Zwei Seiten einer Münze
Auf der Wertseite der vergoldeten und mit 60 mm Durchmesser außergewöhnlich großen Messing-Münze (montan.dok 030350471001) ist das Westfalenross abgebildet. Die Umschrift „Notgeld der Provinz Westfalen“ verweist auf die Funktion und Herkunft der mit einem Nennwert von „1 Billion Mk.“ bezifferten Münze. Der Blick in einen Münzkatalog offenbart, dass erste Versionen dieser Münze bereits 1921 ausgegeben wurden – damals mit noch recht gewöhnlichen Nennwerten von 5 bis 50 Mark. Fokussiert man sich anschließend auf das Krisenjahr 1923, so sieht man, dass zu Beginn des Jahres der höchste Nennwert bereits bei 500 Mark stand. Von da an nahm die Entwicklung richtig Fahrt auf: Erst 10.000, dann 250.000, 2 Millionen, 5 Millionen, 50 Millionen und am Ende schließlich 1 Billion Mark.
Logischerweise verlief der Anstieg des Nennwertes parallel zu der im Deutschen Reich rasch voranschreitenden Geldentwertung. Die Gründe für die Inflation sind vielfältig, haben im Kern jedoch ihren Ursprung in den enormen, mit Krediten und Anleihen finanzierten Kriegskosten des Ersten Weltkrieges sowie den anschließend von den Siegermächten auferlegten Reparationszahlungen. Nach der Ermordung von Außenminister Walther Rathenau im Juni 1922 und dem folgenden Vertrauensverlust gegenüber der Währung im In- und Ausland begann alsdann die Phase der Hyperinflation. Diese spitzte sich umso mehr zu, als im Januar 1923 französische und belgische Truppen im Streit um die Reparationen das Ruhrgebiet besetzten und die deutsche Regierung den passiven Widerstand, den so genannten Ruhrkampf, mit Geldzahlungen und Sachleistungen unterstützte. Zudem fielen gleichzeitig die Steuererträge und gesamtwirtschaftlich wichtigen Kohlenlieferungen aus dem Ruhrgebiet weg. Der Finanzbedarf des Deutschen Reiches konnte seit April 1923 nur noch durch die Notenpresse gedeckt werden. Fortan befand sich der Wert der Mark im freien Fall. Hatte der Dollarkurs vor dem Ersten Weltkrieg noch bei 4,20 Mark gestanden, so erreichte er im Dezember 1922 schon einen Stand von ungefähr 8000 und im April 1923 von 20.000 Mark. In den folgenden Monaten stieg der Kurs exponentiell an, bis er sich im November 1923 letztendlich bei über 2,5 Billionen Mark befand.
Was konnte man sich zum Zeitpunkt der Ausgabe des 1-Billion-Mark-Stücks unterdies mit ihr kaufen? Im Grunde nichts. Denn als die Münze ausgegeben werden sollte, war sie durch die Hyperinflation schon weitgehend entwertet. Tatsächlich wurde sie letzten Endes nie als Notgeld verwendet. Unter der Regierung von Reichskanzler Gustav Stresemann wurde die Inflation Mitte November mit der Ausgabe einer neuen Währung, der Rentenmark, beendet und der Vorkriegs-Dollarkurs faktisch wiederhergestellt. Der Wechselkurs zwischen neuer und alter Währung wiederum wurde auf eins zu einer Billion festgesetzt. Damit einher gingen Maßnahmen, die die im Jahr 1923 enorm gestiegenen Ausgaben des Reiches zurückfahren sollten. So verkündete Stresemann bereits Ende September das Ende des Ruhrkampfes und fuhr in Folge auch die staatlichen Zahlungen und Leistungen zurück. Das 1-Billion-Mark-Stück gelangte erst 1924 in den Umlauf, allerdings nicht als Zahlungsmittel, sondern als käuflich zu erwerbendes Erinnerungsstück an die Zeit der Hyperinflation. Peter Menzel beschreibt es in seinem Münzkatalog daher als Münze mit „Medaillencharakter“.
Was aber ist ein „Medaillencharakter“? Was ist der Unterschied zwischen einer Münze und einer Medaille? In der Datenbank des montan.dok ist das 1-Billion-Mark-Stück aktuell einfach als Münze verzeichnet. Ist ein Objekt, das nie als Zahlungsmittel ausgegeben worden ist, überhaupt eine Münze? Dies sind alles Fragen, die bei den Dokumentationsarbeiten in den Musealen Sammlungen des montan.dok beantwortet werden müssen. Die korrekte Benennung eines Objektes ist bei der Dokumentation von besonderer Bedeutung. Das richtige Vokabular für einen solchen Grenzfall zu finden, ist wiederum eine große Herausforderung. Ebenso stellt sich die Frage, wo derartige Objekte in die Sammlungssystematik eingeordnet werden sollen. Um dies qualifiziert tun zu können, ist es notwendig, sich ausführlich dem Objekt, seiner Originalnutzung und dem historischen Kontext zu widmen.
Ebenfalls von zentraler Wichtigkeit bei der Dokumentation ist die Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen, in denen ein Objekt ursprünglich musealisiert worden ist. Ein Blick auf die alte Karteikarte offenbart, dass das 1-Billion-Mark-Stück 1957 vom damaligen Bergbau-Museum Bochum erworben wurde. Auch hier befindet sich kein unmittelbarer Hinweis auf einen „Medaillencharakter“. Vielmehr fällt auf, dass es damals der Abteilung „Biographien berühmter Bergleute“ zugeordnet wurde. Auf der Bildseite der Münze befindet sich nämlich ein Porträt des 200 Jahre vor Erwerb geborenen Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein. Die Umschrift lautet „Minister vom Stein. Deutschlands Fuehrer in schwerer Zeit 1757–1831“. Dieser war zu Beginn seiner Karriere von 1784 bis 1798 Direktor des Bergamtes und späteren Oberbergamtes in Wetter (Ruhr) gewesen, bevor er Anfang des 19. Jahrhundert hauptsächlich als Initiator der Preußischen Reformen bekannt wurde. Inwiefern ihn das als „berühmten Bergmann“ klassifiziert, kann sicherlich in Frage gestellt werden. Allerdings passt das Objekt zu den Sammeltätigkeiten des Bochumer Bergbau-Museums in der Ära des Gründungsdirektors Heinrich Winkelmann (1928–1966). In die Abteilung wurden alles in allem Objekte zu berühmten Personen aufgenommen, die auch nur irgendeine Verbindung zum Bergbau hatten – zum Beispiel Martin Luther als Sohn eines Hüttenmeisters. Der Bezug des 1-Billion-Mark-Stücks zum Thema Hyperinflation scheint für die damals Verantwortlichen keine große Rolle gespielt zu haben. Hätte man das Objekt in dieser Logik dann nicht konsequenterweise sogar als „Bergbaumedaille“ auffassen können?
Diese aufgeworfenen Fragen sollen an dieser Stelle gar nicht beantwortet werden. Vielmehr sollen sie einen Eindruck davon vermitteln, welchen Herausforderungen man bei der Dokumentationsarbeit begegnen kann. Objekte, deren Benennung und Einordnung auf den ersten Blick eindeutig anmuten, entziehen sich auf dem zweiten Blick oftmals dieser Eindeutigkeit. Neben der eigentlichen Dokumentation der Objekte rückt daher im Rahmen des Projekts „Digitale Infrastrukturen im Deutschen Bergbau-Museum Bochum und virtuelle Zugänglichkeit zum Bergbauerbe“ auch die Dokumentation der Objektbezeichnungen und Systematiken in den Fokus. Die Klärung der Fragen, wie bestimmte Bezeichnungen genau definiert sind, wie sie von anderen Begriffen abzugrenzen sind, nach welchen Prinzipien systematisch und konsistent geordnet wird und vielen anderen mehr ist letzten Endes eine zentrale Voraussetzung für eine qualitätsvolle Objektdokumentation.
01. November 2023 (Andreas Ketelaer, M. Sc.)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum (DBM) 030350471001
Heide, Anna-Magdalena: „Man kann Bergleute nicht grotesk schnitzen“. Bergmännische Darstellungen in der Kunstsammlung des Bochumer Bergbau-Museums (1928–1966), Berlin/Boston 2023 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 252; = Schriften des Montanhistorischen Dokumentationszentrums, Nr. 45).
Kolb, Eberhard: Die Weimarer Republik, 3. Aufl., München 1993 (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Nr. 16).
Menzel, Peter: Deutsche Notmünzen und sonstige Geldersatzmarken. 1973 bis 1932, Berlin 1982.
Pfläging, Kurt: Steins Reise durch den Kohlenbergbau an der Ruhr. Der junge Freiherr vom Stein als Bergdirektor in der Grafschaft Mark, Horb am Neckar 1999.
Ullrich, Volker: Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund, München 2022.
Waidacher, Friedrich: Handbuch der Allgemeinen Museologie, 3. Aufl., Wien 1999.
Online-Portale: montandok.de. Unter: https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=65534 und museum-digital. Unter: https://nat.museum-digital.de/object/1068252 sowie Deutsche Digitale Bibliothek. Unter: http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/6JW64D4N2GT4WN65DI2YA3X7NKD2DNC3 (Eingesehen: 20.10.2023).