Gesucht und nicht gefunden – Heinrich Moshages Barbara-Plastiken im Auftrag des Deutschen Bergbau-Museums Bochum
Wann und wie sich der Museumsdirektor und der Künstler kennenlernten, ist nicht belegt. In den schriftlichen Überlieferungen, die im Montanhistorischen Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum (DBM) verwahrt werden, ist lediglich nachzuvollziehen, dass sie ab dem Frühjahr 1952 regelmäßig miteinander korrespondierten. Inhaltlich ging es dabei um Entwürfe für eine Barbara-Plastik. Moshage hatte die Heilige Barbara schon lange vor seiner Bekanntschaft mit Winkelmann in sein Bildprogramm aufgenommen. In Bergbaukreisen besonders bekannt sind seine Eisengussplastiken, die er über die Kunstgießerei Lauchhammer und später über die Buderus'schen Eisenwerke in Wetzlar gießen ließ. Diese Komposition – eine schlanke Frau in langem Gewand und Umhang, wahlweise mit oder ohne Nimbus, in jedem Fall aber mit geöffneten Armen und segnenden Händen – hielt der Museumsdirektor grundsätzlich für eine „gute Plastik und eine hübsche Komposition“. Für sein Empfinden, so äußerte er sich in den 1950er-Jahren verschiedentlich, handele es sich dabei aber um „alles andere als eine Barbara, weil sie keine Attribute“ habe (montan.dok/BBA 112/799). Außerdem störte er sich an dem Schlägel- und Eisen-Symbol, der Grubenlampe sowie der Inschrift und vermisste die „sakrale und königliche Haltung“ (montan.dok/BBA 112/976). Damit traf Moshage noch ein vergleichsweise harmloses Urteil. Hanna Cauers oder Helene Leven-Intzes Interpretationen einer Barbara – die sich ebenfalls in den Musealen Sammlungen befinden – wirkten seines Erachtens „flach“ (montan.dok/BBA 112/799). In anderen Fällen erschien ihm das „Gesicht etwas bäurisch“ (montan.dok/BBA 112/796) oder die Werke ganz generell „zu groß, zu schlecht in der Fassung und zu schlecht in der Komposition“ (montan.dok/BBA 112/798).
Ein strenges wie normierendes Werturteil in Sachen Kunst war charakteristisch für Winkelmann. Der promovierte Bergingenieur hatte mit seinem Amt als Museumsdirektor sein Faible für die bildende Kunst mit Bergbaubezug entdeckt und sich im Laufe der Jahre den Ruf eines Experten auf diesem Gebiet erarbeitet. Mitte der 1930er-Jahre hatte er zudem mit dem Aufbau einer Belegsammlung rund um die Heilige Barbara begonnen. Diese war damals im Ruhrgebiet keineswegs so selbstverständlich als Schutzheilige der Bergleute bekannt und akzeptiert, wie dies heute der Fall ist. Das änderte sich erst in den 1950er-Jahren, als die von Zugewanderten aus (Ober-)Schlesien mitgebrachte Barbaraverehrung von Kulturpolitikern des Bergbaus aufgriffen wurde. Mit der Begründung bergmännischer Traditionen versuchte man, das Gemeinschaftsgefühl unter Bergleuten zu stärken, um so der Belegschaftsfluktuation auf den Zechen entgegenzuwirken. Barbarafeiern, -lieder, -theaterstücke, Straßen- und Gebäudebenennungen, Motive auf Urkunden und Bergbaugepräge zeugen von der Popularisierung der katholischen Heiligen, die in dieser Zeit zu einer „ökumenischen Schutzpatronin einer Branche“ stilisiert wurde (Kift, „Die Bergmannsheilige schlechthin“, S. 261).
Es ist folglich kein Zufall, dass sich in den schriftlichen Überlieferungen des DBM die Auseinandersetzung mit der Heiligen Barbara gerade in den 1950er-Jahren verdichtet. In dieser Zeit häufen sich die Anfragen an den Museumsdirektor, sein Werturteil zu Plastiken abzugeben oder bei der Beschaffung von Kunstobjekten behilflich zu sein. Es muss einen regelrechten Wettlauf gegeben haben, der auch seltsame Blüten trieb. So berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Sommer 1956 darüber, dass in Hessen und Franken Madonnen-Figuren aus über 30 Kirchen und Museen entwendet und teilweise zu Barbara-Figuren umgestaltet worden seien, weil diese von Bergwerken für untertägige Kapellen gebraucht worden wären (vgl. montan.dok/BBA 112/801).
Auch Winkelmanns Kooperationen mit Künstler:innen stehen im Kontext der erhöhten Nachfrage. Dabei nutzte der Museumsdirektor sein Amt, um über Auftragswerke und deren Vertrieb sein normatives Kunstverständnis durchzusetzen. Zu den Gewinnern in diesem Diskurs gehörte Heinrich Moshage. Im März 1952 hatte er an das Bergbau-Museum eine Bronzeplastik übergeben, die – im Gegensatz zu den oben erwähnten Eisenkunstgüssen – mit dem dreifenstrigen Turm auch das von Winkelmann geforderte Attribut aufwies. Der in Düsseldorf ansässige Moshage wählte für seine Komposition erneut eine schlanke, noch junge Frau in einem knöchellangen, schlichten Kleid. Über die linke Schulter und die rechte Armbeuge ist dieses Mal aber ein Umhang gelegt, dessen Enden mit der linken Hand zusammenrafft werden. Das mit einem diademartigen Kopfschmuck verzierte Haupt ist leicht geneigt, sodass der Blick auf die rechte Hand fällt, die die Heilige zum Segen erhoben hat.
Die segnende Hand überzeugte Winkelmann zwar nicht in Gänze. Dennoch belegen der Schriftwechsel und die Lieferscheine, dass er den Künstler dabei unterstützte, seine bei Gustav Schmäke in Düsseldorf gegossenen Plastiken an Interessierte zu vermitteln oder diese über Geschenkegaben in Umlauf zu bringen. Zwar verfügt die Kunstgießerei über keine schriftlichen Überlieferungen mehr, doch hat die Urenkelin Gustav Schmäkes aus Erzählungen ihres Vaters in Erfahrung bringen können, dass zwischen 100 und 200 Skulpturen gegossen worden seien. Auch die Westfälische Berggewerkschaftskasse, die Vorgängergesellschaft der heutigen DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung mbH (DMT-LB) und Trägergesellschaft des DBM, hatte im September 1952 ein Exemplar erhalten. Umso kurioser mutet es an, dass man in den Musealen Sammlungen vergeblich nach dieser Moshage-Barbara sucht. Zeugnis von ihrer Existenz liefert lediglich eine Karteikarte, die den käuflichen Erwerb der etwa 46 cm hohen und 7,3 kg schweren Bronzeplastik im Juli 1953 festhält. Umseitig verweist eine maschinenschriftliche Notiz darauf, dass die Plastik „für besondere Zwecke des öfteren [sic!] benötigt“ und deshalb 1963 aus den Sammlungen „entfernt“ worden sei. Ein handschriftlicher Vermerk aus dem Jahr 1980 gibt außerdem Aufschluss darüber, dass die Skulptur 1972 abgegeben worden war (vgl. Karteikarte zu 033302967000). Wer sich warum für die Veräußerung von Sammlungsgut entschieden hatte und an wen die Plastik ging, bleibt offen.
Ein Gutachten von Günther Schiedlausky (1907–2003), Kunsthistoriker und Berater Winkelmanns, gibt Hinweise auf eine zweite Barbara, die ebenfalls für das Bergbau-Museum angefertigt worden sein soll (vgl. montan.dok/BBA 112/5650). In dieser Version trägt die Heilige erneut ein knöchellanges Kleid. Der Umhang liegt hingegen auf der rechten Schulter und der linken Armbeuge. Der leicht nach links geneigte Kopf lenkt den Blick auf die linke Hand, die den Saum des Umhangs greift. In der rechten Hand befindet sich ein Kelch; der dreifenstrige Turm ist zu ihren Füßen weiterhin links platziert. Während die Karteikarte und Fotografien in der Fotothek des montan.dok belegen, dass es die erste Auftragsarbeit einmal gegeben haben muss und weitere Exemplare augenscheinlich gelegentlich über Auktionshäuser versteigert worden sind, ist die Existenz der zweiten Version bisher lediglich über Schiedlauskys Gutachten und eine Abbildung in Lore Breuer-Reinmöllers Bildband nachzuvollziehen (vgl. Breuer-Reinmöller, Heinrich Moshage, S. 94). In einer Ausgabe der Werkszeitschrift „Das Werk“ (1957, H. 4, S. 132) ist zusätzlich eine dritte Variante abgedruckt, die eine Kombination der beiden anderen Kompositionen zu sein scheint. Von dieser war der Museumsdirektor allerdings nach eigenen Angaben „nicht so sehr entzückt“. Nach seinem Dafürhalten habe sich die „alte Form“ – unklar ist, welche gemeint ist – bewährt. Er stellte dennoch in Aussicht, dass man sich an die neue Darstellung „vielleicht gewöhnt“ (montan.dok/BBA 112/813). Ob diese Plastik tatsächlich über das Museum weitervermittelt wurde, ist ebenso wenig belegt wie die Ausführung einer vierten Version aus Porzellan. Im Zuge der Aufarbeitung der Grafiksammlung im Projekt „Digitale Infrastrukturen im Deutschen Bergbau-Museum Bochum und virtuelle Zugänglichkeit zum Bergbauerbe“ tauchte ein weiterer Entwurf von Moshage auf. Dieser zeigt eine barfüßige, ebenfalls junge Frau im Kleid und mit einem Umhang, der über der Brust zusammengehalten wird. Auf dem Kopf der fast schüchtern wirkenden Frau sitzt eine Krone. Die rechte Hand liegt am Saum ihres Umhangs; den linken Arm hat sie angewinkelt und die Hand leicht angezogen (montan.dok 037001380001).
Ob es mit der ins Auge gefassten Porzellanmanufaktur „Rosenthal“ zumindest zu Probeausführungen gekommen war, ist nicht belegt. Gesichert ist lediglich, dass die umfangreiche Barbara-Sammlung, die wesentlich durch Stiftungen von Rolfroderich und Jutta Nemitz bereichert worden ist und heute über 500 Objekte umfasst, mindestens zwei, vermutlich sogar vier Darstellungen vermissen lässt, die unmittelbar mit der Sammlungsgeschichte des Hauses verbunden sind. Ob es gelingt, diese Sammlungslücke zu schließen, wird sich zeigen. Dass die Suche nach den Moshage-Barbaras und die Auswertung der schriftlichen Überlieferungen die skizzierten Ungereimtheiten offengelegt und damit ein weiteres Schlaglicht auf die Sammlungsgeschichte des DBM geworfen haben, ist aber auch schon etwas wert.
01. Dezember 2024 (Dr. Anna-Magdalena Heide)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 112/793, 800, 801, 805, 813, 833, 855, 976, 5650.
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum 029100727000, 029100743000, 029100554000, 030005249001, 030005960001, 033303501001, 037001380001.
Breuer-Reinmüller, Lore: Heinrich Mosage, [Remscheid] 1971.
Finzi, Anissa/Schäpers, Maria: Die Schutzpatronin der Bergleute im Ruhrgebiet: Förderung der Barbaraverehrung und Sammlungsobjekt im Deutschen Bergbau-Museum Bochum, in: Farrenkopf, Michael/Siemer, Stefan (Hrsg.): Materielle Kulturen des Bergbaus | Material Cultures of Mining: Zugänge, Aspekte und Beispiele | Approaches, Aspects and Examples, Berlin/Boston 2022 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 243; = Schriften des Montanhistorischen Dokumentationszentrums, Nr. 45), S. 503-534.
Heide, Anna-Magdalena: „Man kann Bergleute nicht grotesk schnitzen“. Bergmännische Darstellungen in der Kunstsammlung des Bochumer Bergbau-Museums (1928-1966), Berlin/Boston 2023 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 252; = Schriften des Montanhistorischen Dokumentationszentrums, Nr. 43).
Kift, Dagmar: „Die Bergmannsheilige schlechthin“. Die Heilige Barbara im Ruhrgebiet der 1950er-Jahre, in: DER ANSCHNITT. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau 58, 2006, S. 254-263.
Mitteldeutsche Stahlwerke Aktiengesellschaft (Hrsg.): Lauchhammer Bilderguss Katalog, Lauchhammer 1929, S. 152.
o. A.: Sankt Barbara – Schutzherrin der Bergleute, in: Das Werk. Rheinelbe Bergbau AG 29, 1957, H. 4, S. 132-135.
Winkelmann, Heinrich (Hrsg.): Der Bergbau in der Kunst, Essen 1958.
Online-Portale: montandok.de. Unter: https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=75013; https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=110881; https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=68396; museum-digital.de. Unter: https://nat.museum-digital.de/object/1068685; https://nat.museum-digital.de/object/1069378; https://nat.museum-digital.de/object/1068569; Sketchfab. Unter: https://skfb.ly/prp9w (Eingesehen: 27.09.2024).