Fund des Monats: „Einer von vielen“: Objekt zu einem indischen Grubenunglück im Deutschen Bergbau-Museum Bochum
Grubenunglücke mit teils hohen Todeszahlen sind trauriger Bestandteil der Bergbaugeschichte. Die Liste der Unfälle allein für Deutschland ist lang und verdeutlicht nur allzu gut die Gefahren, die mit der Gewinnung von Bodenschätzen verbunden sein können. Ursachen wie Schlagwetterexplosionen, hereinbrechende Gesteinsmassen und Wassereinbrüche führten und führen weltweit immer wieder zu Unglücken.
Ein Wassereinbruch sollte auch auf Chasnala das Leben aller zu diesem Zeitpunkt unter Tage befindlichen Bergleute kosten. Zunächst war von einer Schlagwetterexplosion, die den Wassereinfall verursacht habe, die Rede gewesen, bald aber auch von einem unzureichenden Abstand zwischen einer stillgelegten Grube, die mittlerweile als Trinkwasserreservoir diente, und einem daruntergelegenen Stollen. Gut neun Jahre später äußerte sich die Montan Consulting GmbH (MC), die die Beratung zur Wiederinbetriebnahme der Tiefbaugrube für den Betreiber, die Indian Iron and Steel Corporation (IISC), übernehmen sollte, wie folgt zu der Ursache (vgl. montan.dok/BBA 120/2641): Der Wassereinbruch sei durch das Anfahren eines alten, von über Tage im Liegenden des Flözes 13/14 aufgefahrenen Grubenbaues ausgelöst worden, der auf keiner Karte in seiner genauen Lage aufgezeichnet gewesen sei. Die Information richtete sich an die Westfälische Berggewerkschaftskasse, auf deren Expertise die MC bezüglich der Wassereinbruchsgefährdung bei der Beratung in Indien zurückgreifen wollte. Auch bei der späteren gerichtlichen Untersuchung wurden ein fehlerhafter Übersichtsplan („incorrect survey plan“), eine falsche Ausrichtung der Bewetterungsverbindung („wrong placement of ventilation connection“) einhergehend mit einer Übertretung der gesetzlichen Grundlagen durch die Unternehmensleitung („violation of law by management“) als wichtige Gründe für das bisher schwerste Grubenunglück in Indien festgestellt. Erst im Jahr 2012 wurde ein Urteil über die damals Verantwortlichen der IISC gefällt; die beiden Verurteilten waren allerdings zwischenzeitlich verstorben.
Das tragische Unglück fand damals einen starken Widerhall in der deutschen Presse, wie die Zeitungsauschnitte, die Teil der archivischen Spezialsammlung Z im Bergbau-Archiv Bochum sind (montan.dok/Bergbau-Archiv Bochum BBA Z 124), dokumentieren. Kritik an den Zuständen im indischen Bergbau, vor allem an den mangelnden Sicherheitsvorkehrungen und der praktizierten Ersatzarbeit, wurde dabei geübt. Dinge, die auch heute noch zumal bei dem vielfach illegal betriebenen Abbau von Steinkohle in Indien ein Problem darstellen. Gerade der Einsatz von Ersatzarbeitern und das Verschwinden des Arbeitsregisters der Zeche Chasnala erschwerten die Bestimmung der Anzahl und die genaue Identifizierung der Betroffenen erheblich. Nach ersten Meldungen war eine Opferzahl von bis zu 900 Personen anzunehmen, die Zahl wurde dann später auf offiziell 375 herabgesetzt.
Auch der Künstler Heinz Stein (geb. 27. Dezember 1934) verfolgte 1975 die deutschen Zeitungsberichte über die Ereignisse in Indien. Die Nachricht über das Unglück habe ihn dazu veranlasst, einen Holzschnitt zu schaffen. Er bot nun diesen Schnitt in zwei unterschiedlichen Ausführungen, einmal ohne Text und einmal mit Text, dem damaligen Bergbau-Museum in Bochum zum Kauf an. Dies geht aus seinem Schreiben vom 07. Januar 1976, das heute im Bergbau-Archiv Bochum im Bestand 112: Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Bochum aufbewahrt wird (montan.dok/BBA 112/875), hervor. Der Künstler aus Gelsenkirchen war, wie er selbst schrieb, zu diesem Zeitpunkt schon durch zahlreiche Ausstellungen hervorgetreten. Tatsächlich entschied der damalige Museumsdirektor Bergassessor a. D. Hans Günter Conrad, dass je ein Blatt entsprechender Größen erworben werden sollte, wie durch seinen Vermerk auf besagten Brief erkenntlich wird.
Die beiden heute noch in den Musealen Sammlungen des DBM befindlichen Holzschnitte zeigen einen Bergmann, über den sich die in den Stollen hereinstürzenden Wassermassen ergießen. Unter einen der Schnitte ist besagter Text nämlich ein Gedicht des Lyrikers und Essayisten Hugo Ernst Käufer gesetzt worden: „Lakonische Frage Was denkt fühlt und hofft / wohl einer so / in den letzten Sekunden / zwischen Dasein und Verrecken / wenn über ihm / die Wassermassen / zusammenstürzen / das Oben und Unten / auslöschen / das Gestern und Morgen vernichten / ihn wehrlos machen? … wie am 27.12.1975 / kurz vor Jahresschluß / in der Zeche Chasnala / im indischen Bezirk Dhanbad“.
Die Erinnerung an das Grubenunglück in Indien 1975 bleibt durch die Holzschnitte Heinz Steins im DBM präsent. Durch die archivarische Aufarbeitung des Bestandes 112 im Rahmen des Projektes „montan.dok 21“ werden auch die genauen Umstände ihrer Akquirierung für die Sammlungen des DBM deutlich. Anhand dieses Beispiels zeigt sich zudem, dass die Bestände des Bergbau-Archivs Bochum einen reichen Schatz an Quellen für Forschungen über die Geschichte des Bergbaus nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit bieten.
01. August 2018 (Dr. des. Maria Schäpers)
- Literatur
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) am Deutschen Bergbau-Museum Bochum 030000001000 und 030000002000
Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum/Bergbau-Archiv Bochum (BBA) 112/875, 120/2641 und Z 124
Dash, Ashish Kumar/Bhattacharjee, Ram Madhab/Paul, Partha Sarath: Lessons learnt from Indian inundation disasters: An analysis of case studies, in: International Journal of Disaster Risk Reduction 20, 2016, S. 93-102. Unter: https://www.researchgate.net/publication/309691264_Lessons_Learnt_from_Indian_Inundation_Disasters_An_Analysis_of_Case_Studies (Stand: 22.06.2018).
Höving, Elisabeth: Gelsenkirchener Künstler Heinz Stein feiert 80. Geburtstag, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung v. 27.12.2014. Unter: https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/gelsenkirchener-kuenstler-heinz-stein-feiert-80-geburtstag-id10179000.html (Stand: 11.06.2018).
„Hugo Ernst Käufer“, in: Westfälisches Autorenlexikon 1750-1950 – Online-Datenbank. Unter: https://www.lexikon-westfaelischer-autorinnen-und-autoren.de/autoren/kaeufer-hugo-ernst/ (Stand: 22.06.2018).
Kroker, Evelyn/Farrenkopf, Michael: Grubenunglücke im deutschsprachigen Raum. Katalog der Bergwerke, Opfer, Ursachen und Quellen, 2. überarb. und erweit. Aufl. Bochum 1999 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 97; = Schriften des Bergbau-Archives, Nr. 8).
Lahiri-Dutt, Kuntala (Hrsg.): The Coal Nation. Histories, Ecologies and Politics of Coal in India, Abingdon 2014. Pandey, Prashant: Chasnala: 40 years later. Memories of a flooded mine recede, in: The Indian Express v. 22.01.2016. Unter: https://indianexpress.com/article/india/india-news-india/chasnala-40-years-later-memories-of-a-flooded-mine-recede/ (Stand: 22.06.2018).
Siemer, Stefan: Kleinbauern und Transport in Indien, in: Stottrop, Ulrike (Hrsg.): Kohle.Global. Eine Reise in die Reviere der anderen. Katalog zur Ausstellung im Ruhr Museum vom 15. April bis 24. November 2013, Essen 2013, S. 147-150.
„Heinz Stein“, in: Westfälisches Autorenlexikon 1750-1950 – Online-Datenbank. Unter: https://www.lexikon-westfaelischer-autorinnen-und-autoren.de/autoren/stein-heinz/ (Stand: 22.06.2018).