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Preußische Bergbeamte im Porträt: Zwei bedeutsame Fotoalben als Geschenke an Oberberghauptmann Albert Ludwig Serlo

Dass verdienten preußischen Bergbeamten zu bestimmten Anlässen künstlerisch wertvolle Geschenke gemacht wurden, entsprach einer allgemeinen kulturellen Praxis des wilhelminischen Bürgertums seit den 1860er-Jahren. Am meisten verbreitet waren aufwändige und hochwertige Kunstobjekte, so beispielsweise der Tafelaufsatz für den so genannten Vater des allgemeinen preußischen Berggesetzes von 1865 und Direktor des Bonner Oberbergamts Hermann Brassert (1820-1901). Umso mehr sind deshalb zwei Fotoalben von Interesse, die dem hohen preußischen Bergbeamten Albert Ludwig Serlo (1824-1898) im späten 19. Jahrhundert zu beruflichen Jubiläen zugedacht worden sind.

Der Tafelaufsatz für Hermann Brassert war dem Berghauptmann anlässlich seiner Pensionierung 1892 von der Bonner Bergbeamtenschaft verehrt worden. Das silberne und in Teilen vergoldete Kunstwerk stammte vom Juwelier Carl Hugo Schaper, war in Bremen von Koch & Bergfeld hergestellt worden und befindet sich seit 2001 in den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) im Deutschen Bergbau-Museum Bochum (montan.dok 030003656000). Angesichts einer Vielzahl sehr ähnlicher Schmuckobjekte steht außer Frage, dass diese in ästhetischer und formaler Hinsicht eine besonders akzeptierte Konvention für derartige Geschenke innerhalb der hohen preußischen Bergbehörde darstellten. Warum also wurde für Albert Ludwig Serlo davon abgewichen?

 

Um dieser Frage nachzugehen, müssen wir uns zunächst mit seiner Biographie näher beschäftigen: Albert Ludwig Serlo wurde am 14. Februar 1824 in Crossen an der Oder geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters, des praktischen Arztes Dr. Martin Serlo, erhielt er schon in jungen Jahren finanzielle Unterstützungen zugunsten seiner schulischen Ausbildung. Diese erfolgte zunächst vier Jahre im Schindlerschen Waisenhaus in Berlin und anschließend bis zum Abiturexamen auf dem Gymnasium zum Grauen Kloster. 

 

Am 22. Mai 1843 begann Albert Ludwig Serlos Zeit als Bergbaubeflissener im Hettstedter Kupferschieferbergbau. Hierüber führte er ein Tagebuch, in dem er seine Arbeiten unter Tage ebenso minutiös verzeichnete wie seine Beschäftigung in der arbeitsfreien Zeit. An die Bergbaubeflissenenzeit schlossen sich die Studienjahre Serlos an. Zunächst an der juristischen Fakultät der Berliner Universität eingeschrieben, besuchte er ab 1846 für zwei Jahre die Bauschule in Berlin. Schon im Januar 1847 ernannte ihn das Oberbergamt in Halle zum Bergexpectanten, und im November gleichen Jahres legte er in Potsdam das Feldmesserexamen ab. Seine Expectantenzeit, d.h. die spätere Referendariatszeit nach Reform der Ausbildungsrichtlinien für höhere preußische Bergbeamte, verbrachte er vorrangig im Salinenwesen, zunächst in Colberg und bis 1856 beim Salzamt in Königsborn. Im Rahmen seiner behördlichen Ausbildung hatte Albert Ludwig Serlo vom zuständigen Oberbergamt in Halle unter anderem die Aufgabe erhalten, ein Steinsalzbergwerk in Artern sowie die Versorgung der Saline Dürrenberg von diesem künftigen Steinsalzbergwerk aus zu planen.

 

Nach Ablegung der Bergassessorenprüfung im Jahr 1856 begann Serlos Aufstieg in der preußischen Bergverwaltung. Nach einem kurzen Intermezzo als Hilfsarbeiter in der Bergabteilung des Ministeriums für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten in Berlin, wo er der Redaktion der Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen zugeordnet war, wurde er zum Bergmeister in Bochum und schon im November 1857 zum Oberbergrat beim Dortmunder Oberbergamt ernannt. Der Ruhrbergbau befand sich zu dieser Zeit gerade am Ende seiner ersten großen Gründungswelle. Anfang 1861 wechselte Serlo als Direktor zum Bergamt Saarbrücken, wo er nach Abschluss der preußischen Bergverwaltungsreform den Vorsitz der dortigen Bergwerksdirektion übernahm. Ab 1866 betrieb er dann seinen Wechsel in den Oberbergamtsbezirk Breslau, wo ihm schließlich am 20. März 1867 die Leitung des dortigen Oberbergamts übertragen wurde und er in den Rang des Berghauptmanns aufstieg.

 

In dieser Funktion wirkte Serlo elf Jahre, also bis 1878, und diese Zeit gilt im Allgemeinen als die produktivste Phase seiner Schaffenskraft. Zu seinen ersten größeren offiziellen Aufgaben in der neuen Funktion gehörte die Organisation und Durchführung des 100-jährigen Jubiläums der schlesischen Bergverwaltung. Im Juni 1769 hatte der preußische König Friedrich II. die „revidirte Bergordnung für das souveräne Herzogthum Schlesien und die Grafschaft Glatz“ erlassen, so dass die Jubiläumsfeier am 05. Juni 1869 im Breslauer Oberbergamtsgebäude unter Teilnahme zahlreicher Honoratioren stattfand. Die dazu vorgelegte umfangreiche Festschrift hatte Serlo selbst bearbeitet; ihm wurde anlässlich der Feier die Ehrendoktorwürde der Breslauer Universität verliehen.

 

Ebenso in Serlos Breslauer Zeit fällt die Herausgabe seines zweibändigen „Leitfadens zur Bergbaukunde“, der 1868 erstmals erschien und bis 1884 als einflussreiches Lehrbuch der Bergbaukunde vier Auflagen erlebte. Zum Teil beruhten die Grundlagen des Buches auf den Aufzeichnungen des 1866 verstorbenen Bergrats Heinrich Lottner, der Ende der 1850er-Jahre Serlos Kollege am Bergamt Bochum und zugleich Leiter der Bochumer Bergschule gewesen war. Seit Anfang der 1870er-Jahre war Albert Ludwig Serlo Mitglied der preußischen Ausstellungskommission für die Wiener Weltausstellung von 1873. Ab Mitte der 1870er-Jahre wurde er zudem politisch aktiv. 1875 wählte man ihn in das Breslauer Stadtverordnetenparlament, ab 1876 vertrat er den Wahlkreis Beuthen im preußischen Abgeordnetenhaus. All diese Tätigkeiten mit seiner Hauptaufgabe als Leiter der schlesischen Bergverwaltung zu vereinen, konnte nur durch ein immenses Arbeitspensum gelingen.

 

Im Sommer 1878 schließlich erklomm Albert Ludwig Serlo die Spitze seiner Bergbeamtenkarriere. Als Oberberghauptmann und Direktor der Ministerialabteilung für das preußische Berg-, Hütten- und Salinenwesen trat er das Amt des höchsten preußischen Bergbeamten in der Nachfolge von Otto Ludwig Krug von Nidda an. Den Ausschlag zugunsten von Serlo bei der Besetzung des Spitzenamtes dürfte nicht zuletzt dessen politische Haltung als konsequenter Parteigänger Bismarcks in Fragen der Schutzzollpolitik gegeben haben. Serlo wurde nach sechsjähriger Amtszeit zum 1. Dezember 1884 in den Ruhestand versetzt. Er war zu diesem Zeitpunkt 60 Jahre alt; seine Pensionierung erfolgte aus gesundheitlichen Gründen. Anlässlich des Übertritts in den Ruhestand wurde ihm von zahlreichen Revieren eine ehrende Reverenz erwiesen, was den üblichen gesellschaftlichen Regeln bei der Verabschiedung von preußischen Spitzenbeamten entsprach. Verbunden damit war nun die Darreichung bestimmter Geschenke, die allerdings vergleichsweise unkonventionell anmuteten. 

 

So wurde Serlo als offizielles Abschiedsgeschenk der Bergbehörde anlässlich seiner Pensionierung eine Fotosammlung mit insgesamt 322 Porträtfotografien überreicht (montan.dok/BBA 50/32). Die Porträts zeigen sämtliche höheren Bergbeamten in der preußischen Bergverwaltung, aufgenommen zu Beginn der 1880er-Jahre. Die Fotografien sind jeweils zu Vierergruppen in verzierten und mit Goldschnitt gerahmten Passepartouts montiert. Diese insgesamt 84 Passepartouts waren in eine Kassette eingelegt, die vermutlich aufgrund des Anlasses aufwändig gefertigt und ebenfalls geschmückt gewesen sein dürfte, heute allerdings leider nicht mehr existiert. 

 

Zudem konnte im Rahmen von Übernahmen aus der Bibliothek des ehemaligen nordrhein-westfälischen Landesoberbergamts in Dortmund ein bis in die 2000er-Jahre völlig unbekanntes Fotoalbum dem Nachlass von Albert Ludwig Serlo im Bergbau-Archiv Bochum zugeordnet werden (montan.dok/BBA 50/39). So wissen wir heute, dass Albert Ludwig Serlo bereits bei seinem Wechsel von Breslau nach Berlin anlässlich seiner Ernennung zum Oberberghauptmann ein ganz ähnliches Geschenk gemacht worden ist. Besagtes Album hat einen samtenen Einband und auf dem Deckel einen relativ aufwändigen Silberschmuck sowie zwei silberne Schlösser. Innerhalb eines Blätterkranzes befindet sich ein Emblem, auf dem unter dem Signet mit Schlägel und Eisen der Name „Breslau“ und die Jahreszahlen „1866_1878.“ eingraviert sind. Dies entspricht Serlos Amtszeit als Berghauptmann und Leiter des Breslauer Oberbergamtes. Die eigentlichen Albumblätter bestehen ebenfalls aus Blattgold gerahmten Passepartouts, wobei nach einer anfänglichen Widmung zunächst ein Foto des Amtsgebäudes erscheint. Es schließen sich dann die wieder zu Vierergruppen montierten Porträtfotografien der Bergbeamten im Oberbergamtsbezirk Breslau an. Die drei letzten Seiten des Albums zeigen zudem bedeutsame Gebäude und Stadtansichten von Breslau, die etwa um die Mitte der 1870er-Jahre aufgenommen worden sein müssen. 

 

Leider finden sich keinerlei Informationen, die Aussagen über die Anfertigung, Begleitumstände oder Hintergründe beider Fotoalben ermöglichen. Auch ist nicht überliefert, wie Albert Ludwig Serlo beide Geschenke aufgenommen hat. Bekannt ist aber, dass die Porträtfotografie im ausgehenden 19. Jahrhundert einen veritablen Boom erlebte. Fotografische Porträts im so genannten Visiten- bzw. Kabinettkartenformat avancierten zur gesellschaftlichen Konvention des aufstrebenden Bürgertums, das damit die in früheren Zeiten dem Adel vorbehaltenen, gemalten Ahnengalerien nachahmte. Die Flut der kleinen fotografischen Bilder, erzeugt durch eine zeitgenössisch als fortschrittlich und modern empfundene Technik, formierte man entweder in samtenen Fotoalben oder präsentierte sie in mehr oder weniger aufwändiger Umrahmung. Letztlich manifestierte sich die neue Macht des Bürgertums auch in der Flut seiner fotografischen Abbilder. 

 

Es ist durchaus plausibel, dass die beiden Fotoalben zu Ehren von Albert Ludwig Serlo als Symbol und zugleich als Manifestation eines sich selbst zuerkannten bürgerlich-bürokratischen Standesbewusstseins der preußischen Bergbeamtenschaft gedeutet werden können.

 

01. Februar 2024 (Dr. Michael Farrenkopf)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum, 027200170002, 030003656000.

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum des Deutschen Bergbau-Museums Bochum (montan.dok)/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 50/27, 50/32-34, 50/39.

 

Berghahn, Volker: Versunkene Welt der Bergassessoren, in: Revier-Kultur: Zeitschrift für Gesellschaft, Kunst und Politik im Ballungsraum 3/1986, S. 62-69.

 

Farrenkopf, Michael: Zwischen Bürgerlichkeit, Beamtenstatus und berufsständischer Orientierung. Die höheren preußischen Bergbeamten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau 47, 1995, S. 2-25.

 

Farrenkopf, Michael: Serlo, Albert Ludwig, in: Neue Deutsche Biographie 24, 2010, S. 269-270; online unter: https://www.deutsche-biographie.de/downloadPDF?url=sfz121330.pdf.

 

Farrenkopf, Michael: Oberberghauptmann Albert Ludwig Serlo und Oberbergamtsdirektor Walter Serlo: Archivische Pflege und wissenschaftliche Erforschung zweier Bergbeamten-Nachlässe im Bergbau-Archiv Bochum, in: Hoheisel, Peter/Merchel, Michael (Red.): Bibliotheken – Archive – Museen – Sammlungen. Beiträge des 10. Internationalen Symposiums Kulturelles Erbe in Geo- und Montanwissenschaften, hrsg. v. Sächsischen Staatsarchiv, Halle (Saale) 2010 (= Veröffentlichungen des Sächsischen Staatsarchivs, Reihe A: Archivverzeichnisse, Editionen und Fachbeiträge, Bd. 14), S. 24-41.

 

Farrenkopf, Michael/Przigoda, Stefan: Visuelle Präsentationsformen bergbaulicher Eliten zwischen privater Erinnerung und öffentlicher Darstellung, in: Füßl, Wilhelm (Hrsg.): Von Ingenieuren, Bergleuten und Künstlern. Das Digitale Porträtarchiv „DigiPortA“, München 2020 (= Deutsches Museum Studies, Bd. 6), S. 71-85. Parallele Online-Ausgabe unter urn:nbn:de:bvb:210-dm-studies6-1 (Eingesehen: 08.01.2024).

 

Faulenbach, Bernd: Die Preußischen Bergassessoren im Ruhrbergbau. Unternehmermentalität zwischen Obrigkeitsstaat und Privatindustrie, in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag, Göttingen 1982, S. 225-242.

 

Kroker, Evelyn: Der Aufstieg eines preußischen Bergbeamten im 19. Jahrhundert: Oberberghauptmann Albert Ludwig Serlo, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau 32, 1980, S. 258-277.