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Technische Modelle der Kokereiindustrie als Marketinginstrument: Der Otto-Hoffmann-Regenerativofen

Dass technische Modelle in fachbezogenen Museen seit langem eine wichtige Rolle spielen, wird niemanden überraschen. Vielmehr gehörten sie während des gesamten 20. Jahrhunderts neben Dioramen und technischen Artefakten zum Kernbestand musealer Präsentation in den technischen Museen, die sich in ihrer Konzeption in der Regel auf das 1903 gegründete Deutsche Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik in München zurückführen lassen. Nicht immer war die Anfertigung der Modelle aber von vornherein musealen Zwecken geschuldet, wie sich an dem Modell eines Otto-Hoffmann-Regenerativofens aus dem Bereich der Kokereiindustrie veranschaulichen lässt.

Der steigende Energiebedarf durch entstehende Produktionstechnologien in der Frühen Neuzeit, der anfänglich nahezu ausschließlich durch Holzkohle gedeckt wurde, führte zu einem Versorgungsengpass bei Brennstoffen mit katastrophalen ökologischen Auswirkungen. Dadurch begann eine intensive Suche nach alternativen Brennstoffen, in deren Verlauf schon Ende des 16. Jahrhunderts erste Versuche zur Verkokung von Steinkohle unternommen wurden. Der eigentliche Durchbruch bei der Verwendung von mineralischem Koks vor allem in energieintensiven Industriezweigen kann auf das Jahr 1709 datiert werden, als es dem Engländer Abraham Darby dem Älteren (1678-1717) gelang, Koks zur Verhüttung von Roheisen einzusetzen. In der Folgezeit entstanden zahlreiche Verkokungsanlagen, um den kontinuierlich steigenden Bedarf der Industrien zu decken. Verfahrenstechnisch orientierte man sich in den Anfängen an den aus der Holzkohleherstellung bekannten Kohlenmeilern.

 

Parallel zu den Koksmeilern wurden seit 1765 auch die so genannten Back- oder Bienenkorböfen zur Verkokung von Steinkohle eingesetzt. In der Backofentechnik gab es ausgehend vom Grundtyp zahlreiche Innovationen, die schon früh den zukünftigen Weg der Koksofentechnik anzeigten. So war es seit 1850 durch den Einbau einer zweiten Ofentür und durch einen rechteckigen Grundriss möglich, Auspressmaschinen zur Entleerung der Öfen einzusetzen. Auch bei der Beheizung der Öfen erzielte man erste Fortschritte. So nutzte man die Abwärme der Rauchgase gleichzeitig zur Vorwärmung der Verbrennungsluft in Wärmeaustauschern und zur Dampferzeugung und konstruierte Öfen mit Sohlenbeheizung, bei denen die heißen Rauchgase unter die Sohle geleitet wurden. Diese zusätzliche Verkokung von außen war der erste Schritt auf dem Weg zur Trennung von Verkokungs- und Heizraum, wie sie bei modernen Koksöfen bis heute anzutreffen ist. Die wachsende Verbreitung von Dampfmaschinen führte schließlich zur Konstruktion von Abhitzeöfen. In dieser letzten Entwicklungsstufe der Backofentechnik nutzte man die Abwärme zur Dampferzeugung in Abhitzekesseln.

 

Mit der Einführung der Flammöfen gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die wesentlichen, noch heute gültigen Prinzipien der Koksofenkonstruktion verwirklicht. Die Beheizung der Flammöfen erfolgte indirekt über die Außenwände. Mehrere Ofenkammern wurden nebeneinander angeordnet und Heizzüge in die Zwischenwände gelegt. Die beim Verkoken entstehenden Kokereigase wurden abgezogen und mit Luft in den Heizzügen verbrannt. Auch die zu dieser Zeit entwickelte Form der Öfen – ein rechteckiger Grundriss mit langen, hohen und schmalen Ofenkammern – hat sich bis heute bei der Konstruktion von Koksöfen bewährt.

 

Dass sich die Regenerativöfen schließlich durchsetzten, war nicht nur eine Frage der Wärmewirtschaft für den Ofenbetrieb. Entscheidend war auch die steigende Nachfrage nach Kokereigas in der Ferngasversorgung und nach den aus dem Kokereigas gewonnenen Nebenprodukten – darunter fallen Kohlenwertstoffe wie Teer, Ammoniak, Benzol, Schwefel u. ä.  – durch die chemische Industrie. Die erste Otto-Hoffmann-Koksofenanlage von 20 Öfen und zugleich die erste Koksofenanlage mit Gewinnung von Nebenprodukten überhaupt ging im Jahr 1883 auf der Schachtanlage Thies der Zeche Pluto bei Wanne in Betrieb. Mit verschiedenen Verbesserungen wurden die Otto-Hoffmann-Öfen bis 1897 gebaut und später durch die Unterfeuerungsöfen zur Abhitzegewinnung nach dem System Otto-Hilgenstock abgelöst.

 

Gebaut wurden all diese Öfen zunächst durch die 1872 in Bochum-Dahlhausen gegründete Firma Dr. C. Otto & Comp. Ab 1876 erstellte das Unternehmen vorerst noch Coppée-Flammöfen, die damals in Europa weit verbreitet waren. In diesen Öfen wurde alles entstehende Gas verbrannt, ohne die Möglichkeit der Brenngas- oder Nebenproduktengewinnung. Ottos technischer Durchbruch gelang 1881 mit der Einführung der Teer- oder Nebenproduktenöfen. Diese Öfen verbrauchten nur einen Teil des erzeugten Gases. Der Gewinn aus dem Überschussgas war beträchtlich und machte diese Öfen wirtschaftlich attraktiv. Zudem wurde Teer als Rohstoff für die chemische Industrie, insbesondere zur Herstellung von Farben und Medikamenten, immer wichtiger. 1883 führte Dr. Carlos Otto (1838-1897) das regenerative Beheizungsprinzip in die Kokereitechnik ein. Erfinder war Gustav Hoffmann, technischer Direktor des Unternehmens. Die ersten Öfen wurden auf einem Bergwerk in Schlesien gebaut. Damit begann die Zeit der Otto-Hoffmann-Regenerativöfen, wie sie hier im Modell dargestellt sind. Aufgrund ihres deutlich besseren thermischen Wirkungsgrades waren sie den alten Öfen überlegen und setzten sich zuerst in Europa, bald danach auch in Amerika, Russland und im Fernen Osten durch.

 

Der Firmengründer Dr. C. Otto hatte ein sehr modernes Geschäftskonzept für seine Nebenproduktenöfen. Er bot den Kunden an, die Nebengewinnungsanlage kostenlos zu errichten, wenn er die Erlaubnis erhielt, diese zu betreiben und die Nebenprodukte auf eigenes Risiko zu verkaufen. Heute würden wir sagen, er bot ein B.O.T-Modell (Build-Operate-Transfer) an. Dieses Geschäftskonzept war für die Bergwerke, die damals unter Kapitalmangel litten, attraktiv, so dass er eine Reihe von Nebengewinnungsanlagen errichten konnte. Im Laufe der Zeit zeigte es sich aber, dass Dr. C. Otto auf diese Weise so gute Geschäfte machte, dass die Kunden die Nebengewinnungsanlagen wieder auf eigene Rechnung bauen ließen.

 

Das hier vorgestellte technische Modell eines Otto-Hoffmann-Regenerativofens ist um 1893 von der Firma Dr. C. Otto & Comp. angefertigt worden (montan.dok 030024034000). Das Modell im Maßstab 1 : 10 (Höhe 67,0 cm, Länge 144,0 cm, Breite 51,5 cm) zeigt fünf Ofenkammern, von denen die beiden äußeren im Schnitt dargestellt sind. Der Schnitt ist so ausgeführt, dass an beiden Längsseiten auf der einen Hälfte der Sohlkanal und die Ofenwand, auf der anderen Seite der Sohlkanal und 16 senkrechte Heizzüge der Ofenwand zu sehen sind. Der Ofenunterbau weist fünf Gewölbe auf, beiderseits davon befindet sich jeweils ein Regenerator (Wärmespeicher). Auf der Ofendecke sind drei Reihen Fülllöcher mit Gleisbahn sowie zwei Reihen Steigrohre (Gasabsaugungsrohre) mit Vorlage zu sehen. An den Stirnseiten verläuft die Hauptgasleitung mit Verteilungsleitungen zu den einzelnen Sohlkanälen; über den Stirnseiten ist die Gleisanlage für die Türwinden – auch als „Türkabel“ bezeichnet – wiedergegeben.

 

Das Modell ist in Holz und Metall ausgeführt, der Unterbau in Ziegelsteinmauerwerk markiert. Um einen Blick in das innere Gefüge des Ofens zu ermöglichen, sind beide Seiten klappbar gestaltet. Diese Form der Anfertigung lässt darauf schließen, dass das Modell durch die Firma Dr. C. Otto & Comp. als Demonstrationsmodell im Rahmen von Verkaufsverhandlungen eingesetzt worden ist. Denn letztlich war den Kunden das technische Funktionsprinzip der Öfen nur durch einen Blick in das ansonsten verschlossene Innere plausibel zu machen. Als Dr. Carlos Otto 1897 verstarb, befand sich bereits der 10.000ste Otto-Ofen im Bau. Er hinterließ ein blühendes Unternehmen mit wegweisenden Technologien und einer exzellenten Reputation.

 

Bereits bei der Gründung des heutigen Deutschen Bergbau-Museums Bochum ist das Modell von der Westfälischen Berggewerkschaftskasse für museale Ausstellungszwecke erworben worden. Bald führte sein Weg jedoch in die Magazine und Depots des Hauses, wo es über Jahrzehnte durch das Montanhistorische Dokumentationszentrum (montan.dok) verwahrt wurde. Erst als im Jahr 2012 das 100-jährige Jubiläum des Deutschen Kokereiausschusses im Deutschen Bergbau-Museum Bochum begangen und dazu auch eine Ausstellung zum Kokereiwesen durch das montan.dok erarbeitet und eröffnet wurde, gelangte es nach vorheriger Restaurierung für einige Jahre zurück in die museale Öffentlichkeit. Da das Museum, wie sich bei den Recherchen für die Ausstellung herausstellte, zu fast allen grundlegenden Innovationsschritten in der Ofentechnologie über Modelle verfügte, sind sie einer der Schwerpunkte in der Gestaltung der damaligen Ausstellung geworden. Heute werden die Modelle zur Koksofentechnologie fachgerecht in den Musealen Sammlungen des montan.dok unter anderem für weitere Forschungszwecke bewahrt.

 

01. Februar 2023 (Dr. Michael Farrenkopf)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 030024034000

 

Farrenkopf, Michael (Hrsg.): Koks. Die Geschichte eines Wertstoffes, 2 Bde., Bochum 2003 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 117; = Schriften des Bergbau-Archivs, Nr. 12).

 

Farrenkopf, Michael: Im Netzwerk der Montanindustrie. Zur Technik- und Wirtschaftsgeschichte des Kokereiwesens, in: Hassler, Uta/Kohler, Niklaus u.a.: Das Verschwinden der Bauten. Lebenszyklen industrieller Baubestände und Methoden transdisziplinärer Forschung, Tübingen/Berlin 2004, S. 153-166.

 

Farrenkopf, Michael: Gaserzeugung in Kokereien – Anfänge der Verbundwirtschaft an der Ruhr, in: Braun, Hans-Joachim (Hrsg.): Energie: Gas und Kernkraft. Ausgewählte Vorträge der Jahrestagungen der Georg-Agricola-Gesellschaft 2009 in Chemnitz, 2010 in Essen und 2011 in Freiberg, Freiberg 2012 (= Die Technikgeschichte als Vorbild moderner Technik, Bd. 35), S. 63-81.

 

Farrenkopf, Michael: Jubiläumstagung und neue Ausstellung zum Kokereiwesen im Deutschen Bergbau-Museum Bochum, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau 65, 2013, S. 59-63.

 

Hergarten, Kerstin: 150 Jahre Dr. C. Otto & Comp. GmbH, 1872-1987, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Montangeschichte 74, 2022, S. 74-97.

 

Rasch, Manfred: Dr. Carlos Otto. Innovator und Unternehmer der Kokereitechnik, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau 49, 1997, S. 180-189.

 

Rasch, Manfred: Nebenproduktanlagen der Kokereien und Kohlechemie im rheinisch-westfälischen Industriegebiet bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein historischer Überblick mit Bemerkungen zur denkmalpflegerisch-musealen Behandlung des Themas, in: Buschmann, Walter (Hrsg.): Koks, Gas, Kohlechemie. Geschichte und gegenständliche Überlieferung der Kohleveredelung, Essen 1993, S. 31-52.

 

Ress, Franz-Michael: Geschichte der Kokereitechnik, Essen 1957.

 

Weber, Heinrich: Kokerei, in: Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamtsbezirk Dortmund u.a. (Hrsg.): Die Entwickelung des Niederrheinisch-Westfälischen Steinkohlen-Bergbaues in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bd. 9: Aufbereitung, Kokerei, Gewinnung der Nebenprodukte, Brikettfabrikation, Ziegeleibetrieb, Berlin 1905, S. 295-466.