, dem Professor Lidenbrock. (Jules Verne: Reise zum Mittelpunkt der Erde, S. 254)
Die wenigsten Leserinnen und Leser werden die Namen der Aufzählung korrekt einordnen können, wenn auch die Fachausdrücke den Eindruck von Wissenschaftlichkeit hervorrufen und Jules Verne auf einen breiten Fundus von geologischen Fakten und paläontologischer Forschung zurückgriff. Vielmehr nehmen diese „Monster“ ganz wie in Axels Tagtraum aus einem vorhergehenden Kapitel, wo die genannten Urzeittiere zum Leben erweckt werden, in ihrer Fantasie Gestalt an. Der Eindruck der schieren Masse von Überresten auf die Betrachter wird mit der Bibliothek von Alexandria verglichen, deren Regalreihen mit kostbaren Büchern in das Reich der Literatur entführen können, wie die Fossilien in die Welt der Paläontologie.
3. Irgendwo dazwischen
Nicht immer lassen sich die beiden Arten von Listen so deutlich unterscheiden. Manchmal hängt es von der Leserin oder dem Leser ab, wie eine Aufzählung zu verstehen ist.
So kann ein Prospekt für Grubenlampen für den leidenschaftlichen Sammler dieser Objekte ein literarischer Genuss sein. Jedes zusätzliche Detail, das er über die verschiedenen Entwicklungsstufen, Ausführungen, Produktnamen, technischen Eigenschaften und ähnliches herausfinden kann, erhöht seinen Lesegenuss. In diesem Fall steht nicht mehr der praktische Nutzen des Prospekts im Vordergrund, sondern der Leser mit einer Schwäche für Bergbauobjekte erfreut sich schlechthin an der Vielgestaltigkeit und Ausführlichkeit der Darstellung. Hinzu kommt vielleicht der Wunsch, die Liste der persönlichen Sammlung durch ein besonderes Stück zu ergänzen.
Ebenfalls eine literarische Komponente besitzen Listen, die Erinnerungen aus der eigenen Lebensgeschichte wachrufen. Einige Beispiele für solche Liste lassen sich in kleineren Bergbaumuseen finden. Neben der Verzeichnung der Bergbauobjekte etwa nach Objektname, Hersteller, Datierung, Maßen, Gewicht oder Material spielt in dieser Hinsicht die Objektgeschichte eine entscheidende Rolle. Persönliche Erinnerungen, die sich mit den Gegenständen verbinden, finden hier ihren Platz. Damit ist dieser Katalog nicht mehr rein praktischer Natur, sondern vermittelt neben den Metadaten zur genauen Beschreibung des Objekts auch eine Geschichte, die als autobiographische Literatur verstanden werden kann.
Unter den 91 Museen und Vereinen mit bergbaulichen Sammlungen, die auf www.bergbau-sammlungen.de vorgestellt werden, befinden sich viele kleinere Einrichtungen in privater Trägerschaft. Deren Sammlungsprofil unterscheidet sich oft deutlich von öffentlichen Institutionen wie dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum. Die Einbettung der Exponate in den historischen Kontext des Steinkohlenbergbaus, wie sie in den größeren Häusern praktiziert wird, tritt hier zugunsten einer Ausstellungspraxis zurück, die den Schwerpunkt auf persönliche Erinnerungen legt. Das einzelne Objekt kann dabei zwar in vielen Fällen nicht auf eine bestimmte Person bezogen werden, sondern steht stellvertretend für individuelle und kollektive Erinnerungen aus der Arbeitswelt des Bergbaus. So ruft etwa ein bestimmter Typ eines Abbauhammers die Erfahrungen mit dem „eigenen“ Gerät ins Gedächtnis.
Die Inventarliste eines solchen Museums stellt nichtsdestoweniger die Summe der mit dem materiellen Erbe verbundenen Erinnerungen der Zeitzeugen dar. In vielen Sammlungen existiert sie bislang allerdings hauptsächlich in den Köpfen der Vereinsmitglieder und wird mündlich weitergegeben. Nach dem Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ wurde am 15. Juni 2018 im Rahmen des Projektes „montan.dok 21“ der Workshop „Bergbau bewahren“ für Vereine mit bergbaulichen Sammlungen veranstaltet. Auf dem Programm stand die Vermittlung grundlegender Techniken der Inventarisierung und Dokumentation von Objekten des Steinkohlenbergbaus. Nicht zuletzt die Liste als Schlüssel zur Erinnerung und Hilfsmittel zum Erhalt des Bergbauerbes spielte dabei eine wichtige Rolle.
02. Januar 2019 (Jens Brokfeld, M.A.)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv (BBA) 112/6212
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv (BBA) FP 828/1
Eco, Umberto: Die unendliche Liste, München 2009.
Siemer, Stefan: Taubenuhr und Abbauhammer. Erinnerungsobjekte in Bergbausammlungen des Ruhrgebiets, in: Eser, Thomas/Farrenkopf, Michael u. a. (Hrsg.): Dimensionen des Authentischen im Museum. Ein Werkstatt-Bericht, Mainz 2017, S. 33-44.
Verne, Jules: Reise zum Mittelpunkt der Erde, Düsseldorf/Zürich 2005.