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Ein Schaufelradbagger und Bauxit-Bergbau in der Karibik

Einen Schlossermeister aus Wuppertal verschlägt es Anfang der 1960er-Jahre in die damalige Kolonie British Guiana, an die Nordküste Südamerikas, um dort im Bauxit-Tagebau zu arbeiten. Seine persönliche Geschichte wie auch seine im Montanhistorischen Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum überlieferten Fotografien und Maschinenmodelle weisen auf die globalen Dimensionen des Bergbaus hin. „Bergbau ist nicht eines Mannes Sache allein“, heißt es – aber genauso wenig eines Landes allein.

Im Dezember 2023 schien sich den vielen derzeitigen Krisen und Konflikten der Welt ein weiterer Unruheherd, diesmal in Südamerika, zuzugesellen. In einem Jahrzehnte währenden Grenzstreit erhebt die Regierung von Venezuela Anspruch auf die benachbarte Region Essequibo, die rund zwei Drittel des Staatsgebiets der heutigen Co-operative Republic of Guyana ausmacht. Seit dort 2015 immense Ölvorkommen nachgewiesen und internationale Ölkonzerne verstärkt in Guyana aktiv geworden sind, hat sich der – letztlich auf koloniale Grenzziehungen im 19. Jahrhundert zurückgehende – Konflikt weiter verschärft, bis hin zur Drohung einer militärischen Annexion. Durch Vermittlung unter anderem der karibischen Anrainerstaaten konnte eine weitere Eskalation bislang glücklicherweise vermieden werden.

 

Der Reichtum an Rohstoffen hat in ganz Südamerika wie auch in Guyana immer eine bedeutende wirtschaftliche und politische Rolle gespielt. Bislang war das Land vor allem vom Gold-, Diamanten-, Mangan- und ganz besonders vom Bauxit-Abbau geprägt. Unser aktueller Fund des Monats veranschaulicht vor diesem Hintergrund die internationalen Verflechtungen, in die die Bergbauindustrie stets eingebunden war. Dabei handelt es sich um das Modell eines Schaufelradbaggers des Typs LMG 1362 der Lübecker Maschinenbau-Gesellschaft (LMG), der in der Dauerausstellung des Deutschen Bergbau-Museums Bochum zu besichtigen und zugleich Teil der Musealen Sammlungen innerhalb des montan.dok ist (montan.dok 030003811001). Schaufelradbagger waren in den deutschen Braunkohlentagebauen seit den 1920er-Jahren im Einsatz. In diesem Fall allerdings lag der Einsatzort am südlichen Eckpunkt der Karibik, in den Bauxit-Gruben des ehemaligen British Guiana. Seit 1917 wurde hier der für die Aluminium-Herstellung zentrale Rohstoff abgebaut, unter Federführung der Demerara Bauxite Company, die ihrerseits zunächst zum US-amerikanischen Bergbaukonzern Alcoa, ab 1929 zu dessen kanadischen Tochterunternehmen Alcan (Aluminum Company of Canada, später Alcan Aluminium Ltd.) gehörte. 

 

Wie in vielen Bergbausparten kam es auch hier in den 1960er-Jahren zur Einführung neuer Technologien, die es ermöglichten, die einzelnen Schritte von Gewinnung und Transport in einem kontinuierlichen Verfahren zu integrieren. Alcan kaufte dazu neue Abbautechnik in der Bundesrepublik an. Den Zuschlag erhielt die Lübecker Maschinenbau-Gesellschaft (LMG). Ursprünglich auf Schiffs- bzw. Schwimmbagger spezialisiert, stellte die LMG seit 1930 auch Großbagger für den Tagebau her. 1961 erhielt sie den Auftrag, in den Gruben Demerara, Yararibo, Arrowcane und Kara Kara moderne Schaufelradbagger und Förderanlagen einzurichten. Sie kooperierte dabei mit der in Wuppertal ansässigen Bergbauspezialgesellschaft Frölich & Klüpfel, die mit der Einrichtung und Montage betraut wurde. Hier, bei Frölich & Klüpfel, war als Maschinenschlosser Robert Evertz angestellt, von dem das hier abgebildete Modell des Schaufelradbaggers LMG 1362 stammt. Evertz, geboren 1927 in Wuppertal-Elberfeld, war für Frölich & Klüpfel in Tagebaubetrieben in Italien, den Niederlanden sowie im rheinischen Braunkohlenrevier im Einsatz und von 1961 bis 1969 durchgängig in Guyana tätig. 1966 wurde er von seinem Arbeitgeber frei- und direkt bei Demerara Bauxite angestellt. Auf den Gruben Yararibo und Kara Kara war er für „die Förderung, die Geräte und die Ausbildung der Leute verantwortlich“, wie er 1987 rückblickend in einem Brief schreibt (Evertz 1987). 1969 kehrte er nach Deutschland zurück, weil „der politische Druck immer stärker wurde“. Tatsächlich erlangte die Kolonie British Guiana 1966 zunächst als so genanntes Dominion, 1970 dann als Republik die Unabhängigkeit und setzte nunmehr eine Politik der Verstaatlichung der heimischen Bergbaubetriebe um, die bis dahin im Besitz internationaler Konzerne gewesen waren. Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang die Politik der Segregation nach Hautfarbe, die die Unternehmen bis dahin sowohl innerbetrieblich als auch in den dazugehörigen Werkssiedlungen verfolgt hatten. Entsprechende Diskriminierungspraktiken hatten bereits zuvor zu wiederholten Streiks und Konflikten geführt. 

 

Nach seiner Rückkehr arbeitete Evertz als Industriemeister in einer Farben- und Lackfabrik, ging aber 1979 aus gesundheitlichen Gründen in den Vorruhestand. Die Zeit in Guyana und insbesondere die Arbeit mit dem LMG 1362 scheinen ihn indessen weiter bewegt zu haben, so dass er seinen „Beruf zum Hobby“ machte und die früher im Original montierten Großmaschinen nun als Modelle nachzubauen begann. „Alle Modelle sind funktionsfähig mit Motor, Getriebe, Trommeln usw. (…) Alle Profile sind aus Messing und gefräst. (…) Nach Fertigstellung werden alle Teile vernickelt.“ Für das Modell des Schaufelradbaggers bat er bei LMG um Zusendung genauer Baupläne aller Einzelteile, vom Fahrwerk bis zum Verladeband, um alles „nach Maßstab und mit Schwierigkeitsgrad nachzubauen“ (Evertz 1986). 

 

1997, ein Jahr nach Evertz‘ Tod, überließ seine Witwe Herta Evertz vier seiner Modelle samt den Bauplänen und dazugehörigen Korrespondenzen dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum als Schenkung. Darüber hinaus übergab sie dem Museum drei Fotoalben und rund 300 Dias, die Evertz‘ Arbeit in Guyana und in europäischen Gruben illustrieren. Ganz im Einklang mit dem technischen Fokus seiner Aufgaben dokumentiert der fotografische Nachlass im Detail die Funktionen der von Frölich & Klüpfel, LMG und Demerara Bauxite montierten Maschinen im Abbaubetrieb. Neben dieser technikhistorisch interessanten Perspektive fällt in umweltgeschichtlicher Hinsicht das bildlich festgehaltene Ausgreifen des Tagebaus in den südamerikanischen Regenwald in den Blick. Evertz‘ Lebensweg, seine Bilder ebenso wie die von ihm gebauten Modelle eröffnen einen unerwarteten Einblick in die Verflechtungen und Ambivalenzen der globalen Rohstoffgewinnung. 

 

01. August 2024 (Dr. Stefan Moitra)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum 030003812000; 030003813000; 030003814000; 030003811001.

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum/Fotothek, FOT 32. 

 

Buchter, Heike: Der Fluch des Rohstoffs, in: Die Zeit, 04.02.2024. Unter: https://www.zeit.de/2024/06/guyana-erdoel-exxon-suedamerika-rohstoffe-georgetown (Eingesehen: 04.07.2024). 

 

Cross, Bradley: White Metal. Bauxite, Labour, and the Land under Alcan in Twentieth Century Guyana, Jamaica, and Australia, in: Gendron, Robin S. u. a. (Hrsg.): Aluminum Ore. The Political Economy of the Global Bauxite Industry, Vancouver 2013, S. 302-327. 

 

Daniel, Isabelle: Darum geht es im Streit zwischen Venezuela und Guyana, in: Die Zeit, 29.12.2023. Unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-12/venezuela-guyana-esequibo-oel-konflikt-faq (Eingesehen: 04.07.2024).

 

Evertz an Pump, LMG, 28. November 1986, in: montan.dok, Zugangsdokumentation 030003811001. 

 

Evertz an Dr. Fleischhaker und Dipl-Ing. Krüger, LMG, 9. Januar 1987, in: montan.dok, Zugangsdokumentation 030003811001. 

 

Gendron, Robin S.: Canada and Nationalization of Alcan’s Bauxite Operations in Guinea and Guyana, in: Gendron, Robin S. u. a. (Hrsg.): Aluminum Ore. The Political Economy of the Global Bauxite Industry, Vancouver 2013, S. 211-237. 

 

St. Pierre, Maurice: Race, the Political Factor and the Nationalization of the Demerara Bauxite Company, Guyana, in: Social and Economic Studies 24, 1975, S. 481-503.