Von der Hitzeschutz-Garnitur zur modernen Flammenschutzkleidung: Zur Schutzausrüstung von Gruben- und Gasschutzwehren
Im Falle eines untertägigen Brandes im Steinkohlenbergbau, der stets die Gefahr einer Kohlenstaubexplosion in sich barg, griff man zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei der Bekämpfung auf Schutzmittel zurück, die sich bei der Feuerwehr bewährt hatten. Das waren Asbesthelme oder -anzüge, die sehr unhandlich und deshalb wenig beliebt waren. Deshalb wurden 1911 erstmals bei der Sektion IV der Knappschafts-Berufsgenossenschaft in Halle an der Saale Versuchsreihen mit einer sacktuchartigen Schutzkleidung durchgeführt, die von Fall zu Fall mit Wasser durchnässt wurde und im Einsatz gute Erfolge zeigte. Hierbei handelte es sich um die 1907 von dem Schneidermeister Wilhelm Vorndamme (1869-1921) patentierte „Hitzeschutz-Garnitur“. Sie bestand aus einer Kopfhaube aus kräftigem Stoff mit einem Sichtfenster aus Glimmer (vgl. https://www.bergbau-sammlungen.de/de/aktuelles/jetzt-tief-luft-holen). Haube und Handschuhe mussten vor dem Einsatz in einem Wassereimer angefeuchtet werden. Die Verdunstungskälte verhinderte dann ein Entflammen der Schutzkleidung, solange sie nass war.
1929 veranstaltete die gleiche Sektion anlässlich der Reichsunfallwoche ein Preisausschreiben mit dem Ziel, einen geeigneten Kopfschutz für die Bekämpfung von Bränden in Brikettfabriken zu erhalten. Das Ergebnis war zunächst eine Flammenschutzmaske, aus der sich eine Flammenschutzhaube entwickelte. Anstelle der wasserdurchnässten Kleidung trat wenig später ein flammensicher imprägnierter Anzug, für dessen Behandlung und Pflege 1930 ein erstes Merkblatt herausgegeben wurde.
Als nach dem Zweiten Weltkrieg neuartige, waschbeständige Imprägniermittel auf den Markt kamen, die Schutzwirkung beeinflussten, musste die Flammenschutzkleidung erneut verbessert werden. Auf der Jahrestagung des Fachnormen-Ausschusses Bergbau (Faberg) 1952 in Lübeck wurde von Vertretern des Braunkohlenbergbaus angeregt, den Arbeitsausschuss für die Normung der Grubensicherheitseinrichtungen mit der Schaffung einer einheitlichen Flammenschutzkleidung in Zusammenarbeit mit der ehemaligen Knappschafts- und jetzigen Bergbau-Berufsgenossenschaft zu beauftragen. Infolge der in Lübeck gefassten Beschlüsse kam es zur Bildung eines gemeinsamen Arbeitskreises des Stein- und Braunkohlenbergbaus als den Bergbauzweigen, in denen das Brand- und Explosionsrisiko besonders hoch war. In diesen gingen die bis dahin bei offenbar spektakulären Selbstversuchen von Friedrich Vorndamme sen. und Ernst Bredenbruch, einem Mitarbeiter der Hauptstelle für das Grubenrettungswesen im Ruhrbergbau in Essen, gemachten Erfahrungen für eine spezielle Flammenschutzkleidung für den untertägigen Steinkohlenbergbau ein. Von dem 1952 gebildeten Arbeitskreis des Stein- und Braunkohlenbergbaus wurden die grundsätzlichen Anforderungen, die an eine moderne Flammenschutzkleidung zu stellen waren, in einem Normblattentwurf zusammengefasst und im September 1954 im Rahmen der Faberg-Mitteilungen zur Diskussion gestellt.
Was die Ausführung der Flammenschutzkleidung anbelangte, war Mitte der 1950er-Jahre vorerst ein gewisser Status quo erreicht. Laut Rundschreiben des Steinkohlenbergbauvereins vom 28. Februar 1958 hatte man sie bis dahin im Ruhrbergbau mehrfach erfolgreich eingesetzt. Insofern wurde den Zechen sowohl die Anschaffung, als auch eine regelmäßige Übung im Umgang mit der Flammenschutzkleidung nochmals wärmstens empfohlen.
Seit Anfang der 1950er-Jahre vertraute man darauf, mit der bislang entwickelten Kleidung über ein wirksames Flammenschutzmittel zu verfügen. Am 22. Juli 1965 kam es aber während der Bekämpfung eines Grubenbrandes auf der Zeche Mont Cenis in Herne-Sodingen zu einem Versagen mit gravierenden Folgen. In der Annahme, dass ein Brand erfolgreich abgelöscht worden sei, sollte der an dieser Stelle noch zur weiteren Beobachtung eingesetzte Grubenwehrtrupp zurückgezogen werden. In dem Augenblick, als der Oberführer der Grubenwehr von Mont Cenis mit einem Vertreter des zuständigen Bergamts und Franz-Josef Kock als Mitarbeiter der Essener Hauptstelle sich bei diesem Trupp befand, ereignete sich eine unerwartete Explosion. Deren Flammen rollten nach der Erinnerung des späteren Leiters der Hauptstelle für das Grubenrettungswesen mehrfach über die genannten Personen hinweg. Dabei war die Einwirkzeit der Flammen wesentlich länger, als man das bis dahin für möglich hielt. Von dem mit Flammenschutzkleidung ausgerüsteten Grubenwehrtrupp konnten drei Mann lebend gerettet werden; das galt auch für Franz-Josef Kock trotz seiner sehr starken Verbrennungen. Während die drei Grubenwehrmänner nach einigen Tagen ihren schweren Brandverletzungen erlagen, überlebte Kock die Explosion und konnte später seinen Beruf wieder ausüben.
Nach diesem Unglück veranlasste die Hauptstelle 1966, dass unter dem Flammenschutzanzug nunmehr eine lange Unterwäsche aus probanimprägniertem Baumwoll-Köper zu tragen war. Als mit dieser Kleidung Experimente auf der Versuchsgrube Tremonia in Dortmund angestellt wurden, musste man aber feststellen, dass bei Flammeneinwirkzeiten von etwa fünf Sekunden und Flammentemperaturen von ca. 1200 °C dennoch mit Verbrennungen der Haut zu rechnen war. Vorerst blieb es bei dem unbefriedigenden Zustand, dass keine Flammenschutzkleidung zur Verfügung stand, die einen sicheren Schutz gegen Stichflammen bei der untertägigen Brandbekämpfung bot und gleichzeitig akzeptable Einsatzzeiten unter erschwerten klimatischen Bedingungen gestattete. Vor diesem Hintergrund konnte dann im April 1972 ein von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) gefördertes Forschungsprogramm in Angriff genommen werden, an dem sich Institutionen aus Belgien, Deutschland und Frankreich beteiligten.
Letztendlich bedeuteten die mit dem Forschungsprogramm ermittelten Ergebnisse einen Meilenstein auf dem Weg zu einer wesentlich sichereren Flammenschutzkleidung für Grubenwehren. Laborversuche und praxisnahe Explosionsversuche hatten zur Beurteilung der Wirksamkeit von Flammenschutzkleidungen gedient. Für die Untersuchungen im Labor war ein kalorimetrisches Messverfahren benutzt worden, das eine vergleichende Bewertung der Textilien ermöglichte. Die dabei gefundene Bewertungsrangfolge der Textilien ließ sich anschließend bei den Explosionsversuchen bestätigen, wobei zu deren Auswertung ein Verfahren entwickelt wurde, das eine direkte Beurteilung der Wärmeeinwirkung auf den Menschen erlaubte. Die gewonnenen Erkenntnisse schlugen sich in reformierten Normen (DIN 23320: Flammenschutzkleidung für den Bergbau) nieder und führten zum Bau einer Normprüfanlage zur Messung des Wärmedurchgangs an Flammenschutzkleidungen.
In der Praxis kam es wenig später zur Einführung einer neuen Flammenschutzkleidung für Grubenwehren. Deren Schutzwirkung war etwa doppelt so hoch wie bei den zuvor verwendeten Textilien. Sie bestand aus einer großvolumigen Frotteeunterwäsche (495 g/m2) und einem doppellagigen Anzug aus der Spezialfaser Nomex III (2 x 265 g/m2) in antistatischer Ausführung. Dieser Flammenschutzanzug wurde bis auf zusätzliche Kopfhauben und Schutzhandschuhe, die erst bei Explosionsgefahr zur Anwendung kommen, seit Ende der 1970er-Jahre zum Standard für den Arbeitsanzug der Grubenwehren.
Am 8. Dezember 2010 hat die Hauptstelle für das Grubenrettungswesen im Ruhrbergbau ihr 100-jähriges Bestehen mit einer zentralen Feierstunde im Deutschen Bergbau-Museum Bochum begangen. Das Jubiläum sollte zugleich Gegenstand einer modernen, historisch-kritischen Aufarbeitung der Geschichte der Institution sowie des Grubenrettungswesens im Allgemeinen sein. Hierzu förderte die RAG Aktiengesellschaft ein Projekt, dessen Hauptziele in der Erarbeitung einer eigenständigen Publikation sowie einer thematisch konzentrierten Sonderausstellung bestanden.
In diesem Zusammenhang konnte das Montanhistorische Dokumentationszentrum (montan.dok) im Deutschen Bergbau-Museum Bochum eine moderne Ausrüstung eines Grubenwehrmanns übernehmen (montan.dok 030007290000). Sie besteht aus einem Schutzanzug (3-teilig), einem Schutzhelm, einem Paar Handschuhe, einem Dräger-Filterselbstretter (FSR 990), einem Dräger-Sauerstoff-Selbstretter, einem Gürtel mit Personenkennbaustein (PKB), einer Kartusche mit Sprechleitung, einer Atemschutzmaske, einer Sprecheinrichtung sowie Arbeitsstiefeln, einem Halstuch und einem Schweißhemd. An einer Figurine angebracht, befindet sich diese Ausrüstung heute in der Dauerausstellung des Deutschen Bergbau-Museums Bochum im Rundgang „Steinkohle. Motor der Industrialisierung“. Zudem konnte ebenfalls im Jahr 2010 ein Flammenschutzanzug (mit Jacke, Hose, Haube und Handschuhen) mit Innenanzug (Kühlanzug) vom Drägerwerk, Lübeck, und der Heinrich Vorndamme oHG, Horn-Bad Meinberg, in die Musealen Sammlungen des montan.dok aufgenommen werden (montan.dok 030006584001). Diese Objekte sind authentische Zeugnisse des hohen Standards der Sicherheitstechnik, der im Verlauf des 20. Jahrhunderts im deutschen Bergbau erreicht worden ist.
01. Mai 2024 (Dr. Michael Farrenkopf)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum, 030007290000, 030006584001.
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum (montan.dok)/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 17/95, 17/383.
Farrenkopf, Michael: 100 Jahre Hauptstelle für das Grubenrettungswesen, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau 62, 2010, S. 268-271.
Farrenkopf, Michael: „Zugepackt – heißt hier das Bergmannswort“. Die Geschichte der Hauptstelle für das Grubenrettungswesen im Ruhrbergbau, unter Mitarbeit von Susanne Rothmund, Bochum 2010 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 178; = Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 22).
Klein, G[eorg]: Flammenschutz in Braunkohlen-Brikettfabriken, in: Der Kompass 49, 1934, S. 170-174.
Klein, G[eorg]: Flammenschutzmittel beim Aufsuchen und Ablöschen glimmenden Feuers in Braunkohlebrikettfabriken, in: Braunkohle 11, 1912/13, S. 697-701.
isotemp®. Die durchs Feuer gehen. 100 Jahre Heinrich Vorndamme OHG, o. O. [Horn-Bad Meinberg] o. J. [2007].
Kroker, Evelyn/Farrenkopf, Michael: Grubenunglücke im deutschsprachigen Raum, 2. überarb. und erw. Aufl., Bochum 1999 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 79; = Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 8).
Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Jahresbericht der Bergverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 1965, Düsseldorf 1966.
Schewe, Adolf: Grubenrettungswesen, in: Ludwig, Gerhard (Red.): Bergbau-Forschung GmbH. 20 Jahre Gemeinschaftsforschung des Steinkohlenbergbaus, Essen 1978, S. 33-36.
Werner, Claus: Objekt des Monats: Jetzt tief Luft holen!, online unter: https://www.bergbau-sammlungen.de/de/aktuelles/jetzt-tief-luft-holen (01.10.2020).
Online-Portale: montandok.de. Unter: https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=221014 und museum-digital. Unter: https://nat.museum-digital.de/object/1070537 Deutsche Digitale Bibliothek. Unter: http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/MDEKVINK6WR6RWPFPJX4DPKTLRY4WRWK (Eingesehen: 29.04.2024).