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Die Kumpel-Prise

Zwei Bergleute machen eine Pause, hocken sich zwischen Grubenstempeln in eine Ecke und genehmigen sich eine Prise Schnupftabak. Dieses Motiv auf einer Schnupftabakflasche der Firma Pöschl zeigt eine im Bergbau geläufige Szene. Wegen der Gefahr von Grubengasexplosionen ist das Rauchen unter Tage streng verboten. Bei den Prisen handelt es sich um rauchlose Tabakprodukte, die in Pulverform von dem Handrücken in die Nase gezogen werden.

Die Seitenflächen der Porzellanflasche sind mit dem Bergbauemblem Schlägel und Eisen verziert. Die Unterseite weist den Namen des Schnupftabaks auf: „Gletscherprise-Snuff“. Der Hersteller dieses Tabaks ist Pöschl aus Landshut in Bayern. Nach eigenen Angaben hält die Firma im Jahr 2017 einen Marktanteil von 96 % der Schnupftabakproduktion in Deutschland. Letztere beträgt insgesamt 115.000 kg pro Jahr. Die Marke „Gletscherprise“ ist der Marktführer in Deutschland. Die Schnupftabakflasche gelangte im Jahr 2013 durch eine Schenkung in die Musealen Sammlungen des Deutschen Bergbau-Museums Bochum.

 

Schnupftabak ist seit etwa 400 Jahren in Europa bekannt, und die Bezeichnung der „Gletscherprise“ als Snuff bezieht sich auf eine ursprünglich in England entwickelte Variante des Tabakpulvers. Jörg Pannier notiert in „Schnupftabak für Genießer“ (S. 101), dass helle Tabaksorten aus den USA und Afrika die Grundlage des Snuffs bilden. Weiter bestehe eine Mischung aus zehn bis zwanzig Sorten. Im Gegensatz zu ihrem Ursprungsland versehe man in Deutschland hergestellte Snuffs immer mit Menthol.

 

Der Austausch eines Tabakprodukts durch das andere wegen der Explosionsgefahr im Bergbau ist eine überzeugende Erklärung für den Erfolg des Schnupftabaks in diesem Wirtschaftszweig. So wird die Prise in Deutschland auch eher dem Arbeitermilieu oder etwas abgelegenen bayerischen Gefilden zugeordnet, in denen sich die Tradition von landestypischen Mischungen wie dem Schmalzler und Schnupftabakflaschen aus Steingut mit folkloristischen Motiven bis heute halten konnte. Die Prise war lange Zeit allerdings nicht nur eine Sache der Bergleute, sondern beispielsweise in Frankreich auch in aristokratischen Kreisen verbreitet.  

 

Den Anfang machte Jean Nicot, der spätere Namensgeber des im Tabak enthaltenen Nikotin und der Tabakpflanzengattung Nicotiana. Er führte den Tabak im Jahr 1561 am französischen Hof ein. Der Arzt und Gesandte am portugiesischen Hof war überzeugt von der medizinischen Wirkung der Pflanze und empfahl sie zur Behandlung etwa von Krebs, Gicht oder Kopfschmerzen. Die französische Königin Katharina von Medici soll auf Nicots Rat hin den Tabak zur Behandlung von Kopfschmerzen pulverisiert und geschnupft haben. Seitdem wurde es auch als poudre de la reine, das Pulver der Königin, bezeichnet und verbreitete sich am französischen Hof.

 

Auch in England freundete man sich nach anfänglicher Ablehnung mit dem Konsum von Schnupftabak an – und das nicht nur unter Bergleuten. Im Vergleich zum Rauchtabak ist bemerkenswert, dass zwischen 1721 und 1820 in England der Handel mit Schnupftabak 90 % des Gesamtumsatzes mit Tabakprodukten ausmachte.

 

Wie kommt der Schnupftabak in die Musealen Sammlungen des Deutschen Bergbau-Museums Bochum?

 

In den Museumsakten findet sich auch ein Briefwechsel mit dem Schnupftabakproduzenten Pöschl, der exemplarisch die Verbindung von Prise und Bergbau aufzeigt. Im Juli 1980 schickte die Firma zum 50-jährigen Bestehen des Deutschen Bergbau-Museums Bochum einiges Schnupftabakzubehör. Das „Jubiläumspräsent“, bestehend aus vier Schnupftabakflaschen, wurde mit der Anregung verbunden, dass man von Museumsseite einmal auf die Bedeutung des Schnupftabaks für die Bergleute hinweisen könnte.

 

In seinem Antwortschreiben bedankte sich Dr. Werner Kroker (damaliger Aufgabenbereich: Öffentlichkeitsarbeit und Bergbaugeschichte) für die freundliche Geste. Zudem fühlte er sich durch das Geschenk darin bestärkt, „in Zukunft bei der stärkeren Betonung sozialgeschichtlicher Zusammenhänge auf die Bedeutung des Schnupftabaks für den Bergmann anhand von Originalgegenständen hinzuweisen“.

 

Woran wird Werner Kroker bei den sozialgeschichtlichen Zusammenhängen konkret gedacht haben?

 

Der Prise wird für die Arbeitsbeziehungen unter Tage eine ähnliche soziale Funktion nachgesagt wie dem gemeinsamen Zigarettenrauchen. Es stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bergleute. Eine Prise von einem Vorgesetzten angeboten zu bekommen, mag darüber hinaus als besondere Wertschätzung empfunden werden und die strengen Hierarchien im Betrieb etwas aufweichen.

 

Ein weiteres Schreiben vom 10. Oktober 1980 von der Firma Pöschl ging mit einem Werbeprospekt als Anlage im Deutschen Bergbau-Museum Bochum ein. Das Werbeversprechen lautete, dass der Schnupftabak „als idealer Filter in der Nase vorbeugend gegen die Staublunge“ wirken solle. Dieses Versprechen darf allerdings in Zweifel gezogen werden. Der Rückgang der gemeldeten und erstmals entschädigten Silikosefälle bis zur ersten Hälfte der 1970er Jahre auf nur noch knapp ein Zehntel dürfte eher den umfangreichen Maßnahmen zur Staubbekämpfung und zum Staubschutz in den Bergwerken zu verdanken gewesen sein.

 

Heute wirbt Pöschl mit der Aussage, der Schnupftabak rege die Sekretion der Nase an und dadurch würden die Schleimhäute feucht gehalten, was die Aufnahme von Kohlen- oder Steinstaub minimiere. Ohne medizinische Expertise fällt ein Urteil in diesem Punkt schwer. Unzweifelhaft ist derweil, dass der regelmäßige Konsum eines Produkts mit dem Warnhinweis „Dieses Tabakprodukt schädigt ihre Gesundheit und macht süchtig.“ nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte.

 

Der Briefwechsel mit dem Schnupftabakhersteller befindet sich in den Verwaltungsakten des Deutschen Bergbau-Museums Bochum und wird im Zuge des Projektes „montan.dok 21“ archivisch aufbereitet. Die unter dem Namen „Bestand 112: Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Bochum“ beim montan.dok/Bergbau-Archiv Bochum geführten Akten stellen eine Fundgrube für sozialgeschichtliche Themen rund um das Museum und den Bergbau dar.

 

02.04.2018 (BRO)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) am Deutschen Bergbau-Museum Bochum 030007360001

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) am Deutschen Bergbau-Museum Bochum 04000982300

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv (BBA) 112/894

 

Pannier, Jörg: Schnupftabak für Genießer. Alles rund um Schmalzler, Snuff & Co., Münster 2011.

 

Pöschl Tabak GmbH & Co. KG (Hrsg.): Schnupftabak-Lexikon. Eigenverlag der Pöschl Tabak GmbH & Co. KG, Geisenhausen bei Landshut 2017. URL: https://www.poeschl-tobacco.com/wp-content/uploads/ST_Lexikon_2017.pdf