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Es geht bunt zu: Eine sächsische Bergparade im Deutschen Bergbau-Museum Bochum

3,5 m lang. 80 Figuren. Alle handgeschnitzt und koloriert. Die Bergparade des Düsseldorfer Bildhauers Max Kresse gehört in den Musealen Sammlungen des Deutschen Bergbau-Museums Bochum (DBM) zu den ältesten Auftragswerken im Bereich der bildenden Kunst. In der Dauerausstellung erstmalig zu sehen war die Parade 1937. Der Zweite Weltkrieg ging nicht spurlos an ihr vorüber, doch gelang es einem Modellbauer am Haus, die in Mitleidenschaft gezogenen Figuren so aufzuarbeiten, dass die Parade auch heute noch als zentrales Objekt im Rundgang „Kunst. Ideal und Wirklichkeit“ zu sehen ist.

Über den Künstler ist kaum etwas bekannt. Überliefert ist lediglich, dass Kresse bereits in den frühen 1930er-Jahren im Auftrag des Museums lebensgroße Figuren für Modelle schuf. Mit einer Höhe von knapp 23 cm sind Figuren der vorgestellten Parade im Vergleich dazu filigran. Im Gleichschritt marschieren sie im Takt des Paukenschlägers und unter dem Geleit des Fahnenträgers an einem imaginierten Publikum vorbei. Wer die Parade aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum (montan.dok 033301771000) kennt, ist unter Umständen etwas irritiert: Enganliegende weiße Hosen, kurze Jacken, grüne Schachthüte, rote Westen, Gamaschen, Kniebügel, offenes Geleucht, russische Hörner?

 

Eine umfassende Aufarbeitung der bergmännischen Uniformgeschichte steht zwar noch aus, doch lässt sich die hier gezeigte Parade über die Farben, den Schnitt der Kleidung und die gezeigten Attribute dem Freiberger Revier um 1830 zuordnen. Wie Mode im Allgemeinen unterlag auch die bergmännische Paradekleidung einem beständigen Wandel. Hervorgegangen ist sie aus dem bergmännischen Festtagsgewand, welches beispielsweise für den Kirchgang getragen wurde und dessen Entwicklung sich für den erzgebirgischen Raum bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Als erster Beleg für eine einheitliche Paradekleidung gilt das Saturnusfest von 1719. Anlässlich der Hochzeit seines Sohnes mit der österreichischen Erzherzogin Maria Josepha ließ August der Starke zum Abschluss der Feierlichkeit eine Bergparade im Plauenschen Grund bei Dresden inszenieren, zu der 1600 Berg- und Hüttenleute eine in allen Details festgelegte Uniform zu tragen hatten.

 

Die hier vorgestellte Parade nimmt Bezug auf die letzte große Kleiderreform in Sachsen, welche Oberberghauptmann Friedrich Anton von Heynitz 1768 erlassen hatte. Charakteristisch für diese Verordnung ist die Einteilung des so genannten ‚Bergstaates‘ in elf Klassen, die farbliche Markierung von Revieren anhand der Weste sowie die Einführung der schwarzen Puffjacken für alle Ränge vom Steiger aufwärts. Auch für jede dieser Klassen waren die Art des Stoffes, die Anzahl von Knöpfen, die Breite von Borten, die Farbe von Tressen usw. genau bestimmt. Aufgrund der damit einhergehenden Verbindlichkeit – Oberberghauptmann Siegmund August Wolfgang von Herder ließ den Verstoß gegen die Kleiderverordnung 1827 offiziell unter Strafe stellen – kann für das 18. und 19. Jahrhundert nicht von einer ‚Tracht‘ gesprochen werden. Die Auswirkungen der Französischen Revolution in Europa führten im ausgehenden 18. Jahrhundert zunächst zu einem Bedeutungsverlust der bergmännischen Berufskleidung. Im Zuge der Napoleonischen Kriege versuchten die Bergämter hingegen, die wiederkehrende Faszination für Uniformen zu nutzen, um das Tragen einer einheitlichen Kleidung auch im Dienstalltag zu forcieren. Für die Hauer, Zimmerlinge und Bergmaurer etwa war dies ein hartes Los. Ihre Uniformen waren zwar im Vergleich zu denen der Bergbeamten vergleichsweise schlicht, doch reichte ihr Verdienst in der Regel nicht, um sich die dennoch teuren Stoffe leisten zu können.

 

Neben den jeweiligen Uniformordnungen und -werken sind insbesondere Bilderbögen eine gute Möglichkeit, sich einen Überblick über die einzelnen Berufsgruppen zu verschaffen, zu denen bis 1868 auch die Hüttenleute gehörten. Diese schultern nicht wie die Hauer Barten und tragen auch keine schwarzen Jacken und grüne Schachthüte. Zu erkennen sind sie stattdessen an ihrer weißen Kleidung, den flachen Hüten, schwarzen Schürzen und Stecheisen. Die besondere Stellung des Oberberghauptmanns ist neben seiner reich verzierten Puffjacke zudem an seiner isolierten Stellung zu erkennen. Ohne sich eine Reihe teilen zu müssen, reitet er umringt von seinen Untergebenen als einziger auf einem Schimmel.

 

Die strenge Formation, die musikalische Begleitung, die vorangetragene Fahne, der Gleichschritt und die Markierung der beruflichen Hierarchien an der Kleidung rücken die bergmännischen Paraden unweigerlich in die Nähe von Militärparaden. Gleichzeitig unterstützt die Kleidung – körperbetonte Hosen mit hohem Bund, kurze Uniformjacken und Taschakos (mit Federbusch) – das dazugehörige Männlichkeitskonzept. Nicht mehr der wohlgenährte, untersetzte Mann wie noch im Barock, sondern der hochgewachsene, schlanke Typ war das Ideal in dieser Zeit.

 

Die Bergparade zum Bochumer Knappentag hat mit den sächsischen des 19. Jahrhunderts nicht mehr viel gemein. Unterschiede bestehen beispielsweise in der Farbe und dem Schnitt der Kleidung. Außerdem sind die bergmännischen Attribute, wie etwa die Kniebügel oder die Barte, nicht mehr Teil der Paradekleidung, und das offene Geleucht ist durch Sicherheitslampen ersetzt worden. Die heute als Trachten getragenen Bergkittel gehen auf einen Erlass von 1934 zurück. Oberberghauptmann Erich Winnacker (1889–1944) hatte sich damals für eine revierunabhängige Dienstuniform eingesetzt, die durch eine weniger aufwändige Gestaltung für alle Mitglieder der Zechen – auch für Kaufleute und Büroangestellte – erschwinglich sein sollte. Zu feierlichen Anlässen sollte die schwarze Puffjacke, im Dienstalltag der schwarze Bergkittel getragen werden. Die hierarchische Stellung des Trägers war an den Applikationen der jeweiligen Kragenspiegel zu erkennen.

 

Im Ruhrgebiet hatte sich die bergmännische Berufsuniform aufgrund der exponentiellen Belegschaftsentwicklung Ende des 19. Jahrhunderts nicht durchsetzen können. Gründungsdirektor des DBM, Dr. Heinrich Winkelmann, sprach in einem Schreiben 1948 sogar davon, dass der Ruhrkohlenbergbau „hinsichtlich seiner Bergmannstracht traditionslos“ sei, sodass der Ruhrbergmann ein „allgemeines Tragen einer Tracht“ gar nicht kenne (vgl. montan.dok/BBA 112/779). Die zum Tragen des Bergkittels verpflichteten Schüler der Bochumer Bergschule stellten sich sogar entschlossen gegen das „Ehrenkleid“ der Bergleute. So erfuhr Winkelmann über das Lehrpersonal im Januar 1951, dass die Bergschüler dieses „als ‚Maskerade‘ empfinden, und glauben, von ihren Frauen verlacht zu werden, wenn sie ‚in diesem Aufzug‘ zum Klassenabend gehen würden“ (vgl. montan.dok/BBA 112/802).

 

Der Museumsdirektor setzte sich deshalb für eine Reform der Kleidung ein. Diese Bemühungen scheinen allerdings im Sande verlaufen zu sein, zumindest ist keine spätere Uniformordnung für den Bergbau in der Bundesrepublik bekannt. Der Kleidungsausschuss der Deutschen Kohlenbergbau-Leitung versuchte zwar, das Tragen der bergmännischen Festtagskleidung im Ruhrgebiet später durch Empfehlungen für eine „berufliche Tracht“ – ein schwarzer Bergkittel ohne Rangabzeichen und „zeitbedingt[e]“ Applikationen – zu popularisieren, hatte damit aber wenig Erfolg. Wurde die bergmännische Uniform in den 1960er-Jahren überhaupt noch getragen, orientierten sich die Träger zu Winkelmanns Bedauern weitgehend am so genannten ‚Winnacker-Rock‘ (vgl. montan.dok/BBA 112/811). An Schnitt und Farbe hat sich in Bochum zwar bis heute nichts geändert, doch ist die Aufmachung im Bergkittel heute eine liebgewonnene Tradition zu feierlichen Anlässen, die ihre Träger mit Stolz erfüllt.

 

Über die Parade von Kresse kann zwar nicht mehr erzählt werden als in der Sammlungsdokumentation vermerkt worden ist, doch lässt sie sich durch die überlieferten Quellen im Bergbau-Archiv Bochum, in der Bibliothek und Fotothek des Montanhistorischen Dokumentationszentrums zumindest in einen breiteren historischen Kontext einordnen.

 

01. Dezember 2021 (Anna-Magdalena Heide, M.A.)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 033301483000, 033301771000 und 023000494801

 

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 26/103, 112/779, 112/780, 112/789, I, 112/802, 112/811, 112/820 und 112/1749

 

Bausinger, Hermann: Zu den Funktionen der Mode, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde, 1972, S. 22-32.

 

Blechschmidt, Manfred: Russische Hörner im Bergbau des Sächsischen Erzgebirges, Wien 1973 (= Leobener Grüne Hefte, Nr. 143).

 

Deutsche Kohlenbergbau-Leitung (Hrsg.): Die Bergmannstracht. Essen 1953.

 

Freydank, Hanns: Die deutsche Bergmannstracht, Halle 1951.

 

Freydank, Hanns: Freiberger Bergparade, o. O. 1969 [maschinenschriftliches Manuskript in der Bibliothek des montan.dok unter der Signatur 5957].

 

Fritzsch, Karl-Ewald/Sieber, Friedrich: Bergmännische Trachten des 18. Jahrhunderts im Erzgebirge und im Mansfeldischen, Berlin 1957 (= Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Volkskunde, Nr. 12).

 

Fritzsch, Karl-Ewald: Die Kleidung des erzgebirgischen Bergmannes im Urteil des 19. Jahrhunderts, in: Deutsches Jahrbuch für Volkskunde, 1966, H. 12, S. 288-311.

 

Hackspiel-Mikosch, Elisabeth/Haas, Stefan: Ziviluniformen als Medium symbolischer Kommunikation. Geschichte und Theorie der Erforschung einer Bekleidungsform an der Schnittstelle von Politik, Gesellschaft und Kultur, in: Hackspiel-Mikosch, Elisabeth/Haas, Stefan (Hrsg.): Die zivile Uniform als symbolische Kommunikation. Kleidung zwischen Repräsentation, Imagination und Konsumption in Europa vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, Stuttgart 2006 (= Studien zur Geschichte des Alltags, Nr. 24), S. 13-46.

 

Hackspiel-Mikosch, Elisabeth: Stärke, Macht und Eleganz. Die Uniform als Symbol eines neuen Ideals von Männlichkeit, in: Stadt Krefeld/Deutsches Textilmuseum (Hrsg.): Nach Rang und Stand. Deutsche Ziviluniformen im 19. Jahrhundert. Eine Ausstellung im Deutschen Textilmuseum (24.03.–23.06.2002), Krefeld 2002, S. 15-27.

 

Holzhausen, Walter: Die Blütezeit bergmännischer Kunst, in: Winkelmann, Heinrich (Hrsg.): Der Bergbau in der Kunst, Essen [1958] 1971, S. 113-248.

 

Johann, König von Sachsen: Verordnung, die Erlassung eines Allgemeinen Berggesetzes betreffend, vom 16. Juni 1868, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, 1868, S. 351-428. Unter: http://digital.slub-dresden.de/id20062278Z (Eingesehen: 18.11.2021).

 

Neubert, Eberhard: Ein sächsischer Bergaufzug im Jahre 1719, in: Wächtler, Eberhard/Neubert, Eberhard (Hrsg.): Die historische Bergparade anläßlich des Saturnusfestes im Jahre 1719, Essen 1983, S. 13-19.

 

O. A.: Die Uniformen der Beamten der Preußischen Staats-, Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung zum allerhöchsten Erlaß vom 15. Januar 1890, in: Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen, 1890, H. 14, S. 19-22.

 

O. A.: Erlasse des Ministers für Wirtschaft und Arbeit, betreffs der bergmännischen Kleidung vom 31. Juli 1933 und dem 19. September 1933, in: Zeitschrift für das Berg-, Hütten und Salinenwesen, 1933, H. 81, A 46 f.

 

O. A.: Vorschriften des Ministers für Wirtschaft und Arbeit über die bergmännische Kleidung (5. März 1934), in: Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen, 1933, A 83-A 87.

 

Rost, G. (?): Trachten der Berg- und Hüttenleute im Koenigreiche Sachsen. Nach dem neuesten Reglement mit landschaftlichen Umgebungen aus den verschiedenen Bergamtrevieren nach der Natur gezeichnet in Kupfer gestochen und treu colorirt, Lünen [1831] 1954.

 

Slotta, Rainer: Vom Arbeitskittel zur Bergmannsuniform. Das Kartenspiel 1944 zeigt bergmännische Trachten und Uniformen, in: Saarbrücker Bergmannskalender, 1994, S. 83-91.

 

Tenfelde, Klaus: Bergarbeiterkultur in Deutschland. Ein Überblick, in: Geschichte und Gesellschaft, 1979, H. 1, S. 12-53.

 

Wiggerich, Sandro/Kensy, Steven: Einleitung, in: Wiggerich, Sandro/Kensy, Steven (Hrsg.): Staat, Macht, Uniform. Uniformen als Zeichen staatlicher Macht im Wandel? (= Studien zur Geschichte des Alltags, 29), Stuttgart 2011, S. 9-15.

 

Winkelmann, Heinrich: Das Saturnusfest und der Berghäuerzug 1719, in: DER ANSCHNITT. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau 10, 1958, H. 4/5, S. 3-10.

 

Wolfgang Pfeifer u. a. (Hrsg.): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. Unter: https://www.dwds.de/wb/etymwb/Tracht (Eingesehen: 31.08.2021).